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Übergewicht & TestosteronDer Bauch verdrängt Hormone

Lesezeit 3 Minuten

Viele übergewichtige Deutsche nehmen sich nicht als zu dick wahr. (Bild: dpa)

Die Muskeln werden schlaffer, das Fett anhänglicher, die Haut wird trockener und die Knochen können brüchiger werden. Testosteron beeinflusst beim Mann also nicht nur die Sexualität und Psyche, wie allgemein angenommen wird, vielmehr regt das Hormon auch den Aufbau von Knochen und Muskeln an und verringert die Fettmasse. Doch mit den Jahren nimmt die Menge des Sexualhormons langsam ab: Der mittlere Serum-Testosteronspiegel sinkt ab dem 40. Lebensjahr um ein bis zwei Prozent pro Jahr.

"Wie wir jetzt wissen, ist Testosteronmangel aber nicht nur eine Frage des Alters", sagt der Neuroendokrinologe Professor Christof Schöfl vom Universitätsklinikum Erlangen. Forscher um Dr. Harald Jörn Schneider von der Medizinischen Klinik Innenstadt des Klinikums der Universität München haben im vergangenen Jahr zeigen können, dass ein Rückgang des Hormons mehr mit Übergewicht und chronischen Krankheiten zu tun hat, als unmittelbar mit dem Alter.

Herausgefunden haben die Experten dies, als sie die Ergebnisse einer Studie zur Häufigkeit von Herzkreislauf-Erkrankungen genauer unter die Lupe genommen haben. Für die Studie hatten vor sechs Jahren Hausärzte in rund 3.200 Praxen mehr als 50.000 Patienten körperlich untersucht. Bei rund 2.700 Männern war dabei auch das Geschlechtshormon bestimmt worden: Bis zu 40 Prozent der Männer mit dickem Bauch, gestörtem Stoffwechsel oder auch einem Diabetes mellitus Typ 2 mangelt es am Geschlechtshormon Testosteron. Hormonmangel und chronische Erkrankungen scheinen sich gegenseitig zu beeinflussen.

Maßstab: Taille im Verhältnis zur Körpergröße

Schöfl, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, bestätigt: "Es existiert offensichtlich ein Teufelskreis aus niedrigem Testosteron und vermehrtem Fettgewebe und den damit assoziierten Stoffwechselstörungen." Schneider ergänzt: "Insbesondere Übergewicht mit einer ungünstigen Fettverteilung im Körper tritt gemeinsam mit einem niedrigen Testosteronspiegel auf. Die Fettverteilung lässt sich am Verhältnis aus Taille und Körpergröße ermitteln." Diese "Waist-Height-Ratio (WHtR)" ergibt sich aus dem Umfang der Taille, geteilt durch die Körpergröße. Als kritisch werten die Experten eine WHtR ab einem Wert von 0,5. "Auch Studien-Teilnehmer mit Metabolischem Syndrom, einer Funktionsstörung der Leber oder entzündlichen Erkrankungen zeigten häufiger niedrige Testosteronspiegel", sagt Schneider. Das gleiche gelte auch für Patienten, die sechs oder mehr Medikamente einnahmen. Und auch bei Krebspatienten wurde oft ein Hormonmangel festgestellt.

Daraus nun den Umkehrschluss zu ziehen, dass Übergewicht und chronische Erkrankungen die Ursache des Testosteronmangels sind, ist jedoch unzulässig. Das nämlich würde bedeuten: Bauch weg durch Testosteron-Medikamente. Zwar gibt es kleinere Studien mit Untersuchungen an Männern mit einem Diabetes mellitus Typ 2, die aufgrund von Testosterongaben tatsächlich Bauchfett verloren.

Auch das zuckerregulierende Hormon Insulin schien aufgrund des Testosterons besser zu wirken, weshalb sich der Diabetes wirksamer behandeln ließ. Da theoretisch ein Testosteronmangel umgekehrt aber auch Übergewicht begünstigen kann, sind sich die Experten einig, dass bei Fettleibigkeit ein niedriger Hormonspiegel alleine noch lange keine Hormontherapie rechtfertigt. Dies sei nur dann sinnvoll, wenn der Hormonmangel Beschwerden auslöst. Und auch dann müssten die Vorteile mit den Risiken einer langjährigen Hormonbehandlung abgewogen werden. Die Entscheidung zur Behandlung kann deshalb nur im Einzelfall nach genauen Laboruntersuchungen und intensiven Beratungen durch einen Facharzt gestellt werden. Schöfl ist sich bei der Mehrheit aller Betroffenen sicher: "Nur eine dauerhafte Gewichtsabnahme kann den Teufelskreis zwischen Übergewicht und Testosteronmangel durchbrechen."