Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Bonner WerkstättenMitarbeiter mit Handicaps berichten über die dramatische Flut

Lesezeit 5 Minuten
Meckenheim_Bonner_Werkstaetten_Flutkatastrophe__01

Dramatische Momente erlebten auch Inge Zimmer und Heiko de Vries, die bei den Bonner Werkstätten arbeiten

Meckenheim/Swisttal – Die Flutkatastrophe Mitte Juli traf auch das Werk 3 der Bonner Werkstätten der Lebenshilfe in Meckenheim. Allerdings hielten sich dort die Schäden in Grenzen. Laut Pressesprecherin Tanja Laidig waren der Garten und der Essensbereich betroffen.

Wohnheim der Lebenshilfe unter Wasser

Ganz anders sah es bei einigen der Mitarbeitern aus, die in den Behindertenwerkstätten der Lebenshilfe arbeiten. Durch ihre Handicaps sahen sich einige mit ganz besonderen Herausforderungen konfrontiert, als die Fluten kamen. So stand auch das Wohnheim der Lebenshilfe in Heimerzheim unter Wasser. Eine Familie musste ausziehen und kam zunächst bei einem Betreuer unter.

Alle packten mit an

Großgeschrieben wurde wie andernorts auch die Solidarität: „Wo und wann immer wir konnten, haben wir von den Bonner Werkstätten Betroffenen unsere Fahrzeuge zur Verfügung gestellt, damit sie mobil waren, um wieder zur Arbeit zu kommen“, erklärte Laidig. Kolleginnen und Kollegen packten auch mit an und halfen denen, die in Not geraten waren. Unterstützung kam auch von der Stadt Meckenheim, die Notunterkünfte bereitstellte, andere kamen bei Freunden oder Verwandten unter.

Versucht, die Habseligkeiten zu retten

„Plötzlich war der Strom weg, dann kam er wieder, dann war er wieder weg“, erinnert sich Inge Zimmer (40), die im Meckenheimer Werk im Büro arbeitet. Sie leidet an kortikaler Blindheit und kann zwar Farben und Hell-Dunkel-Kontraste wahrnehmen, sieht das meiste aber verschwommen und ist auf einen Taststock angewiesen. „Gott sei Dank war mein Freund bei mir, als das Hochwasser kam“, schilderte Inge Zimmer, deren Eltern in Flerzheim leben. Als die Katastrophe ihren Lauf nahm, war sie gerade in dem Rheinbacher Stadtteil: „Als wir gemerkt haben, dass der Swistbach über die Ufer tritt und die Straße auf einmal unter Wasser steht, sind wir sofort ins Haus gegangen.“ Obwohl Stufen hinaufführten, war dem Paar schnell klar, dass das Wasser eindringen würde. Ihre Eltern, die im Erdgeschoss wohnten, waren zur Zeit der Katastrophe im Urlaub. Inge Zimmer konnte trotz ihres Handicaps erkennen, wie das Wasser minütlich anstieg. Sie und ihr Lebensgefährte versuchten, möglichst viele Dinge aus dem Erdgeschoss in die obere Etage zu retten.

Dabei verließ sich Inge Zimmer auf ihr Erinnerungsvermögen. Sie wusste, an welchen Plätzen ihre Eltern bestimmte Dinge aufbewahrten und konnte sie auf diese Weise vor dem Wasser schützen. Dann brachten sie sich selbst in der ersten Etage in Sicherheit. „Wir haben von oben gehört, wie unten die Sachen im Wasser schwammen. Ein Sessel hat sogar die Haustüre versperrt.“ Hilfe kam später von Verwandten und der Feuerwehr, die die Haustür aufbrachen und den Keller leerpumpten. Besonders schlimm sei für sie gewesen, dass es keinen Handyempfang mehr gab und auch keine Möglichkeit, den Akku aufzuladen. Ihr Smartphone gibt ihr eine große Sicherheit, sich im Alltag zurechtzufinden. Die 40-Jährige konnte bei ihrem Freund unterkommen, der in Rheinbach ein Haus hat. Dort wohnen nun auch ihre Eltern. Sie kommt nach eigenen Worten gut klar, da ihr Freunde und die Familie helfen, unter anderem beim Ausfüllen von Anträgen, was sie aufgrund ihrer Sehbehinderung nicht ohne weiteres kann.

Das Drama setzt ungeahnte Kräfte frei

Eine unglaubliche Energie brachte Heiko de Vries in der Flutnacht auf. Der 52-Jährige, der durch eine linksseitige Lähmung körperlich eingeschränkt ist und in der Holzbearbeitung im Meckenheimer Werk arbeitet, ist in Ollheim Eigentümer eines Bungalows an der Autobahn 61, in dem sich auch Mietwohnungen befinden. Als das Unheil seinen Lauf nahm, wurden sämtliche Wohnungen bis zur Decke überspült. Eine Mieterin hatte gerade ein drei Monate altes Baby und war voller Panik, als das Wasser kam: „Sie saß schon auf dem Fensterrahmen, ich habe das Baby auf meine Schulter genommen und konnte Mutter und Kind evakuieren.“ Das Wasser stand dem 1,80 Meter langen Mann bis zur Brust. Er hangelte sich am Gartenzaun entlang, versuchte Hilfe zu holen. Es gelang ihm trotz seiner Behinderung, die Frau mit ihrem Kind zu retten. Auf der nahe gelegenen Autobahnbrücke waren sie dann in Sicherheit. Auch einem anderen Mieter und seinem Hund half de Vries aus den Fluten. Außer ein paar Schrammen und Kratzern am Bein habe er keine weiteren Blessuren davongetragen: „Allerdings war ich danach total fertig. Wie ich das alles geschafft habe, weiß ich heute nicht mehr, ich habe es einfach getan und nicht groß nachgedacht.“

Plünderungen sind ein großes Ärgernis

Als der Starkregen nachließ, erkannte Heiko de Vries das Ausmaß der Schäden. Sein altes Haus ist zerstört, ein Wiederaufbau lohnt sich nicht mehr. Er möchte das, was noch übrig ist, verkaufen und in eine Wohnung ziehen. Derzeit lebt er bei einer älteren Dame. Den Kontakt vermittelte die Gemeinde Swisttal. Auch seine Mieter fanden eine neue Bleibe.

Was ihn am meisten ärgert, sind Menschen, die das Hab und Gut der Betroffenen plünderten. De Vries hatte ein paar Dinge im Garten gelagert, die noch brauchbar waren. Sie wurden gestohlen. Auch von Vandalismus weiß er zu berichten. So sollen Leute in Häuser eingedrungen sein und mutwillig Dinge zerstört haben, die noch in Ordnung waren, Waschbecken oder Badewannen beispielsweise.

Dankbar sind sowohl Inge Zimmer als auch Heiko de Vries all jenen Menschen, die ihnen in ihrer Not geholfen haben. Sowohl den Kolleginnen und Kollegen der Bonner Werkstätten, aber auch Unbekannten, die mit anpackten oder das Nötigste organisierten, von Lebensmitteln bis hin zu Hygieneartikeln.