Schutzgeld: „Soldat der Mafia“ packt aus
PALERMO. Tonino Mazzullo aus Palermo ist ein glücklicher Goldschmied. Seit 25 Jahren besitzt er seinen kleinen Laden an der Straße zum Hafen, und noch nie wurde er überfallen. Nicht ein einziger Diebstahl. „Ich habe halt Glück“, meint er und erklärt doch gleichzeitig, dass er es dem Pizzo zu verdanken habe. Dass der Pizzo selbst ein krimineller Akt ist, will er nicht einsehen.
Pizzo heißt Schutzgeld. Die organisierte Kriminalität, die auf Sizilien Cosa Nostra heißt, erhebt es von so gut wie allen Geschäftsleuten. Experten zufolge zahlen rund 85 Prozent aller süditalienischen Geschäftsleute Schutzgelder. Nach einer Hochrechnung von Sozialforschern nimmt alleine die Cosa Nostra jährlich über 150 Millionen Euro damit ein. „Eine Seuche, gegen die wir nichts unternehmen konnten“, sagt der Mafiaexperte Luciano Violante. Die Betroffenen würden nur selten mit der Justiz zusammen arbeiten.
Jetzt aber gibt es einen Lichtblick im Kampf gegen den Pizzo. Ein „Soldato della Mafia“, also ein Mitglied der Cosa Nostra, ist zur Polizei übergelaufen. Der Mann, dessen Name geheim gehalten wird, war für seinen Clan in Sachen Schutzgelder verantwortlich. Den Beamten der Anti-Mafia-Polizei berichtete er ausführlich von seinem Berufsfeld. Zum ersten Mal überhaupt ist dadurch ein Blick hinter die geheimen Kulissen des komplexen Systems möglich.
Laut dem „Soldato“ müssen kleine Geschäftsleute alle drei Monate zwischen 500 und 1000 Euro zahlen. Elegante Modegeschäfte und große Schmuckläden haben zwischen 2500 und 3000 Euro zu entrichten. Fabrikbesitzer und andere Unternehmer müssen mindestens 5000 Euro locker machen. Bei Zahlungsschwierigkeiten kann Ratenzahlung ausgehandelt werden. Den Bossen geht es nicht darum, ihre Kunden allzu sehr zu belasten. Sie sind an deren geschäftlichem Wohlergehen interessiert, denn schließlich verdienen auch sie daran.
Wer eine neue Geschäftstätigkeit aufnimmt, wird deshalb auch nicht sofort zur Kasse gebeten. Erst wenn Einnahmen vorliegen, muss gezahlt werden. Immer zu Ostern und zu Weihnachten müssen ausstehende Summen nachgezahlt werden. Geschieht das nicht, wenden die Bosse ihre Strafen an, die auch jenen Angst machen sollen, die sich weigern, den Pizzo zu zahlen: Einschüchterungen, ein verbranntes Auto, ein totes Haustier, schließlich Morddrohungen und im schlimmsten Fall eine gezielte Kugel.
Wer ein enges Familienmitglied im Gefängnis sitzen hat, braucht nicht zu zahlen. Gibt es im Verwandtenkreis einen Polizeibeamten, sehen die Bosse ebenfalls vom Pizzo ab. Im Todesfall verzichten die Geldeintreiber für mindestens drei Monate auf die Zahlungen. Der typische Pizzo-Eintreiber verdient rund 1000 Euro im Monat und ist zwischen 20 und 30 Jahre alt. In der Regel, so der Überläufer, tritt ein Geldeintreiber der Mafia seinen treuen Kunden gegenüber freundlich auf. Kunden wie Tonino Mazzullo, die sich nach eigenem Bekunden schon daran gewöhnt haben, diese Zusatzsteuer zu entrichten.