Wenn der Alltag zur Qual wird
RHEIN-SIEG-KREIS. Ein neuer Morgen - eine Vielzahl von kleinen Entscheidungen stehen an. Was ziehe ich an? Was koche ich heute? Wenn alle Klamotten unpassend scheinen, wenn die Entscheidung zwischen Kartoffeln und Reis schwer fällt, wenn sich der Alltag wie ein riesiger Berg auftürmt, kann eine Depression die Ursache sein. Unentschlossenheit, Antriebslosigkeit, Kopf-, Brust- und Gliederschmerzen sowie Angst und Unsicherheit sind Anzeichen für diese Krankheit.
Weil Betroffene, Menschen aus dem Umfeld und Hausärzte, Depressionen oft nicht als solche erkennen, hat die European Depression Association (EDA) den 7. Oktober zum Tag der Depression gemacht. Nach Angaben von Professor Dr. Peter Hornung, Chefarzt einer psychiatrischen Abteilung der Rheinischen Kliniken Bonn, sind ein Drittel der Bevölkerung zumindest einmal in ihrem Leben depressionsgefährdet. Wie durch eine Mattscheibe, so beschreiben viele Patienten ihre Symptome, sehen sie die Umwelt. Manche sprechen davon, dass sie nichts mehr fühlen. Das ist der Unterschied zur Traurigkeit, die eine konkrete Ursache hat, erklärt Professor Hornung. Der Arzt nennt ein Beispiel von einem Geschäftsmann, der für mehrere Filialen verantwortlich war - bis er depressiv geworden ist. Er hat es nicht einmal mehr geschafft sich morgens anzuziehen.
Jeden kann die Krankheit unverschuldet treffen, weiß Sabine Graaf von Sozialpsychiatrischen Dienst (SPZ). Experten sind sich sicher, dass die Veranlagung zu depressiven Störungen vererbbar ist. Auch Entwicklungen im Kindesalter wie ein zerbrochenes Elternhaus können Grundstein für eine Depression sein. Wenn dann hoher Stress hinzukommt, kann sie ausbrechen, sagt Hornung, ebenso könne eine Unterfunktion der Schilddrüse zu Depressionen führen. Betroffene sollten keine Scheu haben, zum Arzt zu gehen. Man sollte seine Vorurteile abbauen und Mut haben, die Krankheit anzugehen, mahnt Sabine Graaf. Der Spruch Nun reiß dich doch mal zusammen, mit dem viele auf Menschen mit depressiven Störungen reagieren würden, sei zwar gut gemeint, aber habe eine eher negative Wirkung. Man muss fördern und fordern, aber man darf nicht überfordern, warnt auch Prof. Hornung. Die Heilungschancen sind gut: 90 Prozent der Patienten seien nach einer psychotherapeutischen und medikamentösen Behandlung geheilt, nur bei jedem zehnten Patienten entwickelt sich die Krankheit chronisch. Die Antidepressiva hätten nahezu keine Nebenwirkungen, so der Arzt. Sie dienten dazu, die Zahl der Neurotransmitter, also die Informationsübermittler im Gehirn, wieder auf ein normales Level anzuheben.
Depressionen sind nach Erhebungen der Weltgesundheitsorganisation die häufigste psychische Erkrankung. Frauen sind häufiger als Männer betroffen. Als Krankheit erkannt wurde die Depression vor 100 Jahren, vorher galten die Symptome oft als Charaktereigenschaft. (ste)