Kind von Marmorstele erschlagenKünstlerin angeklagt – gespenstische Szene vor Gericht

Petra Siering neben ihrem Verteidiger vor der Verhandlung
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- Am 16. März 2018 wird ein zehnjähriger Schüler unter einer ihrer Marmorstelen begraben und stirbt.
- Die Künstlerin der Stele wird angeklagt. Die Eltern sagen, sie wollen keine Rache.
- Auf beiden Seiten hat der schicksalhafte Tod des Kindes das Leben verändert.
Bonn – Die Szene im Gerichtssaal am Donnerstag gespenstisch: Auf der Anklagebank Petra Siering, die 65-jährige Bildhauerin, vor deren Ateliertüren ein Kind auf furchtbare Weise sein Leben verloren hat. Der zehnjährige Schüler war ausgerechnet unter einer ihrer Marmorstelen begraben worden und starb am 16. März 2018 noch am Unfallort. Der Bonner Künstlerin gegenüber saßen die Eltern des Jungen, versteinert.
Fünf lange Prozess-Stunden haben sie geschwiegen und ihre Tränen leise weggedrückt. Sie wollen keine Rache, hatte ihre Anwältin versichert, sie wollen wissen, was damals passiert ist. Und ob es einen Verantwortlichen gibt? Auf beiden Seiten hat der schicksalhafte Tod des Kindes das Leben verändert. Aber auch für die vielen, die noch versucht haben, den Jungen zu retten.
Amtsrichterin entschied: Keiner ist Schuld
Am Ende stand für Amtsrichterin Kerstin Ritter-Heuser gestern fest: Für diesen Tod ist keiner verantwortlich zu machen. Auch nicht die angeklagte Künstlerin. Deswegen war sie vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen freizusprechen. Der 65-jährigen Bonner Preisträgerin war vorgeworfen worden, ihre mannshohen Skulpturen, Granit- und Marmorplatten ungesichert vor ihrem Künstler-Atelier abgestellt und nicht auf ihre Standfestigkeit überprüft zu haben. Aber von dem Vorwurf rückte selbst die Staatsanwältin ab und plädierte ebenfalls auf Freispruch.
Keiner habe sich ein solches Szenario vorstellen können, hieß es dann auch in der Urteilsbegründung. Weder die Künstlerin selbst, die seit 35 Jahren mit dem schweren Marmorsteinen aus Carrara arbeitet und noch nie einen Unfall erlebt hat, auch nicht die auf dem Gelände benachbarten Pädagogen des Vereins „Abenteuer lernen“ oder auch die beiden langjährigen Helfer der Künstlerin, die in regelmäßigen Abständen an ihren schweren Skulpturen im Atelierhof rütteln, um zu prüfen, ob sie wackeln.
Am Ende noch nicht mal der Gutachter, der – da es keine DIN-Vorschriften für die Befestigung von Kunstwerken gibt – eine fiktive Rechnung vornahm, die letztlich keiner verstand. Nur, dass bei einem Orkan auch eine Stele von 500 Kilo und 1,84 Meter zum Kippen gebracht werden kann. Aber in den vergangenen acht Jahren – so lange Stand die Stele an diesem Platz – hatte es mindestens fünf gravierende Stürme gegeben, ohne dass er Steine aus den Angeln gehoben hätte.
Der Junge starb auf dem Weg ins Krankenhaus
Aber eine übermütige Geste des Zehnjährigen brachte offenbar den Stein zu Fall, wie gestern sein Freund unter Ausschluss der Öffentlichkeit erzählte, der Augenzeuge des Unfalls war: Sein Freund habe seinen Fuß gegen die Skulptur gestellt, den Stein umklammert und daran gezogen, um ihn zum Kippen zu bringen. Er habe ihn noch gewarnt, so der Elfjährige, und gesagt, „Lass das, das gibt Ärger!“ Denn den Kindern des Vereins war verboten, die Steine zu berühren (nicht wegen der Gefahr, die von ihnen ausgehen könnte, sondern um sie nicht zu beschädigen).
„Als die Marmor-Stele tatsächlich nachgab“, so die Richterin, „und auf ihn zustürzte, hatte er keine Chance mehr, auszuweichen und wurde darunter begraben.“ Alle Rettungsversuche halfen nicht, der schwer verletzte Junge starb auf dem Weg ins Krankenhaus.
Petra Siering war erleichtert, dass ihr die Schuld genommen wurde. Aber froh war am Ende des Prozesses keiner: „Jedes Mal wenn ich daran denke, bekomme ich einen Herzkrampf“, hatte die 65-jährige im Prozess gestanden. Die Tragödie gehe ihr sehr nach.