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Tödlicher UnfallEmotionale Verhandlung in Gemünd endet mit Bewährung und Tränen

Lesezeit 5 Minuten

Die Grevenbroicherin war noch an der Unfallstelle gestorben.

Schleiden-Gemünd – Der Mann im Zeugenstand gab sich sichtlich Mühe, nicht in Tränen auszubrechen.

„Was wäre gewesen, wenn ich vorausgefahren wäre, hätte ich den Unfall vermeiden können?“, schilderte er die Gedanken, die ihn beschäftigten, nachdem seine Bekannte bei einem Zusammenstoß ums Leben gekommen war, der sich am 9. Mai 2021 auf der K 79 zwischen Tondorf und Falkenberg ereignete. Oder wenn sie drei Minuten länger an der Tankstelle in Gerolstein geblieben wären? Wäre dann vielleicht nichts geschehen?

Es war eine emotionale Gerichtsverhandlung am Mittwochmorgen, als das Amtsgericht in Gemünd den Unfall juristisch aufarbeitete. Mit mehreren Angehörigen waren die zwei Söhne der Grevenbroicherin gekommen, die bei dem Unfall ihr Leben verloren hat. Sie verfolgten den Prozess, wobei ihnen oft die Tränen kamen.

Schleiden-Gemünd: 21-Jähriger wegen fahrlässiger Tötung angeklagt

Angeklagt wegen fahrlässiger Tötung war ein 21-jähriger Autofahrer. Er war von Tondorf in Richtung Falkenberg gefahren. In einer leichten Linkskurve stieß sein Fahrzeug frontal mit dem entgegenkommenden Motorrad der Frau aus Grevenbroich zusammen. Trotz sofort eingeleiteter Rettungsmaßnahmen starb sie noch an der Unfallstelle.

Schon bei der Unfallaufnahme waren die Polizeibeamten anhand der Spuren zu dem Schluss gekommen, dass der Autofahrer sich mit seinem Fahrzeug auf der Gegenfahrbahn befunden und so den Unfall verursacht habe. Eine Erklärung hatte er dafür vor Gericht nicht. Nein, er sei nicht durchs Radio abgelenkt gewesen. Er habe auch das Handy nicht benutzt. Das bestätigte eine Auswertung der Handydaten. Als er das Motorrad vor sich gesehen habe, habe er noch versucht auszuweichen, doch es sei bereits zu spät gewesen.

Angeklagter besucht Unfallstelle regelmäßig, um Blumen zu gießen

Ob er sich vielleicht bei den Angehörigen gemeldet habe, fragte Richterin Claudia Giesen. Nein, antwortete der Angeklagte. Ein Notarzt, der ihn untersucht habe, habe ihm davon abgeraten. Doch jetzt wolle er die Gelegenheit nutzen. Er wandte sich an die Angehörigen und bat sie um Verzeihung. Regelmäßig sei er an der Unfallstelle, gieße die Blumen, die dort hingestellt würden.

„Ich hätte mir gewünscht, dass zeitnah eine Entschuldigung gekommen wäre“, so einer der Söhne. Das hätte zwar das Seelenleid nicht gelindert, doch es wäre besser gewesen.

In einer leichten Linkskurve der K 79 zwischen Tondorf und Falkenberg war das Fahrzeug des 21-Jährigen auf der Gegenfahrbahn mit der Motorradfahrerin zusammengestoßen.

Wegen einer posttraumatischen Belastung hatten die Freunde der Motorradfahrerin, ein Mann und eine Frau, sich nach dem Unfall in Behandlung begeben müssen. Sie waren zu zweit auf dem Motorrad des Mannes hinter ihr hergefahren und hatten das Geschehen von hinten verfolgen müssen. Auf einer Motorradtour waren sie von Grevenbroich aus durch die Eifel gefahren.

Polizei soll Familie nicht über Tod der Mutter informiert haben

„Ich bin 180 Kilometer vorne weg gefahren, doch dann war der Akku meines Navis leer“, berichtete der Mann. Da ihr Navi noch aktiv war, sei dann die Grevenbroicherin etwa 150 Meter vorweggefahren. Von dem Unfall habe er nur einen lauten Knall gehört, dann habe er Teile zur Seite fliegen sehen. Das Auto, bei dem das linke Vorderrad abgerissen worden sei, sei auf sie zugerutscht, so dass er habe ausweichen müssen. „Mit einem Auto hätte das nicht mehr gepasst“, sagte der Mann.

Besonders belastend sei gewesen, dass nach dem Unfall die Angehörigen nicht durch die Polizei benachrichtigt worden seien. Er habe abends noch eine Nachricht für die Söhne auf dem Anrufbeantworter der Grevenbroicherin hinterlassen. Doch die habe die beiden erst am nächsten Morgen erreicht, als sie sich auf die Suche nach ihrer Mutter machten.

„Das ist indiskutabel, dass Sie nicht benachrichtigt wurden“, entschuldigte sich Richterin Giesen im Namen der Justiz dafür, dass erst am Morgen nach dem Unfall die Opferhilfe bei den Angehörigen gewesen sei. Die Mitteilung sei nicht weitergegeben worden.

Ungeeignete Lenkbewegung verursacht Unfall

Den Ablauf des Unfalles rekonstruierte der Sachverständige Viktor Sawatzki von der Dekra in Köln. Nach der Spurenlage habe sich die Kollision komplett auf der Gegenfahrbahn des Unfallverursachers ereignet. Als Geschwindigkeit schätzte er etwa 100 Stundenkilometer für das Fahrzeug und etwa 60 Stundenkilometer für das Motorrad. Technische Ursachen als Unfallursache schloss er aus. Eine ungeeignete Lenkbewegung habe den Unfall verursacht.

Noch zwei Sekunden vor dem Aufprall habe die Frau das Auto nicht sehen können, da dort eine Kuppe sei. Eine Sekunde vor dem Aufprall sei dies möglich gewesen, doch da sei eine Reaktion nicht mehr möglich gewesen, erläuterte er.

Unstimmigkeiten wegen der erlaubten Geschwindigkeit

Unstimmigkeiten gab es bezüglich der erlaubten Geschwindigkeit. So war die Polizei vor Ort noch von einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h ausgegangen. Doch etwa 300 Meter hinter dem Ortsausgangsschild befinde sich ein Schild, das das Tempo auf 70 beschränke, so der Sachverständige. „Das ist auch angemessen“, befand er. Doch auch mit 100 Stundenkilometern wäre es möglich gewesen, die Kurve zu durchfahren.

Zu einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung sowie zu sechs Monaten Fahrverbot verurteilte das Gericht den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung. Im Rahmen einer Gerichtsverhandlung sei es schwer, dem Geschehen gerecht zu werden. Dafür, dass der Angeklagte auf die andere Fahrspur geraten sei, gebe es keine andere Erklärung als sein Verhalten.

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„Dem Strafrecht wird oft vorgeworfen, es sei ein Täterstrafrecht“, sagte Richterin Giesen. Es sei selten, dass so viele Angehörige die Verhandlung verfolgten. Das mache deutlich, dass eine große Lücke gerissen worden sei.

„Von einer Sekunde auf die andere war alles nicht mehr so“, zitierte sie die Aussage eines Zeugen. Es gehe um die eine Sekunde, in der sich die Unfallbeteiligten sehen konnten, die aber keinem mehr eine Chance gab, so Richterin Giesen.