Schüchterne SchülerDie große Angst vor dem Verhaspeln

Während einige Schüler sich ständig zu Wort melden, halten sich andere zurück, melden sich fast nie freiwillig. (Bild: dpa)
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Das Internet ist auch ein Ort für Schulsorgen. In einem Kummer-Kasten-Forum sucht ein Mädchen Rat. "Es fällt mir unheimlich schwer, im Unterricht etwas zu sagen, geschweige denn mich freiwillig zu melden", schreibt sie. "Ich mache mir damit alle Noten kaputt." Auf einer Seite für Eltern geht es um das gleiche Thema: "Die Lehrer bemängeln immer wieder, dass meine Kinder sich nicht genug mündlich beteiligen", klagt eine Mutter. "In ihren schriftlichen Arbeiten sind sie aber beide sehr gut."
Gerade jetzt, wenn es nach den Osterferien auf die Zeugnisvergabe zugeht, gilt es, durch mündliche Beteiligung noch eine bessere Note zu bekommen. Doch stille Schüler tun sich damit oft schwer. Das hat auch der Schweizer Pädagoge Georg Stöckli in seiner Studie "Schüchternheit als Schulproblem" untersucht. Zurückhaltende Schüler bekämen demnach schlechtere Noten, als sie kriegen könnten. Da sie sich nie oder selten melden, bleiben sie hinter ihren Möglichkeiten zurück.
"Es gibt temperamentvolle und stille Menschen"
"Manchmal ist es einfach eine Charakterfrage", sagt die Kölner Lernberaterin Inge Rohmann-Vater. "Es gibt temperamentvolle und stille Menschen. Und das ist auch gut so." Introvertierte Schüler fühlen sich wohler, wenn sie im Hintergrund bleiben, sie beobachten lieber. Sie brauchen Zeit, um Informationen "zu verdauen". Sie halten lieber etwas inne, bevor sie handeln und reagieren. Bevor sie sich zu Wort melden, wollen sie ganz sicher sein, dass sie etwas Richtiges und Sinnvolles sagen. Wenn man sie aber fragt, können sie meistens auch gute Antworten geben. Introvertierte Schüler können sich oft gut und lange auf eine Aufgabe konzentrieren, sind gute Zuhörer, denken viel nach.
"Manche Schüler denken einfach langsamer als andere", sagt Oliver Münker, Deutschlehrer am Kölner Schiller-Gymnasium. Bei den einen geht der Finger sofort hoch, andere brauchen etwas länger. "Das heißt aber nicht, dass sie nicht auch auf die Antworten kommen." Die Note, die am Ende auf dem Zeugnis steht, setzt sich zwar aus den Ergebnissen der schriftlichen Klausuren und der "sonstigen Mitarbeit" zusammen. Zu letzterem gehören aber nicht nur die mündlichen Beiträge, sondern auch Hausaufgaben, Referate, Gruppen- und Partnerarbeit. In der Oberstufe in einem Verhältnis von 50 zu 50 Prozent. In der Sekundarstufe I empfiehlt die Prüfungsordnung dasselbe Verhältnis. "Wir haben hier aber mehr pädagogischen Spielraum, das eine oder andere stärker zu werten", sagt Lehrer Oliver Münker. Stillere Schüler können ihre mündliche Note bei ihm verbessern, indem sie ab und zu ihre Hausaufgaben abgeben oder ein Referat halten.
Redeangst
Hinter der Stille kann aber auch eine Redeangst stecken. "Diese Schüler würden gerne etwas sagen, aber sie fürchten, sich zu verhaspeln oder etwas falsches zu sagen", sagt Inge Rohmann-Vater. Diese Angst kann auch mit körperlichen Reaktionen verbunden sein: Druck im Kopf, rot werden, Rauschen in den Ohren, Herzrasen, ein Kloß im Hals, feuchte Hände. Den Schülern ist es unangenehm, wenn alle sie angucken. Aus Angst vor diesen Reaktionen melden sie sich lieber erst gar nicht.
Schuld daran sind häufig Glaubenssätze über sich selbst, die sich im Kopf der Schüler festgesetzt haben und wie Stimmen zu ihnen sprechen. "Ich bin nicht gut genug", "Ich kann das nicht", "Ich werde mich bestimmt verhaspeln".
Diese inneren Überzeugungen wirken dann wie selbsterfüllende Prophezeiungen: Wer krampfhaft denkt "Ich werde bestimmt kein Wort herauskriegen", bleibt am Ende wirklich stumm. Gut gemeinte Aufmunterungen der Eltern wie "Zeig doch mal auf!", "Mach doch mal mit!", bringen dann rein gar nichts. Manchmal liegt die Hemmung aber auch an der Stimmung in einer Klasse, wenn Schüler über Fehler ihrer Mitschüler lachen, der Lehrer das zulässt oder gar selber spottet.
Lernberatung
In ihrer Lernberatung findet Inge Rohmann-Vater zunächst heraus, was das Kind über sich selbst denkt. Alleine darüber zu reden, sei für viele Schüler schon eine Erleichterung. "Negative Glaubenssätze können umgewandelt werden in positive. Zum Beispiel: Ich kann die Dinge besser, als ich denke." Sie versucht dann zunächst mit dem Schüler an seiner nonverbalen Beteiligung im Unterricht zu arbeiten. Denn Schüler mit Redeangst schauen den Lehrer oft erst gar nicht an - aus Angst, er nimmt sie gleich dran. Sie tun alles dafür, erst gar nicht aufzufallen, möglichst unsichtbar zu sein, als wären sie gar nicht anwesend.
Schüchternen im sozialen Rahmen der Schule wird das Prinzip zum Verhängnis. "Man kann sich nicht nicht inszenieren", so der Pädagoge Georg Stöckli. "Lehrer haben ein Bild vom angemessenen Verhalten eines Schülers. Dazu gehört auch eine gewisse Sozialkompetenz, eine Beteiligung am Unterricht", so Stöckli. Es gebe da dieses Ideal einer guten lebendigen Schulstunde. Stille Schüler wirkten auf manche Lehrer dann "wie Schauspieler, die auf der Bühne stehen und den Text verweigern". Einige Lehrer - so seine Beobachtungen - reagierten darauf auch mit Unmut, Hilflosigkeit oder gekränkter Eitelkeit.
Erstmal die Angst abbauen
"Das Kind muss erstmal die Angst abbauen, mit dem Lehrer in Kontakt zu treten", sagt Inge Rohmann-Vater. "Ihn angucken, zwischendurch mal nicken, Zustimmung und Interesse signalisieren." Schülern mit Redeangst rät sie, den Unterricht im Hinblick auf die nächste Stunde nachzuarbeiten und sich zunächst nur eine Frage für die nächste Stunde zu überlegen. Als nächsten Schritt könne sich der Schüler vornehmen, sich freiwillig einmal pro Stunde zu melden.
Manchmal entwickelt sich in der Klasse aber auch eine Kultur, dass es uncool ist, sich am Unterricht zu beteiligen. Diese Schüler kennt Inge Rohmann-Vater. "Pubertät!", sagt sie. Da unterhalte man sich lieber untereinander in der Gruppe als mit dem Lehrer in der Klasse. Für diese Schüler sei es aber recht leicht, sich zu ändern, wenn man mit ihnen über klare Ziele spricht. "Was ist, wenn du sitzen bleibst? Wo ist deine Clique dann? Ist dir die Gruppe so viel wert, dass du dafür schlechte Noten bekommst?" Den meisten gelingt es dann, eine Balance zwischen Gruppe und mündlicher Mitarbeit zu finden.