Wenn antike Recken auf die Rolex blicken
Eine Leiche, die augenscheinlich atmet? Ein Schauspieler, der von jetzt auf gleich ohne Sinn ein anderes Hemd trägt? Wer einen Blick für Kleinigkeiten hat, der kann in Film und Fernsehen mithin Erstaunliches entdecken. Filmfehler suchen - ein Hobby zahlreicher Zuschauer.
Patzer schleichen sich in fast jedes Werk ein. Der Klassiker: Der Sandalenfilm „Ben Hur“, in dem ein Trompeter deutlich sichtbar eine Armbanduhr trägt, die sich so wenig ins antike Milieu einfügen will wie die Tennisschuhe eines Statisten. Auch nett: Piratenfilme, in denen am Himmel über der Totenkopf-Flagge Kondensstreifen von Düsenjets prangen - ein Himmelsphänomen, das auch in „Gladiator“ mit Russell Crowe erscheint.
Die meisten Filmpannen haben mit Flüchtigkeitsfehlern (Kameras, Scheinwerfer oder Mikros erscheinen im Bild) oder mit Vestößen gegen die richtige Kontinuität zu tun: Da werden dann etwa Zigaretten im Laufe eines Gesprächs länger statt kürzer.
Im Internet gibt es inzwischen regelrechte Fehler-Datenbanken. Auf der amerikanischen Seite Movie-Mistakes gibt s eine Art Hitliste, die zurzeit von „Harry Potter und die Kammer des Schreckens“ (283 Pannen) angeführt wird, dicht gefolgt von „Fluch der Karibik“ (278). Kaum ist ein Kinofilm angelaufen, haben die ersten aufmerksamen Zuschauer auch schon Ungereimtheiten entdeckt, sagt Andre Simeit. In Scorseses „Aviator“ etwa fliegt Leonardo DiCaprio bei Nahaufnahme im offenen Cockpit, in der Totalen hingegen mit geschlossener Flugzeughaube. Nachzulesen auf der Internetseite „Die Seher“, die Simeit, Informatiker aus der Nähe von Osnabrück, gemeinsam mit dem Biotechnologie-Studenten Sören Kanke betreibt. Patzer aus rund 870 Spielfilmen haben sie dort gesammelt.
Über 80 davon gibt allein der Normandie-Kriegsfilm „Der Soldat James Ryan“ her: Da tauchen Leichen später als Statisten wieder auf, da lassen sieben Soldaten ihren achten Kameraden erschossen zurück, um im nächsten Moment wieder zu acht zu marschieren.
Sei es ein durchs Bild huschender weißer Lieferwagen im Ritter-Epos „Braveheart“ oder der Umstand, dass sich Leonardo DiCaprio in „Titanic“ eine Zigarette dreht, dann aber eine Filterkippe raucht. Oder, dass Vater Lubanski im „Wunder von Bern“ eine Auswechselbank erwähnt, die es 1954 noch gar nicht gab - die Merkwürdigkeiten sind von großer Vielfalt.
„Man entwickelt so etwas wie ein drittes Auge“, erklärt Simeit. „Viele Fehler wiederholen sich.“ Bei ihm hat alles mit einem Zufallsfund im „Batman“ von 1989 angefangen: Joker bekleckst ein Bild, und in der nächsten Szene ist das Bild wieder sauber. So lernte er den anderen Blick auf die Leinwand. „Filme anders sehen“ lautet inzwischen auch das Motto der Seher-Website. Geht dabei nicht der Spaß am Kino verloren? „Nein“, sagt der Informatiker. „Einen guten Film genieße ich immer noch.“ Nur wenn s langweilig wird, schalte sich das dritte Auge quasi automatisch zu. Und das wird früher oder später fündig - garantiert. „Ich glaube nicht, dass es einen Film ganz ohne Fehler gibt.“
Das größte Problem bei der Suche dürfte die Unterscheidung zwischen Fehler und Stilmittel sein. Beispiel: „Taxi Driver“. Da ändert sich plötzlich die Sonnenbrille, die Jodie Foster trägt. Eine Panne? Oder soll der Wechsel von der grünen Kinderbrille zum erwachsen wirkenden violetten Gestell etwas aussagen?
Fehler oder nicht - die Diskussion gibt s auch um George Lucas und eine Szene aus seinem ersten „Krieg der Sterne“-Film von 1977, weiß Simeit und erwähnt seinen Lieblingspatzer: Man sieht eine größere Gruppe von Sturmtruppen einen Kontrollraum stürmen. Einer von ihnen rennt gegen einen Türpfosten und torkelt mehr benommen als heroisch umher. Lucas machte einen „Running Gag“ daraus und schrieb dem Urvater aller Klonkrieger 20 Jahre später einen Gendefekt zu - der ihn gegen Wände laufen lässt.