Bilanz der ArbeitsagenturGeplante Bürgergeld-Sanktionen beträfen im Kreis Euskirchen niemanden

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Eine Frau nimmt Banknoten aus einem Geldbeutel.

Die Diskussionen um Bürgergeld-Erhöhung und die geplanten Sanktionen schüren laut Ralf Holtkötter, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Brühl, nur Sozialneid.

Der Arbeitsmarkt im Kreis Euskirchen erweist sich als robust. Die Arbeitsagentur will mit Vorurteilen gegenüber Bürgergeld-Empfängern aufräumen.

170 Millionen Euro will Hubertus Heil künftig durch härtere Sanktionen für sogenannte Jobverweigerer pro Jahr einsparen. Das sieht zumindest ein Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministers vor. Aus dem Kreis Euskirchen wird der Staat dadurch aber voraussichtlich kein Geld bekommen.

Die neue Sanktion, so sie denn eingeführt werde, betreffe ja Bürgergeldempfänger, die ein konkretes Job-Angebot haben und dieses ablehnen, sagt Johannes Klein vom Jobcenter Euskirchen. „Das habe ich bisher nicht erlebt.“

Holtkötter: Bürgergeld-Diskussion schürt Sozialneid

Dies bestätigt auch Ralf Holtkötter, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Brühl. Die aktuelle Diskussion schüre Sozialneid. Zumal sich ein Arbeitgeber wohl kaum über jemanden freue, der nur aus Angst vor harten Sanktionen einen Job antrete.

Holtkötter stört sich an solchen Debatten. Immer wieder gebe es das Vorurteil, das Bürgergeldempfänger nur faul in der Hängematte liegen. „Das ist mitnichten so“, betont er: „Die wenigsten haben Lust da drauf.“

Auch die Behauptung, dass sich bei den Bürgergeldsätzen Arbeit nicht mehr lohne, sei ein Vorurteil. „Jeder der arbeitet, hat mehr als derjenige, der Bürgergeld bezieht“, sagt Holtkötter. Und auch Klein stimmt ihm zu. Allein durch die Freibeträge sei Arbeiten immer attraktiver. Das bleibe auch nach der Bürgergelderhöhung zu Beginn dieses Jahres so. Es sei nicht feststellbar, dass nun mehr Menschen ins Bürgergeld wechselten, betont Klein.

Mehr als 5000 Menschen im Kreis Euskirchen sind arbeitslos

Durchschnittlich waren im Kreis Euskirchen laut Arbeitsagentur im vergangenen Jahr 5986 Menschen arbeitslos (Siehe „Bekannte Mechanismen wirken nicht mehr“). Mehr als die Hälfte davon seien Fachkräfte. Bei durchschnittlich 1130 freien Fachkraft-Stellen im Kreis müssten diese doch eigentlich schnell einen neuen Job finden. Diese Schlussfolgerung sei ein Trugschluss, sagt Holtkötter. Und er nennt zwei wichtige Faktoren, die dem entgegenstehen: Mobilität und Regionalität.

„Wir haben einen Flächenkreis, da wohnen die Arbeitslosen nicht unbedingt da, wo die Arbeitsstellen sind“, sagt Holtkötter. Nicht jeder hat schließlich ein Auto zur Verfügung und auch der öffentliche Nahverkehr ist nicht so gut ausgebaut, dass man beispielsweise zu jederzeit problemlos von Reifferscheid nach Roggendorf kommt. Und Holtkötter sieht noch ein Problem: „Das größte Integrationshindernis ist mangelndes Selbstbewusstsein.“

Von den durchschnittlich 5986 Arbeitslosen im Kreis im Jahr 2023 waren laut Arbeitsagentur 2143 Menschen bereits länger als ein Jahr ohne Job. Etwa zwei Drittel der Menschen, die Leistungen von Jobcentern erhalten, erhielten diese etwa vier Jahre lang, so Holtkötter. Das mache etwas mit einem. Viele trauten sich selbst kaum noch etwas zu. Jobcenter müssen seiner Ansicht nach mit den nötigen finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet werden, um diese Menschen zu betreuen und mit ihnen an ihrem Auftreten und ihrer Selbstsicherheit zu arbeiten.

Viele Geflüchtete im Kreis Euskirchen arbeitswillig

Holtkötter und Klein wollen noch ein weiteres Vorurteil aus dem Weg räumen: das von arbeitsunwilligen Geflüchteten. „Die Erwerbsbeteiligung der ausländischen Bevölkerung steigt deutlich“, sagt Holtkötter. Auch Johannes Klein berichtet, dass sehr viele Geflüchtete arbeits- und integrationswillig seien. In ihrer Statistik unterscheidet die Arbeitsagentur bei den Geflüchteten in ukrainische Staatsbürger und Staatsangehörige aus den acht stärksten Asylherkunftsländern (Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien).

Die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ukrainer ist demnach von Juni 2020 bis Juni 2023 von 42 auf 221 gestiegen. Auch bei den anderen Geflüchteten verzeichnet die Agentur für Arbeit seit 2015 einen stetigen Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, von 2022 zu 2023 sank die Zahl allerdings um 2,6 Prozent. Woran das genau liege, könne er nicht erklären, sagt Klein. Mit 922 Beschäftigten liege die Zahl aber noch deutlich über dem Wert von 2021 (746).

An Motivation mangele es den meisten Geflüchteten nicht, sagt Klein. „Der Schlüssel sind die Deutschkenntnisse.“ Und leider gebe es oft lange Wartezeiten bei entsprechenden Kursen. „Diese Wartezeiten hindern uns an einer schnellen Integration“, so Klein.

Holtkötter sieht noch ein anderes Hindernis: Es dauere aktuell lange, bis die Qualifikationen von Geflüchteten anerkannt würden. Man könne diese Menschen zwar schnell in einem Helfer-Job unterbringen, aber das helfe nicht gegen den Fachkräftemangel. „Wir werden hier neue Wege brauchen“, sagt Holtkötter. Es müsse mehr dahin gehen, dass Geflüchtete zeigen können, was sie können.


Bekannte Mechanismen wirken nicht mehr

Eine angespannte wirtschaftliche Lage – das war bisher laut Ralf Holtkötter immer auch ein Garant für mehr Entlassungen und mehr Kurzarbeit. Doch die Bilanz der Arbeitsagentur zu 2023 sieht anders aus. Trotz der wirtschaftlichen Lage bleibt der Arbeitsmarkt robust. Die Zahl der Arbeitslosen ist zwar im Vergleich zu 2022 leicht gestiegen (von 5646 auf 5986), aber mit einer Arbeitslosenquote von 5,6 Prozent liegt der Kreis Euskirchen unter dem NRW-Schnitt von 7,2 Prozent.

Der hohe Fachkräftemangel ist laut Holtkötter eine Ursache dafür. Zumal dieser in Zukunft nur noch größer werde. „Selbst wenn man im Moment zwei bis drei Personen zu viel beschäftigt, in ein paar Jahren sind es vier zu wenig“, führt er aus: „Wen ich habe, den habe ich.“

Zurückhaltend sind die Arbeitgeber allerdings nicht nur bei Kündigungen, sondern auch bei neuen Stellenausschreibungen. 2023 wurden 15 Prozent weniger neue Stellenangebote bei der Arbeitsagentur gemeldet als im Vorjahr. Das hat laut Holtkötter zwei Ursachen. Zum einen seien die Unternehmen aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage zurückhaltend mit neuen Stellen. Zum anderen könne bei dem ein oder anderen ein Resignationseffekt eingetreten sein, weil sich für die bei der Agentur angemeldete Stelle dann doch niemand finde. Also werde sie gar nicht erst gemeldet.

Grundsätzlich gebe es aber immer noch relativ gute Chancen, einen Job zu finden. „Es steht und fällt mit der Lernbereitschaft.“ Einen neuen Höchststand erreichte hingegen die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. Im ersten Quartal 2023 waren es 59 604. Und auch die Zahlen für das zweite Quartal von 2023 zeigten eine weitere Steigung, so Ralf Holtkötter.  

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