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Gewerbsmäßige UntreueSteuerberater in U-Haft

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Kreis Euskirchen – Mehreren Vereinen im Kreis Euskirchen und im Rhein-Erft-Kreis fehlt derzeit der Schatzmeister: Ein 42 Jahre alter Steuerberater aus dem Kreis Euskirchen, der die Vereinstätigkeiten ehrenamtlich ausübte, sitzt seit drei Wochen in Untersuchungshaft. Er ist ebenso wie zwei ehemalige Geschäftsführer (54 und 36 Jahre alt) einer in Norddeutschland ansässigen insolventen Baufirma wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Untreue verhaftet worden. Der 54-Jährige kommt auch aus dem Kreis Euskirchen.

Birgit Heß, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Kiel, erklärte, die drei stünden unter dem Verdacht der Insolvenzverschleppung, des Betrugs, des Verstoßes gegen das Bauforderungssicherungsgesetz und der Steuerhinterziehung. Hunderte Bauherren, Handwerker und andere Gläubiger sind nach Darstellung von Andreas Jung, Sprecher des für die Baufirma eingesetzten Insolvenzverwalters Reinhold Schmid-Sperber, betroffen: 2000 Betroffene seien zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am Amtsgericht Neumünster angeschrieben worden. Die drei in Haft sitzenden Tatverdächtigen sollen laut Staatsanwaltschaft vor der Insolvenz etwa zwei Millionen Euro aus dem Bauunternehmen heraustransferiert haben.

Die Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Polizei hätten den dringenden Verdacht begründet, heißt es in einer Erklärung der Kieler Ermittlungsbehörde, dass die Beschuldigten die Zahlung dieser Summe an eine von ihnen beherrschte weitere Gesellschaft veranlasst hätten. Den Zahlungen entsprechende Gegenleistungen sind laut Staatsanwaltschaft nicht erbracht worden. Wie aus der gleichen Erklärung der Staatsanwaltschaft Kiel hervorgeht, erfolgte die Festnahme bereits am Mittwoch, 20. Februar. 40 Kriminalbeamte, zwei Staatsanwälte und drei Beamte der Steuerfahndung seien am gleichen Tag an der Durchsuchung von neun Objekten in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Bayern beteiligt gewesen.

Auch Privathaus durchsucht

Bereits drei Monate zuvor hätten 65 Kriminalbeamte, sieben Staatsanwälte und mehrere Steuerfahnder Firmensitze der Baufirma und deren Tochtergesellschaften sowie Privathäuser der Verantwortlichen durchsucht – auch das Privathaus des 42-Jährigen.Die Mitarbeiter des Steuerberaters gaben Anrufern seit der Festnahme ihres Chefs die Auskunft, er sei krank und voraussichtlich erst in zwei Wochen wieder im Büro. Ein Mitarbeiter, der namentlich nicht genannt werden wollte, legte zudem großen Wert darauf, mitzuteilen, dass die norddeutsche Firma nicht zu den Mandanten des Steuerbüros gehöre. Mit dem Hinweis auf eine Erkrankung des Steuerberaters waren auch die Vereine, in denen sich der 42-Jährige engagierte, vertröstet worden. Der Vorsitzende eines Euskirchener Vereins war „wie vom Donner gerührt“, als er vom wahren Grund des Fernbleibens des Schatzmeisters erfuhr. Die Abrechnungen, so der Vorsitzende, seien stets geprüft worden und korrekt gewesen.

Eine Stellungnahme des inhaftierten Steuerberaters war bis gestern nicht zu erhalten. Auch von dem ehemaligen Geschäftsführer der Baufirma mit Wohnsitz im Kreis Euskirchen war keine Stellungnahme zu erhalten. Er war vom 21. September 2012 bis zum 4. Januar 2013 Vorstandsvorsitzender eines Kölner Bauunternehmens mit jahrzehntelanger Tradition, das in den Kreis Euskirchen umgesiedelt ist. Der neue Vorstand dieses Unternehmens betonte gegenüber der Rundschau, sein Unternehmen habe bereits im Vorfeld der aktuellen Vorwürfe Konsequenzen gezogen und sich von dem Mann getrennt, um den Ruf des Unternehmens nicht weiter zu gefährden. Der ehemalige Geschäftsführer der norddeutschen Baufirma habe seit vielen Jahren als umstrittene „Koryphäe in der Branche“ gegolten, so der Vorstand, doch sei das Unternehmen „bis weit in die Gegenwart davon ausgegangen, dass der Mann mit Unregelmäßigkeiten nichts zu tun hat“.

Die Firmengruppe in Norddeutschland bestand aus elf Gesellschaften. Sie beschäftigte sich mit dem Vertrieb und dem Bau von Einfamilienhäusern in Massivbauweise. Hierbei übernahm sie neben Vertriebs- und Planungstätigkeiten auch die Bauleitung. Die eigentliche Erstellung der Häuser vor Ort wurde durch Nachunternehmer im Rahmen von Werkverträgen erbracht.

Der Konzern hatte 155 Arbeitnehmer, davon etwa 85 am Hauptsitz. Die Geschäftsführer wurden zum 5. November 2012 beurlaubt. Sie hatten am 2. November Insolvenzantrag gestellt – nach Einschätzung von Insolvenzverwalter Reinhold Schmid-Sperber „erheblich verspätet“. Zum Insolvenzzeitpunkt befanden sich laut Insolvenzverwalter bundesweit etwa 670 Bauvorhaben in unfertigem Zustand, für die von den meisten Bauherren Abschlagszahlungen geleistet worden waren. 1070 weitere Vorhaben hätten sich in der Planungsphase bei eventuell geleisteten Anzahlungen befunden. Bereits Anfang Dezember machte Schmid-Sperber Gläubigern „bestenfalls“ Hoffnung auf „einen einstelligen Prozentbereich“ der Ansprüche an die Baufirma. Für sieben der elf Gesellschaften wurde das Insolvenzverfahren eingeleitet.