Cum-Ex-VerfahrenWie Bonn mit einem riesigen Strafverfahren umgeht

Viel los auf der Anklagebank beim Prozessauftakt am 4. September: Die Angeklagten (3.v.l., und r.) stehen zusammen mit ihren Verteidigern, Übersetzern und Vertretern verschiedener Banken im Bonner Landgericht.
Copyright: Benjamin Westhoff
- Mit den Cum-Ex-Verfahren verhandelt das Landgericht Bonn eines seiner größten Verfahren überhaupt.
- Alleine die Hauptakte des Prozesses ist 20 000 Blatt dick.
- Sollte es im ersten Prozess ein Urteil geben, fängt die richtige Aufgabe für die Verantwortlichen aber gerade erst an.
Bonn – Vor zwei Jahren noch galt „Cum Ex“ im Hause Justitia als höchste Geheimsache. Eine Chiffre für einen höchstbrisanten Fall, über den auf den Gerichtsfluren nur konspirativ gesprochen wurde. Bis Anfang 2018 endgültig klar war: Das Bonner Landgericht wird der juristische Schauplatz für den sogenannten Cum-Ex-Skandal, den manche für den größten Steuerraub der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte halten. Mit anderen Worten: „Cum Ex“ steht auch für eine der größten prozessualen und auch logistischen Herausforderungen am Landgericht in Bonn.
„Kein Gericht sehnt sich nach so einem Großverfahren“, räumt Landgerichtspräsident Stefan Weismann ein, „denn es sprengt vom Umfang her die normale Belastung einer Strafkammer.“ So wie andere Verfahren auch, beispielsweise der WCCB-Betrugsprozess gegen den südkoreanischen Investor Man-Ki Kim, der in Bonn fast zwei Jahre gedauert hat, das Love Parade-Verfahren in Düsseldorf oder die juristische Aufarbeitung des Archiveinsturzes in Köln.
Große Verfahren
Das Landgericht Bonn stand schon häufiger im Focus großer Verfahren. Dazu gehört an vorderster Stelle der Prozess gegen den ehemaligen Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, der anderthalb Jahre dauerte und am 16. Februar 1987 endete. Er war im Zusammenhang mit der Flick-Affäre, in der es um verdeckte Parteispenden ging, angeklagt worden und wurde wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 180 000 D-Mark verurteilt. Wegen des großen Medienandrangs wurde für dieses Verfahren erstmals ein „Pressezimmer“ eingerichtet, das mit fünf Telefonzellen ausgestattet war.
14 Monate wurde gegen einen ehemaligen SS-Kommandeur verhandelt, der wegen Mitwirkung an Judendeportationen nach Auschwitz angeklagt worden war, im November 1988 aber freigesprochen wurde.
Das größte Insolvenzverfahren in der deutschen Wirtschaftsgeschichte betraf ehemalige Manager des Billigstromanbieters Teldafax. Das Gericht sichtete in zwei Jahren insgesamt 1300 Urkunden und hörte 60 Zeugen. Am Ende kamen die Angeklagten mit Bewährungsstrafen davon. (ucs)
Aber, so hält Weismann im Gespräch mit dieser Zeitung gleich dialektisch dagegen: „Ein Rechtsstaat muss auch solche Verfahren bewältigen und darf nicht vor komplizierten Geflechten kapitulieren.“ Oder wie es ein Beobachter am Rande des geglückten Prozessstarts formulierte: „Jeder soll wissen: Wir haben auch bei großen Fischen die Angel draußen.“ Entsprechend wurde das anrollende Cum-Ex-Verfahren in Bonn von Anfang an sehr hochgehängt und mit aller Sorgfalt angegangen.
20000 Blatt starke Hauptakte
Die Bonner hatten viel Zeit, sich auf das komplexe und umfangreiche Verfahren, deren Hauptakte nebst Sonderheften und Beiakten rund 20 000 Blatt zählt, vorzubereiten. Denn die Staatsanwaltschaft in Köln, eine Schwerpunkt-Behörde für Steuerstrafrecht, hatte bereits Ende 2017 erste Hinweise gegeben, dass das Mammutverfahren auf das hiesige Landgericht zukommt. Der Grund: In Bonn ist der Sitz des Bundeszentralamtes für Steuern.
Das Präsidium des Bonner Landgerichts hat sofort reagiert: Im März 2018 wurde – neben den zwei bestehenden – eigens für das erste Strafverfahren in Sachen „Cum Ex“ eine neue Wirtschaftsstrafkammer eingerichtet, die 12. Große Strafkammer. Für sie wurden drei Berufsrichter – ein Vorsitzender und zwei Beisitzer – vom Land NRW zusätzlich bewilligt und für die Vorbereitung des steuerlichen Milliardenbetrugsfalls weitgehend freigestellt, damit sie sich im internationalen „Irrgarten des Geldes“ orientieren und im komplexen Spezialgebiet von Steuerrecht und Wertpapierhandel „einarbeiten und fit machen“ (Weismann) konnten. Immerhin sei es „ein Musterprozess von großer wirtschaftlicher, aber auch juristischer Bedeutung“, von dessen Ausgang viel abhänge.
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Allein die praktischen Vorbereitungen waren ungewöhnlich: So musste vorab die Anklageschrift gegen zwei britische Aktienhändler, die den deutschen Staat um 440 Millionen Euro betrogen haben sollen, in englische Sprache übersetzt werden. Parallel haben drei Bonner Dolmetscherbüros an den 653 Seiten mit der schwierigen Spezialmaterie ein halbes Jahr lang gearbeitet. Und damit der zweisprachige Prozess durch langwierige, zumeist ins Ohr der Angeklagten gesprochene Übersetzungen nicht in die Länge gezogen und eine mühsame Performance wird, haben die Bonner eigens für das Verfahren eine Dolmetscherkabine installiert, sodass simultan übersetzt werden kann. Einen Tag vor dem großen prozessualen Showdown wurde das Sprachcockpit in den größten Gerichtssaal eingebaut.
Urteil könnte weitere Verfahren ins Rollen bringen
Falls es zu einer rechtskräftigen Verurteilung der beiden Briten kommen sollte, so die Prognose des Landgerichtspräsidenten, „dann geht es in Bonn erst richtig los. Dann werden viele weitere Cum-Ex-Verfahren, auch mit prominenteren Angeklagten, auf uns zurollen – und uns mindestens zehn weitere Jahre beschäftigen“. Auch darauf ist das Gericht eingestellt: Vorsorglich wurde eine weitere Wirtschaftsstrafkammer (die Dreizehnte) eingerichtet, die heute zwar noch ein „Dummy“ ist, aber sofort ihre Arbeit aufnehmen könnte.
„Wir sind gut vorbereitet, hoffe ich“, formuliert es Weismann nach dem Prozessauftakt, der weltweit bis nach Australien wahrgenommen wurde und mit „viel Rückenwind“ auch der internationalen Presse gestartet ist. Die Traumvorstellung des Behördenchefs: „Dass am Ende alle sagen werden: Der Gerichtsstandort Bonn hat seine Aufgabe mit Bravour erfüllt. Hier wurde handwerklich richtig und sauber gearbeitet.“