50 Jahre Pro familia in Leverkusen„Wir werden immer weiter für unsere Rechte kämpfen“

Pia Heck ist seit September die neue Leiterin von Pro familia in Leverkusen.
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Leverkusen – Das Jahr ist 1970. Die 68er-Generation treibt das, was man später als „sexuelle Revolution“ bezeichnen wird, voran. Die Filme des „Aufklärers der Nation“, Oswald Kolle, sind in aller Munde. Die Antibabypille bahnt sich zehn Jahre nach ihrer Markteinführung ihren Weg zum beliebtesten Verhütungsmittel deutscher Frauen. Und in Leverkusen nimmt die Organisation Pro familia ihre Arbeit auf.
2020 feierte die Beratungsstelle ihr 50-jähriges Jubiläum. Im Gespräch blicken die Leiterin Pia Heck, die ehemalige Leiterin Anja Nöhre und die Psychologin Silke Großmann auf die Geschichte von Pro familia zurück, erzählen aus dem Alltag in der Beratung und welche Themen noch immer als Tabu gelten.
Eine der ältesten Beratungsstellen NRWs - „Die Leute standen Schlange!“
Pro familia in Leverkusen ist eine der zwei ältesten Beratungsstellen der Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung in NRW. Eine moderne Beratungsstelle mit verschiedenen Fachkräften so wie heute gab es damals noch nicht. In den Räumen des Gesundheitsamtes bot Frau Dr. Schultheiss damals zwei Stunden in der Woche eine Sexual- und Verhütungsberatung an. „Das war Pionierarbeit“, erklärt Pia Heck. Pro familia war die erste und damals einzige Stelle in Leverkusen, die so etwas leistete - „Und die Leute standen Schlange!“, sagt sie. „Der Bedarf der Menschen an Aufklärung wurde überhaupt erst einmal richtig sichtbar“, erklärt Psychologin Großmann.
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Über Sexualität zu reden war nicht per so verpönt wie in den piefigen 50er und frühen 60er-Jahren. Dennoch war viel Aufbau- und auch Lobbyarbeit nötig, erklärt Sozialpädagogin Heck. Von der Stadt Leverkusen wurde man zwar von Anfang an unterstützt – viele finanzielle Mittel gab es jedoch nicht. Und so war die kostenlose Nutzung der Räume im Gesundheitsamt lange der Stand der Dinge. Erst 1987 zog man in erste eigene Räumlichkeiten in Wiesdorf. Seit 2013 findet man Pro familia nun in der Nobelstraße. Doch nicht nur räumlich hat sich in den vergangenen 50 Jahren so einiges verändert.
Beratung zu Abtreibungen zentrale Aufgabe
„Wenn man die Entwicklung in einem Satz zusammenfassen will, könnte man sagen: Wir haben uns professionalisiert“, so Pia Heck. Diese Veränderung ist bei Pro familia kaum von der sogenannten „Schwangerschaftskonfliktberatung“ zu trennen. Seit 1992 ist vorgeschrieben, dass eine Frau, die überlegt, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen, sich zunächst dazu beraten lassen muss. Nur dann ist eine Abtreibung laut Strafgesetzbuch in den ersten zwölf Wochen straffrei. Pro familia erfüllt mit der Beratung also einen gesetzlichen Auftrag - und wird daher seitdem auch vom Land und den Kommunen finanziell unterstützt.
Im nächsten Jahr wird der Paragraph 218, der Abtreibungen unter Strafe stellt, 150 Jahre alt. Bereits jetzt plant man in der Beratungsstelle, wie man zu diesem „Jubiläum“ weitergehend informieren kann. Denn auch in Leverkusen führen immer weniger Frauenärztinnen Schwangerschaftsabbrüche durch. Pro familia setzt sich für sexuelle Selbstbestimmung ein - und ein Recht auf Abtreibung. „Viele bringen Pro familia damit in Verbindung“, sagt die Psychologin Silke Großmann. „Dabei machen wir noch viel mehr.“

Das Team von Pro familia: Silke Großmann, Pia Heck, Dr. Karin Siefert, Bernd Bündgen, Petra Schuck und Anja Nöhre.
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Arbeit mit Geflüchteten oder Sexualberatung bei Rentnern - Mitarbeiterinnen berichten von ihren Highlights
Die sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben alle Hände voll zu tun. Neben dem Beratungsangebot für die Kostenübernahme von Verhütungsmitteln, Aufklärungskampagnen in Schulen, Paar-, Eltern- und Sexualberatungen, die Unterstützung durch eine Frauenärztin und Familienhebamme komplettieren auch immer wieder besondere Themen das breite Spektrum der Arbeit von Pro familia.
Als 2015 und 2016 immer mehr Geflüchtete Leverkusen erreichten, fing man an, für die Mädchen und Frauen eine extra „Sprechzeit“ zu etablieren. Bis 2019 gab es ein wöchentliches, zweisprachiges Angebot in den Flüchtlingsunterkünften. „Aufklärung war hier ein noch stärkeres Thema“, so Pia Heck. „Die Frauen hatten viele Fragen über ihren eigenen Körper. Die Situation war besonders - aber die Dankbarkeit der Klientinnen war für mich ein Highlight in meiner Arbeit bei Pro familia“, erklärt die Leiterin.
Für Silke Großmann sind es die Situationen, in denen die Klienten glücklich aus der Beratung gehen, die ihr in Erinnerung bleiben. „Ein älteres Paar hat bei mir an seiner Sexualität und an Verführung gearbeitet. Die haben richtig geackert“, sagt sie und lacht. „Es ist schön, wenn Paare in so einen Prozess kommen. Mir geht auch das Herz auf, wenn eine Frau nach einer schweren Geburt endlich den Bezug zu ihrem Baby findet. Nach einem halben Jahr habe ich mal ein Foto einer Klientin mit ihrem Kind bekommen. Da habe ich mich super drüber gefreut“, so die Psychologin.
Arbeit mit Tabuthemen bleibt Herausforderung
Doch in vielen Fällen bleibt die Arbeit von Pro familia aufreibend. Noch immer gibt es Themen, die in der Gesellschaft als „Tabu“ oder schwierig gelten, wie die Sexualität von Menschen mit Behinderung oder Transgender-Identität. „Wir haben schon viel erreicht“, sagt Pia Heck. „Doch es gilt, die Rechte immer weiter zu verteidigen. Und gerade bei Menschen mit Behinderung sind eben auf einmal doch nicht alle gleich. Ihnen wird oft die Sexualität und ihr Recht auf Elternschaft abgesprochen.“ Umso schöner war es für Heck, als sie eine Klientin von einer ersten Beratung bis hin zur Mutterschaft begleiten konnte.
Beratungsanstieg zu Corona - viele Konflikte verstärken sich
Im Coronajahr 2020 hat Pro familia einen Beratungsanstieg verzeichnet. „Es gibt unheimlich viele Nachfragen in allen Bereichen“, sagt Anja Nöhre. „Finanzielle Fragen wie Elternschaft in Kurzarbeit oder beim wegfallenden Minijob, vereinsamte Frauen nach der Geburt und auch viele Schwangerschaftskonfliktberatungen.“
Durch die Krise hinweg waren die Mitarbeiter für die Menschen erreichbar, auch vor Ort. „Es war für die Menschen wichtig zu wissen, das wir da sind“, so Großmann. „Corona hat ja auch Konflikte in einigen Beziehungen verschärft“, ergänzt Pia Heck. Bereits jetzt sind die sechs Mitarbeiter, deren Stundenkapazität nur bei rund 1,7 Vollzeitäquivalenten liegt, am Limit. „Um dem Bedarf gerecht zu werden, müsste man aufstocken“, so die Leiterin. Dafür fehlen jedoch die Mittel. Auch deshalb ist der Verein auf Spenden angewiesen.
„Ich kann mit dem, was ich tue, hilfreich sein“
Für die Zukunft sieht man sich jedoch gut gerüstet. „Wir sind in Leverkusen und im NRW-Verband gut vernetzt“, so Anja Nöhre. Die Identifikation mit ihrer Arbeit sorgt bei den Mitarbeitern außerdem für große Motivation: „Ich kann mit dem, was ich tue, hilfreich sein“, sagt Leiterin Pia Heck. „Genau. Und das ist ein tolles Gefühl“, ergänzt Silke Großmann.