Totschlagsprozess nach 16 JahrenEx-Mann legt umfangreiches Geständnis ab

Das Schwurgericht unter Vorsitz von Josef Janßen (2.v.l.) und den Richtern Anke Klatte und Rainer Holdorf will im Dezember ein Urteil fällen.
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Bonn – „Nein, nein, bis zum Schluss hätte ich das nicht gedacht“. Die 51-jährige Hausfrau kommt aus Rheinbach, dort wo Trudel Ulmen, die 41-jährige Arzthelferin, vor 16 Jahren getötet wurde. Wie viele andere wartete sie gestern bereits eine Stunde vor Prozessbeginn geduldig vor dem Schwurgerichtssaal S 0.11 des Bonner Landgerichts, um noch einen Platz zu bekommen. In dem Flur-Gespräch schüttelt schließlich auch ihre Freundin energisch den Kopf: „Man schaut eben immer nur auf ein Gesicht.“
Auch in das des Angeklagten, der sich seit Montag wegen Totschlags vor dem Schwurgericht verantworten muss. Der 57-Jährige soll nicht nur seine Frau mit einem Kissen erstickt und in einem Waldstück bei Bad Honnef verscharrt, sondern 16 Jahre lang die Familien, Polizeibeamte und letztlich auch sich über den wahren Verbleib seiner Frau belogen haben:
Zunächst erklärte er sie als vermisst, vier Tage später sagte er, seine Frau habe ihn aus dem Ausland angerufen, es gehe ihr gut. Und noch ein Gerücht wurde gestreut: Sie sei mit einem reichen portugiesischen Geschäftsmann abgehauen.
Der Angeklagte ist ein kranker Mann
Noch bevor die Gerichtstüren sich gestern öffneten und das Konterfei des Angeklagten von zahlreichen Kameras festgehalten wurde, gab sein Verteidiger Martin Kretschmer ein Statement: „Mein Mandant hat nach dem Geschehen versucht, eine normale, biedere Fassade aufzubauen. Er hat mit Hingabe weiter in seinem Beruf gearbeitet, hat noch zweimal geheiratet, auch zwei Kinder bekommen. Dennoch ist er mit der Tat nie fertig geworden. Es hat in ihm immer weitergebrodelt.“
Der 57-Jährige ist ein gebeugter Mann, der in einem sandfarbenen, kragenlosen Pulli, schwarzen Jeans, bunten Turnschuhen und in Handschellen zur Anklagebank geführt wird. Das Gesicht des Physiotherapeuten ist blass, weichlich, fast ein wenig aufgedunsen, ohne Konturen. Es ist eins, das wenig von sich verrät. „Ich habe das nicht gewollt, dass sie stirbt. Ich hatte die Kontrolle über mich verloren“, schwor er in seinem umfangreichen Geständnis. Auch seine Stimme ist weich, fast weinerlich. „Ich habe sie wirklich geliebt“, beteuerte er.
„Sie war meine erste Frau und es war die richtige. Wir hatten wirklich eine sehr, sehr gute Ehe.“ Drei Stunden wurde er gestern vernommen.
An dem Abend des 20. März 1996 habe es einen handfesten Streit zwischen ihnen gegeben, erinnerte er sich an den Tattag: Sie habe das Wochenende allein mit einer Freundin verbringen und er habe das verhindern wollen. In dem Streit hätten sie sich auch gegenseitig ihre alten Liebschaften vorgeworfen. Dann sei es eskaliert: „Ich habe nur gewollt, dass meine Frau aufhört zu schreien und um sich zu schlagen.“ Da habe er das Kissen genommen: „Ich weiß nicht, wie lange ich gedrückt habe. Als ich das Kissen wegnahm, sah ich nur noch die leeren Augen.“ Dann schluchzte er, legte seine Goldrandbrille zur Seite. „Diese Augen verfolgen mich schon seit 16 Jahren.“
Trotzdem hat er weiter gelebt, als wäre nichts passiert. Warum er nicht früher gestanden hat, wird er gefragt. Auch, warum er bis zu seiner Verhaftung in dem Haus gewohnt und sogar in dem Schlafzimmer geschlafen habe, in dem er seine Frau getötet habe: „Die Angst, vor dem, was kommt, hat mich abgehalten. Auch die Angst, ins Gefängnis zu kommen.“
Dort befindet er sich seit April 2012. Mittlerweile ist der 57-Jährige ein kranker Mann: Diabetes, Fußamputationen – eine Entzündung, so sagte er, „die untergründig Böses angerichtet hat“.
Der Angeklagte hat sich gestern auch bei der Familie der Toten entschuldigt für all „das Furchtbare, was ich ihr angetan habe“. Nicht nur, dass er der Familie gewaltsam die Tochter und Schwester genommen, sondern sie auch noch 16 Jahre belogen, im Ungewissen gelassen habe. Der 47-jährige Bruder der Toten ist als Nebenkläger im Prozess vertreten und sitzt dem ehemaligen Schwager direkt gegenüber: Obwohl er noch als Zeuge gehört wird, wollte er von Anfang an dabei sein. „Ich möchte möglichst viel mitbekommen, um zu verarbeiten.“
Die Tragödie wurde erst offenbar, als die Familie die Angehörige nach 16 Jahren für tot erklären lassen wollte – und das Amtsgericht Rheinbach eine entsprechende Erklärung veröffentlichte. Durch journalistische Recherchen wurde der Fall von den Bonner Ermittlern wieder aufgenommen.
Ein Reporter, der zur Aufklärung des Falles beigetragen hatte und gestern Nachmittag als Zeuge gehört wurde, berichtete von einem Gespräch mit der Mutter des Opfers, einer sehr verschlossenen Frau: In diesem Gespräch habe die alte Dame sich vorgebeugt und gesagt. „Die Trudel lebt nicht mehr. Ich spür das.“
Vier Monate später hat die Familie die Nachricht bekommen, dass die Frau bereits 16 Jahre tot ist. Und dass ihr damaliger Ehemann der mutmaßliche Täter ist.