Prozess gegen PfizerWahrheitssuche nach dem Suizid
Monika Kranz hat ganz genau festgehalten, wann sie welche Tabletten geschluckt hat. In einem kleinen, schwarzen Kalender von 2005 sind Zeitpunkt und Menge der Antidepressiva, die sie während zweier Wochen im April einnahm, akribisch vermerkt. Am 21. April enden ihre Einträge: Die 49-Jährige nahm sich an diesem Tag das Leben - 48 Stunden, nachdem sie auf Anraten ihrer Neurologin die Einnahme des Medikaments „Zoloft“ wegen der starken Nebenwirkungen beendet hatte.
Ihr Ehemann Lothar Schröder hatte das Notizbuch zur Anhörung vor dem Landgericht mitgebracht. Denn der 46-Jährige ist überzeugt, dass zwischen der Einnahme des Antidepressivums und dem Suizid seiner Ehefrau ein Zusammenhang besteht. Deshalb hat er gemeinsam mit der Tochter der Verstorbenen das Pharmaunternehmen Pfizer, das „Zoloft“ herstellt, auf Auskunft und Schadensersatz verklagt.
Bereits im Jahr 2004 hatte die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft gewarnt: Für die Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), zu der „Zoloft“ gehört, müsse insbesondere im Zusammenhang mit starken Erregungseffekten, die diese Arzneimittel haben könnten, „ein Risiko suizidaler Handlungen grundsätzlich und unabhängig vom Alter“ angenommen werden. Man empfahl, dies in den Beipackzetteln und in Hinweisen an behandelnde Ärzte anzugeben. Lothar Schröder erfuhr davon erst nach dem Tode seiner Frau. Damals war im Beipackzettel von „Zoloft“ noch kein Hinweis auf ein möglicherweise erhöhtes Risiko für Selbstmorde zu finden.
Mittlerweile wird zwar angegeben, dass die Selbstmordgefahr unter „Zoloft“ bei Jugendlichen beziehungsweise jungen Erwachsenen unter 24 steigen könne. Doch aus Sicht von Lothar Schröder reicht dies nicht aus: Er will wissen, ob es bei Pfizer schon früher interne Hinweise auf ein erhöhtes Suizidrisiko im Falle einer Einnahme von „Zoloft“ - vielleicht auch bei älteren Erwachsenen - gegeben hat. Deshalb hat er Einsicht in die Unterlagen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) - zuständig für die Zulassung von Medikamenten - und der Pfizer Pharma GmbH verlangt.
Zulassungsbehörde hat
Akteneinsicht gewährt
Die Strafanzeige, die Schröder 2006 gegen Pfizer unter anderem wegen fahrlässiger Tötung stellte, hatte keinen Erfolg. Doch Schröder verlangte Akteneinsicht, um weitere Hinweise zu finden. Anfang der Woche dann ein wichtiger Schritt: Das BfArM gewährte ihm endlich Einsicht. „Wir haben Anhaltspunkte gefunden“, so Schröder. Doch der Mathematiker verlangt nach wie vor, auch die Unterlagen von Pfizer zu sehen. Die Firma hingegen argumentiert, dass der Auskunftsanspruch nur dann bestehe, „wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme begründen, dass der Schaden durch das betreffende Arzneimittel verursacht wurde“. Dafür lägen im Fall von Frau Kranz keine Anhaltspunkte vor.
In der Forschung ist das Thema umstritten: Es gibt zwar Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang zwischen SSRI-Medikamenten und Suizid, gesicherte Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Studien sind jedoch nach wie vor uneindeutig. Ein Grund mehr für Lothar Schröder, sich weiter um Aufklärung zu bemühen: Aufgeben kommt für ihn nach vier Jahren erst recht nicht mehr in Frage. Ende Juli wird das Landgericht entscheiden.