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Nordeifelwerkstätten in KuchenheimÜber das Euskirchener Projekt „Gleis 2“ in den Job

Lesezeit 3 Minuten

Kuchenheim – Noch etwas unausgeschlafen sitzen die fünf Jugendlichen am Tisch. Der heiße Kakao tut gut. So langsam kommt Leben in die Gruppe. Sie berichten von dem, was am Vortag passiert ist. Eine Situation, die Eltern von Jugendlichen durchaus vertraut sein dürfte.

Als „Eltern“ fühlen sich auch manchmal Jessica Springer und Josef Blesse. „Manche Jugendliche sprechen sie mit Mama und Papa an“, erzählt Rodger Ody, Leiter des Sozialen Dienstes in den Nordeifelwerkstätten (NEW) in Kuchenheim.

Beste Zudeckerin der Welt

Diese familiäre Situation ist Teil des Konzepts von „Gleis 2“, einem Projekt der NEW, das mittlerweile eine fünfjährige Erfolgsgeschichte aufweist. Die NEW nehmen die sogenannten „jungen Wilden“ auf, junge Menschen, die so massive Störungen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und in ihrem Verhalten haben, dass sie keine „normale“ Arbeitsstelle annehmen können, für die aber auch herkömmliche, zeitlich meist auf ein halbes Jahr begrenzte Bildungsmaßnahmen ungeeignet sind. Sie sind dann vollkommen vom Arbeitsmarkt abgeschnitten.

„Gleis 2“ bietet ihnen die Möglichkeit, ohne den Zeit- und den Leistungsdruck des freien Arbeitsmarktes Strukturen und Schlüsselqualifikationen zur Selbstverwirklichung zu erlernen. Ganz wichtig für sie sind intensive Betreuung, Zuwendung, Wertschätzung und Erziehungsarbeit. „So mancher sieht aus wie ein gestandenes, kräftiges Mannsbild und ist von seinem Entwicklungsstand her doch ein fünfjähriges Kind“, erläutert Jessica Springer.

Die 29-jährige Sozialarbeiterin ist seit vier Jahren bei „Gleis 2“. Sie ist Krankenschwester, Trösterin, Zuhörerin, Lehrerin für die Jugendlichen und jungen Männer von 17 bis 27 Jahren. „Und ich bin die beste Zudeckerin der Welt“, sagt sie lachend.

Den Titel haben ihr einige ihrer Jungs verliehen. „Wir habe hier die Möglichkeit, dass sich jemand auch mal für eine Stunde hinlegen kann, wenn er müde ist. Ich bin dann fürs Zudecken da.“

Es wird in „Gleis 2“ aber nicht nur geredet, zugedeckt oder auch mal gemeinsam ein Film geschaut. Schließlich geht es darum, die Jugendlichen an den Arbeitsalltag heranzuführen. In „Gleis 2“ arbeiten sie für die Drogeriemarktkette dm. Sie sortieren Wertstoffe wie Textilien, Glühlampen oder Kabel, die von den Wiederverwertungsfirmen abgeholt werden.

Wie im „privaten“ Bereich werden auch hier besondere Fähigkeiten gezielt ausgebaut, die Betreuer gehen auf besondere Stärken und Schwächen ihrer Schützlinge ein, arbeiten mit den Jugendlichen gemeinsam.

Viele der Jugendlichen, die den Weg über „Gleis 2“ gegangen sind, konnten erfolgreich in die verschiedenen Abteilungen der NEW integriert werden, andere absolvierten weiterführende Maßnahmen. Besonders gefreut haben sich Jessica Springer und der 58-jährige Josef Blesse als Fachkraft für Arbeits- und Berufsförderung über einen ihrer Teilnehmer, der einen IHK-zertifizierten Abschluss erreichte. Die Jugendlichen haben ja keine geistige Behinderung. Ihre gestörte Persönlichkeitsentwicklung hat sich jedoch vielfach auch auf ihre Schullaufbahn ausgewirkt.

„Wenn die Jugendlichen auf einmal alles blöd finden, was wir machen, wenn sie sagen, wir bevormunden sie, dann wissen wir: Jetzt sind sie so weit, dass wir sie loslassen, sie den nächste Schritt machen können“, so Blesse.