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SchmerzschrittmacherKribbeln statt chronischer Schmerzen

Lesezeit 3 Minuten

Das Team baut in Köln dieses Gerät an einer Patienten ein. (Bild: Gauger)

Als Heinz Willi Kahmann in die Kölner Uniklinik kommt, haben seine Rückenschmerzen das Maß des Erträglichen längst überschritten. Nach Bandscheibenvorfällen an der Lendenwirbelsäule vor rund zehn Jahren war der 56-Jährige schon zweimal operiert worden - ohne Erfolg. Jetzt droht dem Familienvater die Berufsunfähigkeit. In der Werkstatt kann der Autolackierer weder lange stehen, noch im Sitzen oder Bücken arbeiten. Die chronische Qual, Tag und Nacht, zieht vom Rücken bis ins rechte Bein." So macht das Leben keinen Spaß mehr", sagt der schmerzgeplagte Patient. Doch eine dritte Operation kommt schon wegen der Vernarbungen nicht in Frage.

Statt dessen setzt Neurochirurg Dr. Athanasios Koulousakis aus der Klinik für Stereotaxie und Funktionelle Neurochirurgie auf die Neurostimulation - die Linderung chronischer Schmerzen durch elektrische Impulse direkt im Wirbelkanal. Das Verfahren ist Routine, neu hingegen der Neurostimulator, der dem Patienten aus Jülich zum ersten Mal in Deutschland unter die Haut gepflanzt werden soll. Das Besondere an dem Impuls-Generator: Ändert der Patient seine Körperhaltung, stellt er über einen Bewegungssensor die für ihn angenehme Stimulationsstärke automatisch ein. Das er spart den Patienten, die Stromstärke über ein Handgerät mehrfach am Tag immer wieder anzupassen. "Die Patienten können sich so freier bewegen als vorher. Der Alltag mit der Neurostimulation wird unkomplizierter", sagt Neurochirurg Dr. Thorsten Rieth mann.

Es ist 11.30 Uhr, als Koulousakis und Riethmann mit dem Eingriff beginnen. Kahmann liegt mit geradem Rücken auf dem Bauch, ist örtlich betäubt, aber ansprechbar. Das ist Voraussetzung, um die Elektro den präzise platzieren zu können. In Höhe des dritten Lendenwirbelkörpers macht Koulousakis einen kleinen Haut schnitt und führt zwischen dem zweiten und dritten Lendenwirbel unter Röntgenkontrolle eine zwölf Zentimeter lange Hohlnadel ein. Durch sie schiebt er die in diesem Fall 40 Zentimeter lange Elektrode mit acht Stimulationspolen in den Wirbelkanal vor. "Wir beginnen jetzt mit der Teststimulation und geben Strom in die Elektrode", erklärt Riethmann. "Das Wirkprinzip besteht darin, durch die Stromimpulse die Weiterleitung der Schmerzen in Rücken und Bein über die Rückenmarks nerven an das Gehirn zu unterbinden." Die Elektroden liegen richtig, wenn die Patienten nur noch ein angenehmes Kribbeln spüren, das den Schmerz überlagert. Als dies bei Kahmann der Fall ist, entfernt der Neurochirurg die Hohlnadel und näht die Elektroden fest. Über ein Verlängerungskabel werden sie an einen Impulsgeber, den Neurostimulator angeschlossen, der Kahmann mit zwei kleinen Schnitten im Nu ins Gesäß implantiert wird. Neun Jahre hält die Batterie des Gerätes, die sich über die Haut aufladen lässt.

Nach knapp einer Stunde ist die Schlüsselloch-OP beendet. Die Kosten, rund 22 000 Euro, übernehmen die Krankenkassen in vollem Umfang, sagt Koulousakis. Mit der Methode erwarten die Kölner Spezialisten eine Schmerzreduzierung von 50 bis 80 Prozent bei ansonsten therapieresistenten chronischen Schmerzen, etwa nach Rückenoperationen, Herpes Zoster oder bei Morbus Su deck. Schon wenige Stunden nach dem Eingriff verspürt Kahmann deutlich weniger Schmerzen als bisher. Er werde seine starken Schmerzmittel ganz absetzen oder niedriger dosiert einnehmen können, so die Ärzte. Und vor allem: Heinz Willi Kahmann wird seinen Beruf weiter ausüben und wieder Freude am Leben haben.