Emotionale LesungWie Dominik Schottner seinen Vater an den Alkohol verlor

Dominik Schottner hat bei seiner multimedialen Lesung die volle Aufmerksamkeit der Gymnasiasten.
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Leverkusen – Selten hat man eine Schülergruppe über eineinhalb Stunden so still gesehen, wie während der Lesung von Dominik Schottner in der Bibliothek des Lise-Meitner-Gymnasiums. Kein Getuschel, keine Faxen. Ein Schüler verabschiedet sich zwischendurch kurz auf die Toilette, der Rest lauscht nahezu regungslos.
Kein Happy-End
Schottner ließt aus seinem Buch: „Dunkelblau – Wie ich meinen Vater an den Alkohol verlor.“ Einer erschütternden Geschichte über das, was der Alkohol mit seinem Vater und die Sucht mit der ganzen Familie gemacht hat. „Geschichten von Menschen, die es geschafft haben, vom Alkohol loszukommen, gibt es viele“, sagt der Journalist. Er will die andere Seite zeigen. Die ohne Happy End. Schottner passt seine Sprache dem jungen Publikum an, wenn er erzählt, wie er als Sechsjähriger auf der obersten Treppenstufe kauerte und den abendlichen Streit seiner Eltern belauschte. Wie er nach dem Tod des Vaters fünf Kisten mit Leergut – Bier, Wein, Schnaps – aus dessen Wohnung schleppte, und wie sauer er auf die Polizisten war, die zwei Tage vor dem Tod des Vaters einen Hilferuf ignorierten. Zwischendurch spielt er immer wieder Sequenzen aus seiner Radio-Reportage „Danke, Ciao“ ein, für die er 2016 den Deutschen Radiopreis erhielt.
„Ich wusste schon, dass es krass ist, was viele Leute trinken“, sagt die 16-jährige Selin hinterher. „Aber wenn man so eine persönliche Geschichte hört, ist das noch mal was anderes.“ Cassandra, ebenfalls 16, kennt die Problematik von einer Freundin, deren Vater ebenfalls Alkoholprobleme hat. „So merkt man ihr das nicht an, aber wenn sie dann mal was von Zuhause erzählt, dann merkt man schon, wie sie das beschäftigt.“ Sie habe das zwar schon einmal versucht, nun wolle sie aber ihre Freundin noch mal darin bestärken, sich auch Hilfe zu suchen.
Diese Botschaft ist Dominik Schottner besonders wichtig: Dass Kinder sich Hilfe holen können. „Wenn ihr betroffen seid, seid mutig, sprecht das an“, gibt er ihnen mit auf den Weg. Deswegen freute Schottner sich auch darüber, dass die Suchthilfe Leverkusen nicht nur eine öffentliche Lesung im Jugendhaus, sondern eben auch jene in der Schule organisiert hatte.
Persönlicher Dank
„Kinder sind die ersten, die darunter zu leiden haben und die am längsten leiden. Das ist ein schwerer Rucksack, den sie mit sich rumschleppen“, sagt der 38-Jährige, der selbst Vater von zwei Söhnen ist. Die nicht nur einen, sondern gleich beide Großväter an den Alkohol verloren haben. Nach der Lesung kommt ein Junge auf den Autor zu und bedankt sich persönlich. „Ich finde das sehr mutig, es ist ja nicht leicht, darüber zu sprechen“, sagt der 17-Jährige. Vor zwei Jahren sei er in der gleichen Situation gewesen, deswegen habe er sich auch bewusst für die Lesung angemeldet. „Es freut mich, dass es dir gefallen hat“, sagt Schottner gerührt.
SUCHTHILFE UNTERSTÜTZT BETROFFENE
Rund drei Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland sind von Alkoholsucht in der Familie betroffen. Nur in wenigen anderen Länder wird so viel Alkohol konsumiert wie hierzulande: Die Suchthilfe spricht von einem durchschnittlichen pro Kopf Konsum von zwölf Litern reinem Alkohol im Jahr. Betroffene und Angehörige können sich – auch anonym – an die Suchthilfe wenden. Die Beratungsstelle für Alkoholsucht befindet sich in der Pfarrer-Schmitz-Straße 9 in Wiesdorf und ist unter ? 0214 / 870 92 10 erreichbar. (stes) www.suchthilfe-lev.de