Gedenken an NS-OpferGunter Demnig verlegt 40 Stolpersteine in Euskirchen und Nettersheim

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Der Künstler Gunter Demnig steht an seinem roten Kastenwagen und blickt auf die 40 Stolpersteine, die er in Euskirchen und Nettersheim verlegt.

40 Stolpersteine für 40 Schicksale: Gunter Demnig hat die Erinnerungsstücke in seinem roten Kastenwagen.

In Euskirchen, Holzmülheim und Zingsheim wird auf den Bürgersteigen mit Stolpersteinen an Opfer der Nationalsozialisten erinnert.

Es war Tag des Stolpersteins im Kreis Euskirchen. Vor allem für den Künstler Gunter Demnig sollte es anstrengend werden. Die Verlegung von insgesamt 40 Stolpersteinen stand für ihn auf dem Programm. Von Holzmülheim über Zingsheim bis Euskirchen führte ihn seine Reise, bis er alle Erinnerungssteine für Opfer der Nationalsozialisten in das Pflaster eingelassen hatte. An ihren letzten selbstgewählten Wohnhäusern vor der Vertreibung oder Verschleppung wird an sie erinnert.

„Es wird nie Routine“, sagt Demnig. Er ist ein ruhiger Mann, der sich gerne vor der Aufmerksamkeit um seine Person hinter der breiten Krempe seines Hutes versteckt, seine Arbeit tut und in seinem roten Lieferwagen verschwindet. Stattdessen überlässt er die Reden lieber anderen. Denen, die die Schicksale der Menschen recherchiert haben. Und den Bürgermeistern. Die große Aufmerksamkeit gehört den Steinen mit dem Messingüberzug, die er seit 1996 europaweit vor den ehemaligen Wohnhäusern der Opfer des Regimes der Nationalsozialisten verlegt.

Gunter Demnig hat europaweit bereits 105.000 Stolpersteine verlegt

105.000 seien es mittlerweile, sagt der 76-Jährige, der es sich oft nicht nehmen lässt, die Verlegung selbst vorzunehmen. „Wir sind ein Team von 15 Leuten. Und meine Frau, die auch schon Steine verlegt hat, ist 28 Jahre jünger“, entkräftet er die Befürchtung, sein Alter könne das Projekt enden lassen.

Man sieht vor sich die Steine für eine Familie. Immer wieder sind es andere Leute, andere Geschichten.
Gunter Demnig

„Man sieht vor sich die Steine für eine Familie.“ Zusammen seien sie in der Gaskammer ermordet worden, beschreibt er das Unfassbare, das ihm bei der Arbeit begegne: „Immer wieder sind es andere Leute, andere Geschichten.“ Oft sind Angehörige und Nachfahren der Opfer anwesend. Manchmal lernten die sich sogar erst bei der Verlegung der Stolpersteine kennen.

In Nettersheim wurden Menschen mit Behinderungen verschleppt und getötet

Morgens um 9 Uhr startete der Tag für Demnig und für die Gemeinde Nettersheim mit einer Premiere: In Holzmülheim wurden die ersten Stolpersteine in der Kommune verlegt. Dass keine jüdischen Bewohner der Dörfer bekannt sind, heißt nicht, dass dort von den Nationalsozialisten keine Verbrechen verübt wurden. So handelt es sich in den drei Fällen, die nun durch Publikationen von Johann Ohlerth und Heinz Höver bekannt geworden sind, um Menschen mit Behinderungen, die verschleppt und – soweit es bekannt ist – umgebracht wurden.

Gunter Demnig kniet auf einem Bürgersteig und verlegt die ersten Stolpersteine in der Gemeinde Nettersheim. Rechts steht Bürgermeister Norbert Crump. Er und einige Anwohner schauen bei der Aktion zu.

In der Gemeinde Nettersheim wurden die ersten Steine verlegt.

Ohlerth, 1938 in Zingsheim geboren und dort aufgewachsen, kann sich an Peter Hochgürtel, eines der Opfer, erinnern: „Er wohnte in dem Haus uns gegenüber.“ „Häpe Pitter“ sei er genannt worden. Am Tag der Verlegung des Stolpersteins, dem 12. Dezember, habe er Geburtstag gehabt. 51 Jahre alt, Ackerer von Beruf und verheiratet, war Hochgürtel, als er 1941 bei der Euthanasierungsaktion T4 in Hadamar getötet wurde. Sein junger Nachbar, Josef Hansen, „Juja“ genannt und ebenfalls behindert, verschwand eines Tages spurlos. Sein Schicksal ist ungeklärt.

Holzmülheimer starb in berüchtigter „Heilanstalt“ in Wien

Ohlerth, der die Zingsheimer Stolpersteine finanzierte, war bei Recherchen auch auf seinen Verwandten, Anton Falkenberg aus Holzmülheim, gestoßen. „Meine Mutter war eine geborene Falkenberg“, so der bei Trier lebende Ahnenforscher.

Das Schicksal des 1926 in Köln geborenen Anton Falkenberg fasste Heinz Höver aus Bouderath zusammen, der vor zwei Jahren ein Buch über Euthanasieopfer aus dem Kreis Euskirchen verfasst hat. Falkenbergs Behinderung sei auf eine missglückte Zangengeburt zurückzuführen gewesen, in deren Folge auch seine Mutter verstorben sei. Er sei in Holzmülheim aufgewachsen.

Das Bild zeigt das Haus, in dem Anton Falkenberg in Holzmülheim lebte.

In diesem Haus in Holzmülheim lebte Anton Falkenberg.

Doch seine Stiefmutter habe sich nicht mit ihm verstanden, so dass er 1942 in ein Heim eingewiesen worden sei. Er starb 1944 in der berüchtigten „Heilanstalt Am Steinhof“ in Wien. „Wahrscheinlich ist er verhungert“, vermutet Höver. Finanziert wurde der Stolperstein von Falkenbergs Halbbruder Franz Falkenberg, der in Berlin lebt. Aus gesundheitlichen Gründen musste der auf die Reise zur Verlegung des Gedenksteins verzichten.

Etwa 20 Besucher kamen zu den Verlegungen, die mit einer Rede von Bürgermeister Norbert Crump und einem Musikstück von Trompeter Günter Giefer umrahmt wurden. Ein Missgeschick geschah allerdings in Zingsheim. Denn die beiden Steine, die in der Straße „Formegey“ verlegt wurden, wurden vertauscht und vor dem jeweils falschen Haus im Pflaster eingebettet. Das werde kurzfristig behoben, versprachen Bürgermeister und Anwohner.

In Euskirchen wurden 37 weitere Stolpersteine verlegt

In Euskirchen formierte sich eine regelrechte Wandergruppe, um die Stolpersteine zu verlegen. 37 sollten an sieben verschiedenen Stellen ihren Platz finden. Recherchiert wurden die Schicksale der Euskirchener Juden von den Mitarbeitern des Stadtarchivs. „Das ist mittlerweile die achte Stolpersteinaktion in Euskirchen“, so Sabine Dünnwald. Die ersten seien ab 2002 von Dorothée Kroll initiiert worden. 2008 habe der Stadtrat dann das Stadtarchiv mit der Aufgabe betreut. „Eigentlich wollen wir das alle zwei Jahre machen, aber durch Corona ist das aus der Reihe geraten“, sagte sie.

Sieben messingfarbene Stolpersteine sind ins Pflaster eingelassen. Zwei weiße Rosen sind zum Gedenken an die NS-Opfer niedergelegt worden. Auf einem DIN-A4 Blatt ist das Schicksal der Familie beschrieben, an die erinnert wird.

Die Rosen verblühen, die Steine erinnern dauerhaft an die Opfer.

Rechts steht Euskirchens Bürgermeister Sacha Reichelt, in der Mitte Künstler Gunter Demnig und links Sabine Dünnwald vom Euskirchener Stadtarchiv. Sie sprechen über die Verlegung von 37 Stolpersteinen in der Stadt.

Im Austausch: Sabine Dünnwald, Gunter Demnig und Sacha Reichelt.

213 Steine liegen bislang in Euskirchen, Flamersheim, Kirchheim, Kuchenheim und Großbüllesheim. Laut Dünnwald müssten bestimmt noch weitere 100 verlegt werden. „Wir haben noch nicht die Sinti und Roma oder die Euthanasieopfer bedacht. Aber wir wollten erst einmal eine Opfergruppe fertig recherchieren“, sagte sie. Die Finanzierung sei erst einmal gesichert – durch zahlreiche Paten, die sich nach einem Aufruf gemeldet hatte. Angehörige derer, an die mit den Steinen erinnert wird, waren diesmal nicht gekommen. Viele hätten wegen der Lage in Israel nicht kommen wollen, so Dünnwald: „Wir schicken Fotos und informieren sie.“

An diese Euskirchener Familien erinnern nun die Stolpersteine

Von der Kölner Straße ging es über die Annaturm- und die Karlstraße bis in die Wilhelmstraße. Mit dabei war auch Bürgermeister Sacha Reichelt, der an der Kölner Straße vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Heumann die Aktion würdigte. „Dies ist eine Adresse, wo wir häufig vorbeikommen“, sagte er. Die Stolpersteine erfreuten sich in Euskirchen guter Pflege.

Neben der Familie Heumann, deren Mitglieder aus Deutschland fliehen mussten, wurden an der Annaturmstraße Exemplare verlegt für die Familie Billig, die 1942 ermordet wurde, und für die Familie Lesser, die ebenfalls 1942 ausgelöscht wurde. In der Karlstraße wurden Gedenksteine für die Familie von der Walde gesetzt, von denen ebenfalls niemand überlebte.

An der Wilhelmstraße 5 lebte Familie Kahn, der 1939 die Flucht aus Deutschland gelang. Für sie wurden Stolpersteine gesetzt genau wie für die Familie Brzezinski, die nach Israel fliehen konnte, Familie Schweizer, deren Mitglieder teils ermordet wurden und teilweise fliehen konnten, Familie Bukofzer, die nach Riga deportiert wurde und teilweise dort den Tod fand, sowie die Familie Oster, die nach Tel Aviv emigrierte.

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