Hellenthaler „Haus Kremer“Verborgener Schatz unter Teerpappe

(l.) und Winfried Kaiser vom Bauamt müssen die Abrisspläne ad acta legen.
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Hellenthal – Die Mitglieder des Bauausschusses staunten nicht schlecht, als ihnen von Experten erläutert wurde, welcher Schatz sich hinter der völlig maroden Fassade des Hauses Kremer in der Hardtstraße in Hellenthal verbirgt. Von einer „kleinen Sensation“ sprach etwa Dr. Monika Herzog, Wissenschaftliche Referentin Bau- und Kunstdenkmalpflege beim LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland. Laut ihrer Kollegin Dr. Kristin Dohmen, Referatsleiterin Bauforschung, existieren im Rheinland nur noch sieben unter Denkmalschutz stehende Lohgerbereien. Die stammen aber allesamt aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – der unter der wenig ansehnlichen Fassade schlummernde Schatz der Hellenthaler dürfte deutlich älter sein.
Wie ein Schloss visualisiert
Der Vlattener Architekt Johannes Prickarz hatte die alte Lohgerberei Matheis entdeckt, als er die Dokumentation des für den Abriss vorgesehenen Hauses Kremer erstellte. Die Experten gehen davon aus, dass sie aus dem 18. Jahrhundert stammt. Damit wäre sie mindestens 100 Jahre älter und die älteste existierende Lohgerberei im Rheinland. Für Dr. Dohmen ist dies ein einmaliges Kleinod alter handwerklicher Tradition. Doch was nun? Dass der ursprünglich vorgesehene Abriss des Hauses nicht in Frage kommt, ist unstrittig.
Nun wird eine wissenschaftliche Untersuchung eingeleitet, um das genaue Alter der Gerberei zu ermitteln. Inzwischen wurde eine Karte gefunden, die „Preußische Uraufnahme“ von 1836 bis 1850, in der das Haus eingezeichnet ist.
Das Wasser bezog der Gerber aus einem aus der Olef abgeleiteten Stichkanal und einem heute nicht mehr existierenden Bach aus dem Berghang in Richtung Freigehege.
Lohgerber durften wegen der Hochwassergefahr nicht direkt am Bach (hier die Olef) bauen. Und eine Bauvorschrift von 1698 verpflichtete sie, sich vom Ortsrand fern zu halten. Der Grund: Den Rinderhäuten, die zu Leder verarbeitet wurden, hafteten Fleischreste an – die beim Lagern unerträglich stanken.
Fest steht laut Dr. Kristin Dohmen bereits, dass beim Bau der Gerberei die damaligen Bauvorschriften vorbildlich angewendet wurden. Heute sei die Gerberei Matheis so erhalten, wie es Johann Georg Krünitz in seiner „Oeconomischen Encyclopädie“, entstanden 1773 bis 1858, beschreibt.
Dort ist nachzulesen: „Eine Lohgerber-Werkstatt muß von Steinen (das Untergeschoss) erbaut seyn. Sie muß wenigstens zwey Abtheilungen haben, die eine Zwischenmauer trennt. In jeder Abtheilung muss von aussen eine Thür seyn. Nahe bey der Thüre muß ein Heizofen sich befinden, um das benötigte Wasser heiß zu machen. Der Fußboden muss mit harten Platt-Steinen gepflastert, und mit einer breiten Rinne versehen seyn, damit, wenn man verbrauchte Brühen und Laugen wegschüttet, die selben abfließen können.“ (bk)
Jedoch: Die Gemeinde kann das Objekt unter der Fassade nicht aus eigenen Mitteln freilegen und instandsetzen. Die Politiker folgten dem Vorschlag von Bürgermeister Rudolf Westerburg: Die Verwaltung wird mit dem Amt für Denkmalpflege und Architekt Prickarz ein Konzept ausarbeiten, wie es weitergehen soll. Kosten sollen ermittelt und Geldgeber gesucht werden, damit das Haus touristisch genutzt werden kann. Natürlich kümmern sich die Hellenthaler nun ums Haus: Bauamtschef Markus Rodenbüsch erklärte, eine undichte Stelle im Dach sei von Mitarbeitern des Bauhofs bereits durch Folie abgedichtet worden. Und angesichts des Schatzes, der sich in Hellenthal verbirgt, fragte Ausschussvorsitzender Hans-Josef Schmahl scherzhaft: „Wie wäre es, wenn wir die Lohgerberei Matheis als Weltkulturerbe vorschlagen?“
Dass die Fachwerkkonstruktion unter der Fassade und der unter den Balken des oberen Stockwerks eingehängten Wohnung so gut erhalten ist, bezeichnete Herzog als „Idealfall, von dem jeder Denkmaleigentümer träumt“. Die Experten waren so begeistert, dass sie von Hans Meyer vom Referat Vermessung eine 3D-Visualisierung des Gebäudes auf Grundlage der Bauaufnahme von Prickarz anfertigen ließen. Laut Dohmen geschieht dies üblicherweise nur bei der Dokumentation bedeutender Burgen und Schlösser.
Bislang ist das Haus noch kaum erkundet. Da der Boden schief hängt und teilweise in den Kellerbereich, wo früher Tierhäute bearbeitet wurden, gestürzt ist, konnte Johannes Prickarz das Haus nur bis zu drei Meter weit im Eingangsbereich betreten. Einen Teil des Dachbodens hat er über eine Leiter ausgekundschaftet, Teile der Fachwerkkonstruktion hat er durch Wegklopfen der Teerpappe gesehen. Einen Teil des Keller konnte er ausleuchten und fotografieren.
Prickarz konnte zwei Kamine, einen Teil der Fußbodenplatten, einen Brunnen, ein Becken zum Spülen der Häute und die Rinne erkennen. Die beim Waschen der Lederhäute ausgeschwemmten Stoffe und die Fleisch- und Haarreste müssen zu einer enormen Verschmutzung der Olef geführt haben.
Das Leben der Gerber in früheren Zeiten war kein Zuckerschlecken, sie waren großen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Unter anderem erkrankten sie durch den Umgang mit kaltem und heißen Wasser oft an Rheuma, der eingesetzte Kalk verätzte ihnen die Hände und die Arbeit an den rohen Häuten konnte zu tödlichem Milzbrand führen.