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Wie kommt die Ü ins Ei?

Lesezeit 4 Minuten

150 neue Miniatur-Bausatz-Spielzeuge bringt Ferrero jedes Jahr heraus.

Mit dem Überraschungsei ist das so eine Sache. Natürlich, auf der einen Seite wird mit ihm reichlich Reibach gemacht, anderseits schaffte es das Ding - genauer sein Inhalt - bereits in eine Ausstellung (Museum für Angewandte Kunst Frankfurt, 2004) und hat sich damit zum Kulturgut emporgeschwungen.

Der Kunstpädagoge Prof. Dr. Volker Fischer schrieb über die Exponate: „Die Ü-Eier stellen auf spielerische Weise die philosophische Frage nach der Verfasstheit der Welt“. Ob man's gleich so hoch hängen muss, wenn „SpongeBob“, der brabbelnde Schwamm aus der gleichnamigen TV-Trick-Serie, jedem siebten Ü-Ei entfällt, ist die Frage. Fest steht dagegen: An der gelben Kapsel mit der dünnen Schokolade drumherum kommt kaum einer vorbei. Sie ist Kult.

Denn Jahr für Jahr greifen Jung und Alt 400 Millionen mal zu, wechseln unzählige alte Überraschungen, die mithin gar keine mehr sind, in der 300 000 Sammler zählenden, erwachsenen Fan-Gemeinde zu stolzen Preisen den Besitzer, bringt Ferrero 150 neue Miniatur-Bausatz-Spielzeuge heraus.

Aber wie machen die das? Auf welche Weise gelangt die Ü ins Ei? Ein Ortstermin in Frankfurt-Sachsenhausen soll weiter helfen. In einem Besprechungszimmer, in dem schon zigtausende Spielideen für die Ü-Eier ausgebrütet wurden, wartet Marketing-Direktor Felix Theato. „Wir haben ein Team von Entwicklern unterschiedlicher Herkunft, meist jedoch Ingenieure, Designer und Leute aus dem Marketing. Der eine hat morgens unter der Dusche eine Idee und kritzelt beim Kaffee schon mal den ersten Entwurf hin, dem anderen fiel kurz vorm Einschlafen noch etwas ein. Und dann treffen wir uns, spielen, reden, zeichnen, kritzeln. Ein herrliches Durcheinander! Im Prinzip läuft das wie im Kindergarten - und es macht uns einen Riesenspaß!" Was man beispielsweise den miniaturisierten Alltagsdingen anmerkt, die dem Ü-Ei auch gelegentlich entspringen. Winzige Bratpfannen, die sich samt Spiegeleiern drehen, oder ein Kühlschrank mit durstigem Gesicht, der mit einer Hand sich selbst die Tür öffnet und eine Flasche Apfelsaft findet. Die Welt des Ü-Eis ist zuweilen eben eine bewusst ironische. Der berühmteste Fall: Zur Hohezeit der Fitness-Welle, Ende der 80-er Jahre, kamen die „Happy Hippos“ auf, darunter ein Flusspferd, das auf seiner Hantel schlief. Oder die alte Frau, die mit der einen Hand Fische verkauft und mit der anderen übers Handy telefoniert. Sie wurde zum Sammlerstück und basierte einzig auf der Beobachtung eines Designers, der die Szene in China gesehen hatte.

Dort, wo alle Ei-Inhalte gefertigt werden und es sicherlich vollkommen unverständlich bleibt, dass deutsche Sammler für zwei der 22 Jahre alten Figuren (Eierlauf- und Stelzenlauf-Schlumpf) die einst im Land der Lotusblüte millionenfach von Maschinen ausgespuckt wurden, rund 900 Euro hinblättern müssen. „Wir wollen ja auch mit einem Augenzwinkern überraschen“, sagt Theato und lacht über die Sache mit der Fischverkäuferin. Wenn man mit ihm spricht und seine Augen zuweilen geradezu kindlich aufblitzen, wird der Erwachsenen-Kindergarten szenisch leicht vorstellbar.

Rund zwei Jahre dauert es, bis die kleinen Wunderwerke die gelben Kapseln erreichen: „Von der ersten, zweidimensionalen Zeichnung wird ein handgearbeitetes Modell gefertigt, erst im Maßstab 1:2, um es besser bearbeiten zu können, bevor man es in die richtige Größe bringt“, erklärt Theato, „spezielle Werkzeuge müssen gefertigt, Formen gegossen, Prototypen gebaut werden. Und dann folgen die ausgiebigen Verbraucher-Tests." Und zwar Zielgruppen-genau: Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und die Mütter selbstverständlich, die schließlich die Kaufentscheidung treffen. Viele Entwicklungen müssen sich nach diesen Tests verabschieden. „Das ist, als wenn Sie ein richtiges Auto bauen.“ Im übrigen hat Theato den härtesten Testmarkt zu Hause. Der dreifache Vater stellt sich - mit allerneuesten Ideen und ersten Entwürfen bewaffnet - gerne der Kritik der vierjährigen Tochter, der sieben- und zwölfjährigen Söhne und der seiner Frau. „ Da habe ich dann ständig Feedback und manchmal auch zu schlucken.“

Das Kind im Manne darf dennoch nicht risikoscheu sein. Das beste Beispiel dafür ist übrigens das Überraschungsei selbst. Natürlich wurde auch das Erfolgsmodell im Ursprungsland getestet. Und diese Untersuchungen hatten ergeben, dass es ein Megaflop werden würde, weil die Leute eben nur zu Ostern die großen, in Italien traditionellen Ostereier mit Überraschungen kaufen. „Aber Michele Ferrero hat das gar nicht interessiert, er hat an seine Vision von den kleinen, ganzjährigen Eiern geglaubt. Heute verkaufen wir an Weihnachten mehr Eier als zu Ostern!“

Für das Foto setzt sich Felix Theato vor die aufgebaute Eier-Kulisse. Da ist man im Haus Ferrero Deutschland durch und durch professionell. Er strahlt. Bei 400 Millionen abgesetzten Ü-Eiern jährlich ergibt sich ein Umsatzvolumen von etwa 200 Millionen Euro. Wie hoch ist die Rendite? Der Marketing-Direktor lacht wieder: „Wir schaffen es irgendwie, unsere Kosten zu decken. . .“ O.k., verstanden.