Belebtes Quartier ist ProblemviertelWie Euskirchen das Viehplätzchen aufpolieren will

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Die Polizei patrouilliert unregelmäßig im Quartier. Das Viertel ist ein Hotspot der Drogenkriminalität in Euskirchen.

Euskirchen – Es war und ist das Problemviertel von Euskirchen: das Viehplätzchen. Das Quartier zwischen Kirchstraße, Bendengasse, Kapellenstraße und Rüdesheimer Torwall ist bei vielen Kreisstädtern als Angstraum verschrien, gilt als hoffnungsloser Fall. Vier Millionen Euro flossen seit 2009 in das Viertel. Vieles sollte durch die Neugestaltung des öffentlichen Raumes besser werden. Doch die Euphorie nach der großangelegten Sanierung ist verflogen, der Alltag zurück. Kriminalität, Saufgelage vor dem Kiosk und öffentlicher Drogenkonsum sind an der Tagesordnung. Aufgeben will das Viehplätzchen aber niemand.

Bürgermeister Sacha Reichelt, der in unmittelbarer Nähe aufgewachsen ist, liegt das Areal am Herzen. Er mahnt allerdings zur Geduld. „Ein Prozess, der seit drei Jahrzehnten in die falsche Richtung läuft, kann nicht innerhalb eines Jahres umgekehrt werden“, sagt der Verwaltungschef. Es seien „dicke Bretter zu bohren“ und viele Protagonisten unter einen Hut zu bringen. Dazu zählen laut Reichelt Ordnungsamt, Polizei, Jobcenter, Caritas sowie Fördergeldgeber und Eigentümer. Er habe das Viehplätzchen als pulsierendes Viertel in Erinnerung, sagt der Bürgermeister. Von diesem Flair ist kaum etwas bis gar nichts mehr übrig.

Gastronomie verschwindet aus Viertel

Von den drei Gaststätten, die es mal auf der Kapellenstraße gab, ist eine bereits zu Wohnraum umgebaut worden. Eine steht leer, die dritte wurde vor Monaten abgerissen. Dort klafft eine Baulücke, eine Art offene Wunde.

Personalintensives Viehplätzchen

Eine Videoüberwachung am Viehplätzchenviertel ist laut Lothar Willems, Pressesprecher der Euskirchener Polizei, kein Thema. „Das ist sehr personalintensiv, weil ein Beamter permanent vor dem Monitor sitzen muss“, so Willems. Wichtiger sei, dass man gemeinsam arbeite, dass sich der Ruf des Quartiers verbessere. „Ständig dazwischen zu schlagen bringt nicht viel. Dann verlagern wir das Problem nur. Die Menschen dort brauchen Hilfe. Die wird nur leider nicht immer angenommen“, so Willems. (tom)

„Die Entwicklung des Viertels kann man nach wie vor als kritisch bewerten. Von einer Verbesserung im vergangenen Jahr habe ich nichts zu spüren bekommen“, sagt Michael Höllmann, Fraktionsvorsitzender der Euskirchener SPD. Klaus Voussem, Chef der Kreisstadt CDU, pflichtet dem Sozialdemokraten bei: „Einige Sanierungsziele sind nicht erreicht worden, so ehrlich muss man sein“. So sei die angestrebte soziale Durchmischung der Bevölkerungsschichten nicht geglückt. Die Arbeit im Quartier sei aber noch lange nicht beendet, zumal man zwischenzeitlich Grundsteine für eine bessere Zukunft gelegt habe. Dazu gehöre der Sozialarbeiter, der in diesem Jahr mit einer halben Stelle seinen Dienst aufgenommen habe. Und der Kriminalpräventive Rat, der unterschiedliche Behörden an einen Tisch bringen soll. Beide Politiker sagen, ihnen seien 2019 nach eigenem Bekunden weniger Beschwerden von Anwohnern oder Bürgern zu Ohren gekommen. Das könne aber corona-bedingt sein.

Anwohner fühlen sich unsicherer

Die Polizei hat nach Angaben von Pressesprecher Lothar Willems im vergangenen Jahr keine sonderliche Zunahme der Straftaten im Viehplätzchenviertel registriert. Allerdings, so Willems, und damit widerspricht er Höllmann und Voussem, sei das Gefühl der Anwohner, dass es unsicherer sei, im Vergleich zu 2019 gestiegen.

Zumindest sei das die Meinung der Bezirksbeamten, die im Quartier regelmäßig vor Ort seien. Ein Angstraum oder gar No-go-Area sei das Areal aus polizeilicher Sicht aber nicht. „Wir wissen aber auch, dass dort viele Drogengeschäfte abgewickelt werden“, so Willems: „Entsprechend werden wir dort weiter Präsenz zeigen.“

Euskirchens Bürgermeister Sacha Reichelt weiß um den Verfall des Viertels. Er hofft, dass die Behörden besser zusammenarbeiten.

Euskirchens Bürgermeister Sacha Reichelt weiß um den Verfall des Viertels. Er hofft, dass die Behörden besser zusammenarbeiten.

Bürgermeister Reichelt empfiehlt den Anwohnern, sich bei Problemen zu einer Interessengemeinschaft zusammenzuschließen. Das habe den Vorteil, dass die Stadt einen festen Ansprechpartner habe und man mit einer Stimme spreche.

Laut Reichelt kommt es im Viehplätzchen vor, dass die Größe der Wohnung nicht korrekt angegeben wird, die Eigentümer mitunter am Rande der Legalität unterwegs sind, um von Behörden Gelder zu erhalten. „So manch ein Eigentümer steckt nicht viel Geld in sein Objekt, weil er durch die Vermietung an eine entsprechende Klientel so oder so sichere Mieten, beispielsweise vom Jobcenter, erhält“, sagt der Euskirchener. Er spricht sich dafür aus, dass die Stadt, wann immer es geht, Eigentum im Viehplätzchenviertel erwirbt. „So können wir den Menschen unter die Arme greifen und gleichzeitig auf das Quartier einwirken“, erklärt er.

Keine Rundum-Überwachung für das Viehplätzchen

Eine Verbesserung der Wohnlage führt zu einer Verbesserung des sozialen Aspekts, ist Reichelt sicher. Der 40-Jährige stellt aber klar: „Eine Überwachung des Viertels rund um die Uhr wird es nicht geben.“ Das sei personell nicht zu leisten und kratze zudem nur an der Oberfläche. Dennoch wolle die Stadt alles tun, um bei den Euskirchenern für ein subjektives Sicherheitsgefühl zu sorgen. Um effektiv zu sein, benötige man in diesem Fall eine Truppe, die sich aus vielen Behörden zusammensetzt und die an einem Strang ziehe.

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Manche Hauseigentümer sind in den vergangenen zwei Jahren selbst aktiv geworden. In dem Haus neben dem Kiosk ist der Zugang zum Hof mittlerweile durch ein Metalltor versperrt. Der Hinterhof war zuvor nach Angaben von Anwohner Mesut Aydogan ein Rückzugsort, um Drogen zu konsumieren.

„Im Winter ist es deutlich ruhiger als im Sommer. Allein schon temperaturbedingt“, sagt eine Anwohnerin. Tagsüber fühle sie sich wohl. Sobald es aber dunkel werde, werde das Viehplätzchen zum Problemviertel. Sie wünsche sich Mut von kleinen Gewerbetreibenden. „Ein Café könnte eine Sogwirkung haben. In Großstädten wäre das Quartier sehr beliebt, längst von Studenten erobert worden“, sagt sie: „Hoffentlich folgen den vielen Worten der Politik nun mal Taten.“ Ein Wunsch, den auch Bürgermeister Reichelt hat: „Wir dürfen bei all den vielen Neubaugebieten nicht die Flächen vergessen, die wir schon seit Jahren haben.“

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