Zwei Wochen altes FindelkindSchleidener Förster nimmt Wildschweinbaby „It’s Me“ auf

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„It's Me“ wurde das kleine Wildschwein getauft.

Schleiden – Wer in diesen Tagen dem Revierförster von Schleiden, Markus Wunsch, ins Gesicht schaut, wird dort viele verschiedene Mimiken entdecken. Da ist die Müdigkeit, die sich nicht verbergen lässt. Dazu kommen Zärtlichkeit und unverkennbarer Stolz, wenn er über seinen neuen Hausgenossen spricht. „Es ist genial, wie er sich entwickelt“, sagt er und sieht dabei auf das kleine wuselige Wesen, das zwischen seinen Füßen hin- und herrast.

Der quirlige Hausgast, der das Leben im Revierforstamt auf den Kopf stellt, heißt „It’s Me“ und wird bald ein stolzer und starker Keiler sein. Doch bislang ist er ein zwei Wochen alter Frischling, der besondere Fürsorge und Aufmerksamkeit braucht. 1060 Gramm bringt er am Ostermontag auf die Waage. Vor einer Woche waren es noch 620 Gramm – es war nicht zu erwarten, dass der winzige Eber überlebt.

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Förster Markus Wunsch kümmert sich um das Findelkind.

Denn „It’s Me“ ist ein Findel-Wildschwein. Als er zu Wunsch kam, hatte er noch seine Nabelschnur. „Normalerweise verlieren Wildschweine die mit acht bis zehn Tagen“, erzählt er. Jetzt ist „It’s Me“ doppelt so groß und hat Wunsch mit Haut und Haaren absorbiert. „Ich bin als Bache akzeptiert“, sagt er mit zärtlichem, aber auch leicht leidendem Gesichtsausdruck. Denn ein Wildschwein aufzuziehen, ist harte Arbeit.

„Ich habe viel über Wildschweine gelernt“, so Wunsch. Etwa, dass sie in den ersten zwei Wochen keine eigene Körperwärme entwickeln und von der Mutter gewärmt werden müssen. Nachts schläft der kleine Keiler in Wunschs Halsbeuge geschmiegt, weswegen der Förster extra ins Büro im Erdgeschoss umgezogen ist. Wärme ist alles für den Kleinen. „Wenn er fünf Minuten draußen ist, fängt er an zu zittern“, berichtet Wunsch. Umso erstaunlicher ist es, dass „It’s Me“ nach Tagen bei Minustemperaturen und ohne Nahrung überhaupt noch am Leben ist.

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Der kleine Frischling

Gefunden wurde er im Sauerland. Ein Trupp Forstarbeiter war dort mit dem Harvester auf einer großen Windwurffläche unterwegs, als sie mehrere Frischlinge bemerkten. Die Männer unterbrachen ihre Arbeit, nahmen die Tiere auf den Arm und ließen sie wieder laufen. „Das ist kein Problem“, so Wunsch. Anders als bei Rehen nimmt die Bache ihre Babys wieder an. Doch am nächsten Tag waren die Tiere wieder da, von einer Bache keine Spur. Die Arbeiter informierten den Förster, der wiederum den zuständigen Jäger. Doch dem gelang es nicht, die Kleinen zu fangen.

„It's Me“ suchte Schutz

Am dritten Tag kam nur noch „It’s Me“ und suchte Schutz beim Harvester. Ein Waldarbeiter informierte Wunsch, für den er häufig im Wald unterwegs ist und brachte den winzigen Eber zu ihm. Kein Problem, habe er gedacht, sagt Wunsch, doch keine Wildtierauffangstation wollte das Tier übernehmen. „Das Problem ist, dass niemand weiß, was aus den Tieren werden soll“, so Wunsch. Durch die starke Bindung, die sie zu ihrem Pfleger aufbauen, können sie nicht ausgewildert werden. Und Rotten von Wildschweinen können die Stationen in der Regel nicht beherbergen.

„Außerdem ist es irrsinnig aufwendig, einen Frischling großzuziehen“, verrät Wunsch. Alle 20 Minuten wollte „It’s Me“ am Anfang etwas Nahrung mit der Einwegspritze bekommen – mittlerweile „nur“ jede Stunde. Zuerst habe er es mit Baby-Milchpulver versucht, doch richtig gut gehe es dem Frischling, seit er Ferkel-Aufzuchtmilch bekommt, berichtet Wunsch. „Ohne die Hilfe meiner Freundin Jenna, die Futter gemacht und nachts gefüttert hat, damit ich mal schlafen kann, hätte ich es nicht geschafft“, ist er sich sicher.

Das kleine Findel-Wildschwein „It’s Me“ hat Förster Markus Wunsch ins Herz geschlossen. Doch Ende der Woche wird der kleine Keiler in eine Auffangstation umziehen.

Das kleine Findel-Wildschwein „It’s Me“ hat Förster Markus Wunsch ins Herz geschlossen. Doch Ende der Woche wird der kleine Keiler in eine Auffangstation umziehen.

Auch wenn Wunsch nach eigener Aussage bekennender Jäger ist und angesichts der großen Wildschweinpopulation in Deutschland die Jagd auf die Tiere für dringend notwendig erachtet, ist es für ihn kein Widerspruch, dass er den kleinen Keiler großzieht, der binnen Jahresfrist satte zwei Zentner auf die Waage bringen wird.

„Es ist moralisch verwerflich für Jäger und jeden anderen, ein Wesen, das noch nicht im Leben ist, dem sicheren Tod zu überlassen“, sagt er. Für diese Einstellung habe er auch viel Zuspruch von Jägerkollegen bekommen, betont er. Doch lange wird „It’s Me“ nicht im Revierforstamt bleiben. Ende der Woche soll er in eine Auffangstation im Kreis Euskirchen umziehen, in der er, wenn er älter ist, in einer Rotte mit anderen Wildschweinen leben kann.

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Ganz schön frech!

Und angesichts der wilden Spiele von „It’s Me“ ist Wunsch klar, dass er als Haustier nicht wirklich geeignet ist: „Mit 18 Monaten wird er rund 150 Kilo wiegen, dann kann er mir beim Spielen aus Versehen die Beine brechen.“ Und auch um seine Einrichtung bangt Wunsch angesichts des rustikalen Verhaltens seines neuen Hausgenossen: „It’s Me zeigt schon alle Verhaltensweisen eines erwachsenen Keilers wie mit der Schnauze schlagen und beißen.“ So beiße der Kleine problemlos Stromkabel durch.

Noch lässt „It’s Me“ seine menschliche Ersatzbache nicht aus den Augen. Mit kleinen Spielchen versucht Wunsch, dem Keiler die Geschwister zu ersetzen: „Er muss lernen, sich zu behaupten.“ So wird er in wenigen Tagen den Frischling schweren Herzens ziehen lassen. „Ich werde schon ein Tränchen verdrücken“, lächelt der Förster. Doch bis dahin wird „It’s Me“ die Nächte noch eng an seinen Hals gekuschelt verbringen.

Tierkinder nicht mitnehmen

Auf gar keinen Fall solle man Frischlinge oder andere Tierkinder aus dem Wald mitnehmen, betont Markus Wunsch. Anders als bei Rehen würden sie von der Bache wieder angenommen. „Wenn Wildschweine leichter als 500 Gramm sind, haben sie keine Chance, da sie dann keine Erstlingsmilch von ihrer Mutter bekommen haben“, erläutert er. Sie sollten auf jeden Fall im Wald gelassen werden. In anderen Fällen sollte der Revierförster benachrichtigt werden, der den zuständigen Jäger informieren und für Hilfe sorgen könne.

„In jedem Jahr bekomme ich eine kleine Wildkatze gebracht“, ärgert sich Wunsch über die Unvernunft von Spaziergängern. Die Mutterkatze suche ihre Welpen und leide, da sie ihre Muttermilch nicht loswerde. „Am schlimmsten ist es, wenn Wildkatzen ins Tierheim gebracht werden“, warnt der Förster. Dort infizierten die Tiere sich oft mit Katzenschnupfen. „Diese Krankheit ist für Wildkatzen absolut tödlich“, so Wunsch. (sev)

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