Starkregen in WachtbergLandstraße für mehrere Monate gesperrt

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Wachtberg – Zwei Tage nach dem Starkregen über Fritzdorf, Arzdorf, Adendorf und Werthhoven sowie Villip, Pech und Niederbachem wird das ganze Ausmaß der Zerstörung deutlich: „Die Auswirkungen waren noch gravierender als das Ereignis im Sommer 2010“, bilanzierte Bürgermeisterin Renate Offergeld. Vier Brücken sind so stark beschädigt worden, dass Neubauten erforderlich werden. Die Wiederherstellung wird nach ersten Schätzungen der Verwaltung jeweils mindestens 8 bis 14 Monate in Anspruch nehmen. Für lange Zeit gesperrt ist die Landstraße 123 zwischen Berkum und Arzdorf: Dort hatte das Wasser die Fahrbahn derart unterspült, dass sie nicht mehr befahrbar ist.

Auch in Pech ist die Hauptstraße heftig beschädigt worden, eine Ortsdurchfahrt ist derzeit nicht möglich, denn die Brücke am Ortsausgang nach Villip ist zerstört, ebenso die Brücke „Grüner Weg“. Und auch die Brücke zur Ölmühle zwischen Pech und Villip hat es getroffen. Derzeit, so Wachtbergs Beigeordneter Jörg Ostermann, werden Behelfslösungen für Fußgänger geprüft.

Regionalverkehr Köln (RVK) testet seit gestern eine Ausweichstrecke, um den ÖPNV in Pech aufrecht zu erhalten. Wie das Unternehmen am Nachmittag mitteilte, müssen die Haltestellen „Huppenberg“ und „Seilbachstraße“ für acht bis zwölf Monate entfallen. Als Ersatz ist direkt hinter der Ampelanlage Kreuzung L158/Pecher Hauptstraße ein Stopp eingerichtet worden.

Meteorologe sieht „Paradebeispiel für ein Problemtal“

Die Buslinie 857 wird in beiden Fahrtrichtungen umgeleitet: Wegen der Sperrung zwischen Arzdorf und Berkum fährt sie in den nächsten Monaten über Villip und Holzem – mit Verzögerungen muss gerechnet werden. Auch in Bonn-Mehlem werden mehrere Haltestellen der „857“ verlegt oder gestrichen.

Der Mehlemer Bach, der schon bei früheren Starkregenereignissen ein reißender Strom wurde, hatte erst im Frühjahr zwischen Ober- und Niederbachem ein neues Bett erhalten. 300 000 Euro kostete diese Sanierung, teilweise wurde sie am Samstag aber schon wieder weggespült. Die größte Wirkung versprechen sich Wachtberg und Bonn vom Entlastungskanal in Mehlem von der Bachemer Straße bis zum Rhein. Er soll Anfang 2018 fertig sein. Der Kanal soll nach Angaben von Experten in der Lage sein, Niederschlagsmengen in dem Ausmaß des Unwetters vom 3. Juli 2010 – rund 54 Kubikmeter Wasser pro Sekunde – abzuführen.

Die Gemeinde Wachtberg wies Kritik von Bürgern zurück, die Maßnahmen seien nicht effektiv. Gemeindesprecherin Margrit Märtens: „Die Maßnahmen am Mehlemer Bach haben sich bewährt, das ist uns von etlichen Anliegern bescheinigt worden. Auch die privaten Vorkehrungen besonders in Niederbachem haben Wirkung gezeigt, sonst wären die Folgen noch gravierender gewesen.“

In den Wachtberger Höhenlagen gingen am Samstag innerhalb von weniger als zwei Stunden stellenweise über 100 Liter Regen pro Quadratmeter nieder. Die Gewitterzelle war mit 30 Kilometern Länge und nur zehn Kilometern Breite sehr klein. Der Mehlemer Bach stieg als Folge der Regenfälle in 90 Minuten von 20 Zentimeter auf über 1,60 Meter an. Zum Vergleich: Beim Starkregen 2013 sollen es 2,40 Meter gewesen und 2010 sogar über drei Meter. Weite Flächen waren in kürzester Zeit überspült. Im Vergleich zu den beiden Starkregenereignissen 2010 und 2013 war dieses Mal aber auch der Godesberger Bach stark angeschwollen. Wachtbergs Beigeordneter Jörg Ostermann unterstrich auf Anfrage der Rundschau, der Abfluss im Ort sei für ein hundertjährliches Ereignis ausgelegt, „das Regenereignis am Samstag war deutlich stärker, damit waren das Gewässerbett und die technische Infrastruktur überlastet“. Ein Ereignis diesen Ausmaßes sei für den Godesberger Bach bisher nicht bekanntgewesen.

„Technisch“, betonte Ostermann, „kann man sich vor derart massiven Niederschlagsmengen in solch kurzer Zeit nicht schützen. Das ist uns am vergangenen Wochenende erneut vor Augen geführt worden“. Dr. Karsten Brandt, Experte vom Bonner Dienst Donnerwetter.de, sieht beim Mehlemer Bach ein „Paradebeispiel für ein Problemtal“: „Sie haben ein hohes Gefälle, viel landwirtschaftliche Folienfläche, kurz geschorene private Rasenflächen und kaum Wald“. Dabei könnten gerade Waldflächen oder hochgeschossene Wiesen helfen, die Wasserwelle nach dem Gewitter abzuschwächen.

Solidarität

Trotz der großen Schäden im Ort entschied sich der Heimatverein Villip, am Sonntagabend sein Mitsingkonzert in der Pfarrkirche auszurichten. „Die Mehrzahl der Mitwirkenden ist zu jung oder zu alt, um aktuell wirkungsvoll bei der Beseitigung der Verwüstungen zu helfen. Wir können aber ein Zeichen der Solidarität geben, aus dem Grundverständnis von guter Nachbarschaft, wie wir sie traditionell in unseren Orten leben“, sagte Vorsitzender Ulf Hausmanns.

Das Offene Singen sei nicht das unbefangene Fest, als das es gedacht war, es spiegele aber in der Auswahl seiner Lieder die tiefe Erfahrung wider, dass Fröhlichkeit nur die eine Seite des Lebens ist, und dass Kummer und Not jeden jederzeit treffen können. (Foto: Kehrein)

Mit dem dritten heftigen Starkregen innerhalb von sechs Jahren habe die Gemeinde allerdings auch etwas Pech gehabt. „So etwas ist sehr unwahrscheinlich, aber eben möglich“, sagte Brandt der Rundschau. Für die Zukunft sei es ein Ziel der Meteorologen, solche Unwetterzellen noch genauer vorherzusagen.

Auch gestern war überall in der Gemeinde „Aufräumen“ angesagt. Überflutete Räume wurden vom Schlamm befreit und gereinigt, beschädigte und unbrauchbar gewordene Gegenstände müssen entsorgt werden. 18 Container zur Sondermüllentsorgung stehen bereits in den besonders betroffenen Ortsteilen. Die RSAG richtet am Samstag in Wachtberg eine Extraabfuhr für die durchnässten und verschlammten Möbel und Elektrogroßgeräte ein. Voraussetzung ist jedoch, dass der Sperrmüll bei der Gemeinde unter der Rufnummer (0228) 95 44 178 angemeldet wird. Auf die Konten der Wachtberger Verwaltung können Spenden unter Angabe des Stichwortes „Hochwasserspende 2016“ geleistet werden.

Das Einsatzkonzept

Das Unwetter in Wachtberg hat auch das Amt für Katastrophenschutz des Rhein-Sieg-Kreises und die Feuerwehren vor große Herausforderungen gestellt. Insgesamt waren nahezu 200 Feuerwehrkräfte im Einsatz – 100 Kräfte der Feuerwehr Wachtberg und 100 Kräfte aus anderen Städten und Gemeinden des Kreisgebietes. „Die kreisweite Vorplanung für den Einsatz unserer Feuerwehren und anderer Hilfsorganisationen sind ein Garant für die erfolgreiche Gefahrenabwehr im Rhein-Sieg-Kreis“, so Landrat Schuster. Am Samstag kam ein von den Feuerwehren erarbeitetes Einsatzkonzept, die sogenannte vorgeplante überörtliche Hilfe, zum Tragen: Zehn Feuerwehreinheiten des Kreises können danach zu jeder Tages- und Nachtzeit von der Einsatzleitung angefordert werden. Schuster hat gestern Wachtbergs Bürgermeisterin Renate Offergeld die Unterstützung des Rhein-Sieg-Kreises angeboten.

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