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Familie harrt neben Fluthaus ausWie eine Familie aus Swisttal um ihr Haus kämpft

Lesezeit 7 Minuten
Kirsten Cramer zeigt auf ihr Haus am Orbach, das wegen seiner Schäden nicht zu sanieren ist.

Ihr Haus in Odendorf am Orbach hat Kirsten Cramer aufgegeben. Seit über einem Jahr ringt sie um den Abriss.

Seit der Flutkatastrophe vom 14. Juli 2021 kämpft die Familie Cramer aus Swisttal-Odendorf gegen Versicherung und Baubehörde um den Wiederaufbau ihres Hauses. Eltern und Kinder warten in einem Wohnwagen auf Genehmigungen.

Schimmel, Risse, ein schrumpfender Untergrund – das gelbe Haus der Familie Cramer am Orbach in Odendorf ist wegen der Flut nicht zu retten. Doch es bedurfte über ein Jahr Hartnäckigkeit, damit die Versicherung das auch so sah. Nun fehlen noch Abriss- und Neubaugenehmigung. 

Kirstin Cramer und ihr Mann Ludwig Profittlich-Cramer harren derweil neben dem ebenfalls unbewohnbaren Haus ihrer Eltern in einem Wohnwagen aus, damit auch sie endlich mit dem Wiederaufbau beginnen können. Einige im Ort sind schon so gut wie fertig damit.

Die Flut hat der Familie Cramer nicht bloß ein schon 18 Monate währendes Dauercamping aufgezwungen, sondern auch ihr Misstrauen gegen Behörden und Versicherungen vertieft. „Selbst wenn jetzt die Abrissgenehmigung kommen sollte: Ohne Baugenehmigung fangen wir damit nicht an!“, erklärt Kirsten Cramer entschlossen. Die 51-Jährige weiß, dass ansonsten der Bestandsschutz erlischt und sie nicht mehr direkt an der Straße neu bauen dürfte. „Dann müssten wir das Haus drei Meter zurücksetzen, aber das gibt das Grundstück nicht her.“

Da hätten wir irgendwann nur ein teureres Gartengrundstück übrig.
Kirsten Cramer über empfohlene Baueinschränkungen

Im Kampf gegen die Bürokratie hat sie schon einige Niederlagen erlebt: Die Baubehörde pocht trotz Wiederaufbaus auf einen „Stellplatznachweis im Baufeld“ und legte nah, im Erdgeschoss gar keine Wohnräume mehr einzurichten. Die Cramers ließen entsprechende Pläne anfertigen, fügten auf dem Papier nach hinten raus Ersatzräume an.

Prompt gab es – nicht das erste Mal – Widerstand bei der Versicherung. „Da hieß es, das seien ja 200 Quadratmeter mehr als vorher. Das würden sie nicht bezahlen und rieten zu einer Bauvoranfrage, um die Notwendigkeit der Erweiterung belegen zu können.“ Doch der Kreis wollte auf eine Bauvoranfrage, wie die Cramers sagen, keine flutbedingten Baueinschränkungen festzurren. „Da hieß es dann, das sei bloß eine Empfehlung.“

Die aktuellen Baupläne, die der Architekt einreichte, sehen dennoch im Erdgeschoss bloß Garage und Nebenräume vor, um Probleme zu vermeiden. Die Cramers sind inzwischen sogar froh, das Haus aus den 30er Jahren, das sie 2008 kauften und mit neuer Elektrik sowie einem neuen Dach ausstatteten, abzureißen. „In der Flutnacht sind sechs Autos und Bäume gegen das Haus gedonnert“, erklärt Profittlich-Cramer.

Eine neue Tür im Haus der Eltern, ungenutztes Baumaterial und Wohnwagen im Hof – so lebt die Familie Cramer

Eine neue Tür im Haus der Eltern, ungenutztes Baumaterial und Wohnwagen im Hof – so lebt die Familie Cramer

Doch im Falle eines Abrisses habe die Versicherung zunächst bloß 80 000 Euro zahlen wollen. Der von ihr bestellte Gutachter hatte die Möglichkeit zur Sanierung nicht ausschließen können. „Dabei hat er uns damals gesagt: ‚Was soll ich hier? Das Haus ist Schrott!‘“

Erst ein vom Info-Point im Ort vermittelter zweiter Gutachter brachte den Sanierungsplan zum Kippen. „Er fand im Haus Schimmel und Algen“, sagt Profittlich-Cramer, der an einer Lungenkrankheit leidet: „Da wäre ich nicht mehr freiwillig eingezogen.“

Kurz vor Weihnachten lenkte die Versicherung ein und empfahl „aus wirtschaftlichen Gründen“ den Abriss. Der Architekt hatte allein für die Sicherung der Fassade 160 000 Euro veranschlagt. Erste Angebote von Handwerkern für einen Teil der Sanierung summierten sich bereits auf 260.000 Euro. Cramer: „Der Zimmermann fand, guten Gewissens könne er kein Dach auf diese Mauern setzen.“

Wie die Katastrophe ihren Lauf nahm

Als am 14. Juli 2021 die Flut das Obergeschoss von Cramers Haus erreichte, rettete sich die Familie auf das Dach eines Anbaus. Ein Foto auf seinem Handy zeigt die Flut. „Danach ist das Wasser noch 40 Zentimeter gestiegen“, sagt Profittlich-Cramer: „Wir saßen da und dachten, dass uns einer holen kommt. Die Feuerwehr oder ein Hubschrauber. Aber das war nicht so.“ Seine Frau wirft ein: „Die Feuerwehr kam wegen der Strömung selbst nicht durch, wie meine Schwester am Telefon erfuhr.“

Das Handyfoto aus der Flutnacht hat Ludwig Profittlich-Cramer immer dabei. Es zeigt, wie am Abend das Wasser bis zum Obergeschoss anstieg. Nach dem Foto noch 40 Zentimeter.

Das Handyfoto aus der Flutnacht hat Ludwig Profittlich-Cramer immer dabei. Es zeigt, wie am Abend das Wasser anstieg. Nach dem Foto noch 40 Zentimeter.

Als die Feuerwehr am nächsten Tag doch eintraf, mussten die Cramers binnen zehn Minuten ihr Haus verlassen. „In der Nachbarschaft war Gas ausgeströmt, und wir sollten bloß Sachen für zwei Tage mitnehmen. Da ohnehin alles nass war, dachte ich, mit einer Unterhose kommst Du auch mal zwei Tage aus. Doch dann saßen wir in Rheinbach fest“, berichtet Kirsten Cramer.

Sie erinnert sich auch nur zu gut an das Hickhack in der Zuständigkeit, als die Rheinbacher erfuhren, dass Dutzende Swisttaler bei ihnen in der Stadthalle saßen. Auf Bürgermeisterebene ging es um die Kostenübernahme. Nach vier Tagen mit Rückkehrverbot seien die Evakuierung aufgehoben und das Catering eingestellt worden.

Soldaten teilten mit Flutbetroffenen ihre Mahlzeiten

Die Cramers haben den Oberst in guter Erinnerung, der die Betreuung in Rheinbach auf eigene Kappe fortsetzte: „Die Soldaten haben sogar mit uns ihre Mahlzeiten geteilt.“ Die Gemeinde Swisttal habe zwar ein Hotel bei Bonn gebucht, aber dort habe am späten Abend ohne Ankündigung niemand hin gewollt, zumal nicht klar gewesen sei, wer zahlen sollte.

Letztlich durfte die Familie vorübergehend in ein Wohnheim der Glasfachschule einziehen: „Die Heimleitung war mit 36 Euro je Nacht einverstanden. Von dort aus hätten wir zur Not zu Fuß nach Hause gehen können.“ Später gab es für die neunköpfige Familie eine Kostenübernahmeerklärung aus Swisttal – bis zum Ende der Sommerferien.

Im Wohnwagen arbeitet Kirsten Cramer. Er ist ihr Homeoffice, ihr Mann schaut Prospekte für den nächsten Campingurlaub.

Im Wohnwagen arbeitet Kirsten Cramer. Er ist ihr Homeoffice, ihr Mann schaut Prospekte für den nächsten Campingurlaub.

Die Stadt Rheinbach bemühte sich sogar um Ersatzwohnungen. Nach Frechen-Königsdorf wollten die Cramers aber nicht, auch nicht nach Euskirchen-Kuchenheim. „Lilly sollte gerade eingeschult werden und Luis in die fünfte Klasse wechseln“, erklärt die Mutter. Und für den Vater kam die Wohnung in Kuchenheim aus anderen Gründen nicht infrage: „So kurz nach der Flut wollte ich auf keinen Fall in eine Kellerwohnung ziehen.“

Tagelang waren die Cramers von Informationen abgeschnitten, und mit dem Schulstart begann das Leben im Wohnwagen. „Wir kannten das ja schon von den Traktorentreffen, die wir regelmäßig mit den Wohnwagen besucht haben“, sagt Ludwig Profittlich-Cramer.

Oldtimerfreunde aus der Umgebung – Vater Hans-Günter Cramer ist mit seinen 74 Jahren noch der Vorsitzende der „Oldtimer-Freunde Swisttal-Odendorf“ und die gesamte Familie in der Trekker-Szene aktiv – kamen sogar mit einem historischen Feuerwehrwagen zu Hilfe. „Selbst hier im Kuhstall, obwohl er viel höher liegt als das Wohnhaus, stand das Wasser bis zum Fenster und der Schlamm 60 Zentimeter hoch“, sagt Profittlich-Cramer.

Helfer aus dem befreundeten Morsbach, die mit Bussen anreisten, packten ebenfalls mit an, um vom Hausrat noch etwas zu retten. Das geborgene Hab und Gut aus drei Haushalten – auch die Schwester lebt hier nun in einem Wohnwagen – stapelt sich im ehemaligen Stall hinter einem Vorhang. „Damit dieses Wimmelbild aus den Augen ist und die Kinder nicht ihre Spielsachen rausholen, weil die hier nicht auf dem Boden ausgebreitet werden können“, sagt Kirsten Cramer.

Das Leben spielt sich im Kuhstall ab

Seit Helfer eine Heizung und einen Herd eingebaut und das einfach verglaste Stallfenster mit Dämmplatten abgedichtet haben, ist es mollig warm im Raum. Wenn Mutter Thea (71) kocht und die ihr von Helfern geschenkte Waschmaschine läuft, bringt das allerdings so viel Feuchtigkeit in den Raum, dass anschließend wieder das Trockengerät angeworfen werden muss. Zeitweise liefen drei davon, Kühlschrank und Mikrowelle mussten dann pausieren, damit die Stromleitung es verkraftete.

Die Großfamilie Cramer lebt mit neun Personen (im Bild Ludwig und Kirsten mit den Kindern Luis und Lilly sowie Oma Thea) tagsüber im alten Viehstall. Hier wird auch gekocht und gewaschen, was einen Lüfter notwendig macht. Hinter dem Vorhang ruhen die geretteten Überreste von drei Haushalten

Die Großfamilie Cramer lebt mit neun Personen (im Bild Ludwig und Kirsten mit den Kindern Luis und Lilly sowie Oma Thea) tagsüber im alten Viehstall. Hier wird auch gekocht und gewaschen, was einen Lüfter notwendig macht. Hinter dem Vorhang ruhen die geretteten Überreste von drei Haushalten

Eine Heizung gibt es gottlob auch im Wohnwagen, in dem die Familie schläft. Tagsüber ist der Wagen das Homeoffice von Kirsten Cramer: „Meine Chefin hat sehr viel Verständnis für meine Lage.“ Und das hängt ein wenig damit zusammen, dass Kirsten Cramer am Abend der Flut erstmal bei ihr in Euskirchen angerufen hat. „Sie wusste noch nichts von der Flut und wäre sonst schlafen gegangen – und wohl ohne diesen Anruf in ihrer Wohnung ertrunken.“

Den Schulstart habe das Engagement der Odendorfer Lehrerin Carola Preller erleichtert, die „Schule am Mittag“ ins Leben rief und den „Kinder und Jugendring Swisttal“ aktivierte. Psychische Betreuung soll bei den Konzentrationsproblemen helfen, unter denen Eltern und Kinder leiden, weil weder im Wohnwagen noch im Stall irgendwann Ruhe zu finden ist.

Die Cramers sind ihren Wohnwagen allerdings noch nicht leid. Sie wollen damit sogar in den Sommerurlaub fahren. Bis dahin haben sie vielleicht Gewissheit, wie es weitergeht.