DoppelmordWie der Bonner Jens Söring 12.262 Tage US-Haft überstand

Der Bonner Jens Söring wurde nach über 30 Jahren Haft in den USA nun freigelassen.
Copyright: SWR/Filmperspektive GmbH
- Aus Liebe begann Jens Söring 1986 den Fehler seines Lebens.
- Ein hoch emotionaler, jahrelanger juristischer Kampf stand bevor.
- Doch Jens Söring gab nicht auf und hat jetzt Erfolg.
Bonn – Welch eine Zahl: 12.262 Tage – so lange sitzt Jens Söring im Gefängnis, 33 Jahre, 6 Monate und 25 Tage. Jetzt aber soll der Deutsche, der 1990 wegen Doppelmordes an den Eltern seiner damaligen Freundin in den USA zu zweimal lebenslanger Haft verurteilt worden war, freikommen. Häftling Nr. 1161655 wird die Justizvollzugsanstalt in Dillwyn im US-Bundesstaat Virginia verlassen können.
Allerdings weiter mit dem Makel, ein Doppelmörder zu sein. Gouverneur Ralph Northam, ein Demokrat, hat ihn nicht begnadigt, nur seine Freilassung bestätigt. Der Begnadigungsausschuss (Parole Board) von Virginia hatte zuvor einem Bewährungsantrag stattgegeben, nachdem er ihn jahrelang abgelehnt hatte, hält aber Medienberichten zufolge die Behauptung Sörings, er sei unschuldig, für „unbegründet“. „Sie wollen keine Gerechtigkeit“, twitterte der 53-Jährige gestern.
Der Fehler seines Lebens
Der Fall, der Justizgeschichte geschrieben hat, ist bizarr. Jens Söring wird 1966 in Bangkok als Sohn eines deutschen Diplomaten geboren und wächst in Bonn auf. Weil seiner Mutter die Wohnung unweit des Verteidigungsministeriums auf der Hardthöhe zu klein gewesen sei, habe sein Vater sich ans Generalkonsulat in Los Angeles versetzen lassen, schreibt Söring in seinem Erinnerungsbuch „Nicht schuldig“. Er wächst in den USA auf, bekommt ein Hochbegabtenstipendium für die Universität Virginia. 1985, sein Vater ist damals Konsul in Detroit, macht der 18-Jährige den Fehler seines Lebens.
Auf der Uni hat er die zwei Jahre ältere Elizabeth (Liz) Haysom kennengelernt, Tochter eines wohl angesehenen Industriellenehepaar aus Bedford County. Die hübsche und sexuell erfahrene Liz ist Jens‘ erste Freundin, hat aber ein Drogenproblem. Am 30. März 1985 werden ihre Eltern Derek und Nancy Haysom in ihrem Haus ermordet.
Es muss ein Gemetzel gewesen sein, beide sind mit Dutzenden von Messerstichen, teilweise bis in die Halswirbelsäule, umgebracht worden. Am Tag des Mordes, so erzählt es Söring später, sei er mit seiner Geliebten zu einem Wochenendtrip nach Washington aufgebrochen, Liz sei noch einmal weggefahren und verstört ins Hotel zurückgekehrt: „Ich habe meine Eltern getötet, es waren die Drogen“, soll sie ihm gestanden haben. Der verliebte junge Mann verspricht ihr, sie vor dem elektrischen Stuhl zu bewahren.
„Er wollte der ,weiße Ritter‘ sein“
Als die Polizei bei den Mordermittlungen das Paar ins Visier nimmt, flüchtet es um die halbe Welt bis nach London. Dort leben sie von Scheckbetrügereien und logieren in einer Ferienwohnung in der Baker Street. „Das Leben war schön,“ erinnert sich Söring an die Zeit. Am 30. April 1986 aber ist es damit vorbei, sie werden wegen Betrugs verhaftet.
Die Detektive von Scotland Yard haben schnell die Identität der beiden ermittelt und bringen sie mit dem grausamen Doppelmord in Virginia in Verbindung. Beide gestehen die Bluttat.
Der Deutsche sagt später, er habe es getan, um Liz zu schützen: „Es war das Ergebnis eines romantischen Idealismus“, interpretiert er das Geständnis heute. „Er wollte der ,weiße Ritter‘ sein“, erklärte vor Jahren Sörings deutscher Anwalt Professor Dr. Andreas Frieser von der Bonner Kanzlei Redeker Sellner Dahs gegenüber der Rundschau das Verhalten seines Mandanten, den er und sein Kollege Dr. Christian Mensching unentgeltlich („pro bono“) betreuen.
Jahrelanger juristischer Kampf
Jens Söring glaubt, er genieße wie sein Vater diplomatische Immunität, müsse daher nur ein paar Jahre in Haft sitzen. Ein Irrtum: „Wenn ich damals bloß gewusst hätte, was ich heute weiß,“ hat er gestern getwittert. Seit jenem 30. April 1986 ist er nicht mehr in Freiheit gewesen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Elizabeth Haysom wird sofort in die USA ausgeliefert; sie beschuldigt in ihrem Prozess 1987 ihren Ex-Freund des Mordes und bekennt sich der Anstiftung für schuldig; das Gericht verurteilt sie zu 90 Jahren Haft. Auch die heute 55-jährige gebürtige Kanadierin ist begnadigt worden und wird in ihr Heimatland abgeschoben.
Um Söring, der in London einsitzt und nun seine Unschuld beteuert, beginnt ein jahrelanger juristischer Kampf. Erst nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, vor dem Söring geklagt hatte, wird er 1990 in die USA ausgeliefert, nachdem sie zugesichert hatten, den Deutschen nicht zum Tode zu verurteilen.
Söring wird verurteilt - zweimal lebenslänglich
Der Prozess in der Kleinstadt Bedford (Virgina) ist emotional hoch aufgeladen, der Richter gilt als Bekannter des ermordeten Ehepaars, Sörings Verteidiger soll später zugegeben haben, er habe während des Verfahrens Drogen genommen. Nachdem ein Gutachter einen am Tatort gefundenen Sockenabdruck dem Angeklagten zugeordnet hatte, spricht ihn die Jury schuldig, seinem Widerruf des Geständnisses wird nicht geglaubt. Zweimal lebenslänglich, lautet das Urteil.
Seitdem nutzt Jens Söring alle juristischen Möglichkeiten. Er geht in Berufung -abgelehnt, versucht, das Urteil vor dem Obersten Gerichtshof in Washington aufheben zu lassen – vergeblich. Jetzt muss der Häftling seine Unschuld beweisen, um den Knast verlassen zu können.
Eigentlich spricht alles für Sörings Unschuld
Er gewinnt dafür einen großen Unterstützerkreis. Ein ehemaliger Ermittler der Mordkommission erklärt öffentlich, der Deutsche sei nicht schuldig.
Gerichtsmediziner aus Virginia haben 42 Blutspuren vom Tatort untersucht und festgestellt, dass keine Söring oder Liz Haysom zuzuordnen seien. 2017 erklärt ein Forensiker, die in der Villa des Industriellen gefundene DNA lasse den Schluss zu, dass dort zwei unbekannte Männer Blut hinterlassen haben. Ein Verhörspezialist wertet Tonbänder und Protokolle der Vernehmung Sörings aus und kommt zu dem Schluss, dessen Geständnis sei falsch.
Ein FBI-Täterprofil, das in den Prozess nicht eingebracht worden war, deutet auf eine Frau als Mörderin hin, die eine enge Beziehung zu den Opfern gehabt habe. Ein Privatdetektiv stellt neue Ermittlungen an, eine ehemalige stellvertretende Justizministerin Virginias setzt sich für Häftling Nr. 1161655 ein. Doch es hilft nichts. Der Parole Board lehnt die Bewährungsanträge wiederholt ab.
Söring soll nach Deutschland überführt werden
Jetzt kommt die Politik ins Spiel. In Deutschland wird über den Fall berichtet, und in Berlin starten Versuche, den Landsmann in seine Heimat überstellen zu lassen. 54 Abgeordnete des Bundestages appellieren im Juni 2012 an den damaligen Gouverneur von Virginia, Söring in deutsche Haft zu überführen.
Das ist ein Versuch, die Amerikaner das Gesicht wahren zu lassen, die einen verurteilten Doppelmörder nicht einfach aus dem Knast spazieren sehen wollen. Das käme nicht gut an beim Wahlvolk. Der Gefangene sollte also nach Deutschland überstellt und dort für zwei Jahre ins Gefängnis gesteckt werden. Doch der Deal scheitert.
Überraschende Entscheidung
Zur 13. Anhörung Sörings vor dem Bewährungsausschuss im Oktober 2017 reisen auch der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff und der deutsche Botschafter Peter Wittig nach Virginia, um sich für den inzwischen 51-Jährigen einzusetzen. Das Gremium lehnt ebenso ab wie am 30. Januar 2019 den 14. Begnadigungsversuch.
Aber der Häftling mit der großen Brille gibt nicht auf, unterschreibt erneut einen Antrag – und hat jetzt Erfolg. Die überraschende Entscheidung der Kommission wird nach Angaben von Rechtsanwalt Mensching mit dem jugendlichen Alter Sörings zur Tatzeit Mitte der 1980er Jahre, der guten Führung im Gefängnis und der Dauer der Inhaftierung begründet.
Söring hatte mal erklärt, er wolle nach seiner Freilassung in ein Kloster gehen. Inzwischen aber hat er nach eigener Aussage den Glauben an Gott verloren. Nun möchte er nach seiner Rückkehr als Schriftsteller arbeiten.