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18. Oktober 1944Als Bonn in Trümmern versank

Lesezeit 4 Minuten

Leere Fensterhöhlen nach dem Bombenangriff: das Alte Rathaus von Bonn.

Bonn – „Sausen – Einschlag – Sausen – Einschlag“: So gab das Unheil den Takt vor. Das Unheil kam von oben. Am 18. Oktober 1944, einem Tag „mit herrlichem Sonnenschein“, wie sich Rudolf Weidenbrück erinnert, starteten im englischen Norfolk 129 Lancaster-Bomber in Richtung Deutschland, dessen Nazi-Regierung auch im fünften Kriegsjahr nicht bereit war, das Grauen zu beenden. Das Ziel der Flugzeuge war Bonn, die Universitäts- und Beamtenstadt am Rhein, die seit dem 20. Mai 1940 80 Mal aus der Luft angegriffen worden war. Doch die meisten Todesopfer forderte der Schlag vom 18. Oktober.

Die Briten, berichtet der Rheinbacher Historiker Dr. Horst-Pierre Bothien, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bonner Stadtmuseum, wollten ein neues Zielsystem testen, das es der Royal Air Force auch ermöglichte, bei bewölktem Himmel Bombenangriffe zu fliegen. Für den Test wurde eine Stadt ausgesucht, die bisher noch nicht stark zerstört worden war, und das war Bonn.

Also wurden die Maschinen in Norfolk mit todbringender Fracht beladen: 117 Minenbomben, 686 Sprengbomben, 9684 Phosphorbomben und 75 888 Stabbrandbomben. Der Filmemacher Georg Divossen hat diese Zahlen für seinen Film „Angriff auf das alte Bonn“ recherchiert, der am kommenden Sonntag im Pfarrsaal der Stiftskirche Premiere hat (siehe Kasten rechts).

Gegen 10.30 Uhr kamen die Maschinen, flogen erst über Bonn hinweg Richtung Süden, so dass mancher dachte: „Wir sind noch mal davon gekommen“. Der Tag war nämlich klar, also für den Test des Navigationssystems nicht geeignet. Doch dann drehten die Lancaster und nahmen die Stadt ins Visier. Die Luftschutzsirenen heulten, erst warnend, dann auf und ab und in schneller Folge, „und dann konnten Sie mit dem Laufen beginnen“, schildert eine Frau in dem Film. Ab 11.03 Uhr fielen Brandbomben zuerst in Friesdorf, dann Sprengbomben auf die Innenstadt.

Die Menschen rannten in die Keller oder in die Luftschutzbunker,. Melitta Klein saß im Bunker in der Karlstraße, dessen Wände nach einem Treffer wackelten. „Die Leute haben gebrüllt, ich war ein Kind und habe mitgebrüllt“. Karola Winkelhoff vom Café Rittershaus in der Kaiserstraße war für ihren wenige Wochen zuvor verstorbenen Vater zur Verantwortlichen des Luftschutzraums unter der Kreuzkirche ernannt worden. Sie schloss die Tür auf und ließ die Fliehenden rein. Durch einen Brand brach die Stromversorgung ab, das Licht ging aus, und nach dem Ende des Angriffs „mussten wir durch einen Schacht kriechen, um an die Luft zu kommen.“ In dem kargen Raum, der noch gut erhalten ist, findet am Freitag eine Gedenkveranstaltung statt (siehe Kasten links).

Der Angriff dauerte sechs Minuten – eine Ewigkeit für die, die in den Kellern saßen. Viele erzählen in dem Film von einem zwei- bis zweieinhalbstündigen Bombardement. Divossen: „Das lag daran, dass es brannte und im Bahnhof Beuel ein Munitionszeug explodiert war: Es knallte immer weiter.“ Brandbomben verglühten im Fluss: „Der Rhein kochte“.

Auf dem Münsterplatz war ein Löschteich angelegt worden, darunter erstreckte sich ein Bunker, der durch einen Treffer einstürzte. Divossen: „Wer nicht durch Bomben starb, der ertrank“.

Die amerikanische Kriegskorrespondentin Lee Miller, die noch vor Kriegsende in Bonn war, schildert die Szene in einer Reportage für das Magazin „Vogue“ so: „In Bonn säumten zerstörte Klavier- und Musikgeschäfte, die alle Beethoven heißen, einen ausgebombten Platz in der Nähe des Münsters, wo ein großes Denkmal des Komponisten über dem abgeriegelten Schutthaufen eines gigantischen Luftschutzbunkers thront, der einen Volltreffer abbekommen hatte.“ Einige Einwohner erzählten ihr, und die Militärregierung bestätigten es, dass die Luftschutzhelfer „einen halbherzigen Versuch unternommen hatten, mit einem Kran einige der schweren Betonbrocken zu heben, die auf den Bunker geschleudert worden waren, die Arbeit aber schließlich aufgaben. Die Schreie der darin eingeschlossenen Menschen sollen drei Tage angedauert haben, doch niemand durfte sich ihnen nähern. Mehrere hundert Leichen liegen dort verschüttet, aber das ist allen gleichgültig“.

Die Bonner Altstadt unten am Rhein sank am 18. Oktober in Schutt und Asche. Unter den zerstörten 700 Gebäuden befanden sich nach einer Auflistung der Stadtverwaltung die Universität – am Jahrestag ihrer Gründung –, Kliniken, das Stadttheater, das Rathaus, das Beethovenhaus, Schulen und Kirchen, zum Beispiel die Kreuzkirche und die im 13. Jahrhundert erstmals erwähnte Gertrudis-Kapelle in der Giergasse, deren Andenken Curt Delander im Frauenmuseum bewahrt. In Beuel wurden vor allem an der Rheinfront 100 Gebäude vernichtet, 1100 beschädigt. Insgesamt 2000 Tote durch Luftangriffe waren in der Stadt zu beklagen, 400 Tote an jenem Tag vor 70 Jahren. 1000 Menschen wurden verletzt, 20 000 verloren ihre Wohnungen.

Wenn sich die Überlebenden mit ihren Handkarren voller letzter Habseligkeiten auf der Straße trafen, grüßten sie sich lakonisch „Sin Se auch total?“ „Ausgebombt“, hieß das, erklärt die heute 89-jährige Marga Werker in dem Film und lacht. Es ist das Lachen der Davongekommenen.