Zu viel Macht dem Pendel
Wenn Melanie herausfinden möchte, ob ihr neuer Freund der „Mann fürs Leben“ ist, hört sie nicht auf ihr Herz oder ihren Verstand. Viel mehr Vertrauen hat sie in die Tarotkarten. Thomas hingegen überlässt seine Entscheidungen dem Pendel. Bei wichtigen Lebensfragen, etwa wenn er nicht weiß, ob er das Jobangebot annehmen soll, geht er zusätzlich zu einer Wahrsagerin.
Der Glaube an die Wirkung verborgener Kräfte und Mächte liegt nach wie vor im Trend. Der Esoterik-Markt boomt schon seit über 20 Jahren. In Buchhandlungen reihen sich Ratgeber zu Lebenshilfe, Astrologie oder magischen Steinen. Im Fernsehen laufen Horoskop-Sendungen, im Internet kann man sich Tarotkarten legen lassen, auf Esoterik-Messen stellen Anbieter ihre Sortimente vor und preisen ihre Heilkünste. Doch das alles birgt Risiken, die allzu oft unterschätzt werden.
Während sich die esoterischen Lehren unterscheiden, ist ihnen eines gemeinsam: der Glaube an Phänomene, die außerhalb der empirisch messbaren Betrachtungsweisen liegen. Zudem betonen die meisten Lehren die spirituelle Entwicklung des Individuums. Lässt sich jemand zum Spaß im Urlaub am Strand von einem Wahrsager aus der Hand lesen, ist das nach Ansicht von Experten zwar kein Problem. Doch in verfestigter Form sei es riskant für Psyche und Geldbeutel, meint Ursula Caberta, die Sektenbeauftragte des Hamburger Senats. „Gefährlich wird es, wenn okkulte Angebote wie etwa Pendeln zum Lebensinhalt und Entscheidungen davon abhängig gemacht werden.“
Der Übergang vom spielerischen Umgang zur psychischen Abhängigkeit sei meist fließend, sagt Caberta. Immer noch werde das Abhängigkeitspotential oft unterschätzt. Besonders kritisch sei es vor allem, wenn Kinder mit im Spiel sind. „Wenn Eltern Esoterik-Anhänger sind, richten sie die Erziehung ihrer Kinder danach aus.“ Caberta kennt die Szene, „die immer in Bewegung ist“. Etwa auf Esoterik-Messen verschafft sich die Sektenbeauftragte stets einen Einblick in neue Angebote.
Ein weiteres Problem sei der mangelnde Verbraucherschutz. „Wo ein Markt ist, braucht man Regeln - und die gibt es immer noch nicht“, so Caberta. Am meisten aber wundere sie die Kritiklosigkeit vieler Menschen. Wenn etwa ein Medium behauptet, der Erzengel Gabriel spreche aus ihm, „stellt das keiner in Frage“. Aber eben davon lebt der Psychomarkt - und zwar sehr gut. Der Glaube an okkulte Gegenstände, an einen Guru oder eine Gruppe ersetzt den Nachweis der Wirksamkeit des Angebots.
So ist es nicht wunderlich, dass die zahllosen alternativen Heilmethoden und -mittel so viele Abnehmer finden. Selbst bei schwersten körperlichen Krankheiten wird etwa behauptet, die Veränderung der Psyche könne Heilung bewirken. Zu den bekanntesten Anbietern gehört der umstrittene deutsche Arzt Matthias Rath. Er gilt als Erfinder der so genannten Zellular-Medizin, die eine Alternative zur Aids- und Krebsbekämpfung bieten soll. „Die größte Gefahr ist, dass die Menschen irgendwann nicht mehr zum Arzt gehen“, sagt Caberta.
Zwar sei bei esoterischen Anwendungen oft ein kurzfristig auftretender Besserungseffekt zu verzeichnen, schreibt Kartahrina Reiss, Mitarbeiterin des Vereins Sekten-Info Nordrhein-Westfalen. Doch der wäre leicht mit dem sogenannten Placeboeffekt zu erklären. „Auf lange Sicht werden die ursprünglichen Probleme - seien sie nun körperlicher oder seelischer Natur - in der Regel verstärkt.“ Zu den bekanntesten Techniken der esoterischen Lebensberatung gehört das „Positive Denken". Die abwertende Haltung gegenüber negativen Emotionen kann aber zur Folge haben, dass in der Beziehung zu sich und zu anderen Konflikte nicht angesprochen und Gefühle wie Angst oder Wut verdrängt werden.
Der Verein Sekten-Info kennt solche Fälle. Häufig bekämen die Menschen Schuldgefühle und seien überzeugt, nicht genug an sich gearbeitet zu haben, meint Mitarbeiterin Reiss. Im schlimmsten Fall vertiefe sich derjenige dann immer verbissener in esoterische Methoden. „Er muss seine negativen Gefühle noch weiter verdrängen, was zu schweren Depressionen führen kann.“