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„Vom Fitnessstudio hierher gewechselt“Wenn ein 70-Jähriger zum Karate-Kämpfer wird

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Peter Fabrizius ist mit 70 Jahren der älteste Teilnehmer.

Leverkusen – Kalt und ruhig ist es am Dienstagabend. 27 erwachsene Menschen stehen mit weißen Anzügen in einer Reihe, sie atmen tief ein und aus, knien sich auf den Boden. „Shomen Ni Rei“ ruft jemand, es folgen Verbeugung und Begrüßung.

Die Rede ist nicht etwa von einer okkulten Zusammenkunft, sondern vom Karate-Kurs für Fortgeschrittene in der Leverkusener Wolfgang-Obladen-Halle. Zum Aufwärmen lautet die Anweisung: Arme kreisen lassen. „Vorwärts, rückwärts“, flüstert der Trainer entschlossen. Die kollektive Bewegung klingt nach Meeresrauschen. Eine spirituelle Naturerfahrung im eigenen Körper? „Man darf es nicht übertreiben. Für Karate muss man nicht 150 Sprichwörter können wie für Yoga, man muss auch kein japanisch sprechen“, relativiert der 61-jährige Peter Sienko. Er ist seit seiner Kindheit begeisterter Karate-Kämpfer und leitet seit einem Jahr eine Gruppe für Fortgeschrittene. 

Interesse bei der Ü50-Fraktion

Aber doch, etwas Quasi-Spirituelles haftet diesem Sport an. Peter Fabrizius ist mit 70 Jahren der älteste Teilnehmer. „Ich bin vom Fitnessstudio hierher gewechselt. Bei Karate wird der Kopf anders gefordert, das ist nicht Schema F. Nach einer Stunde geht mir die Koordination immer etwas abhanden, weil die Konzentration so hoch ist“, erklärt er. Körper und Geist seien gefordert, die Rituale habe er gerne. Vor einem Jahr, als sich die Gruppe zusammenfand, war der „Leverkusener Anzeiger“ dabei, was ist seit dem geschehen?

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Nun, Interesse besteht vor allem bei der Ü50-Fraktion. „Der Alltag kann noch so stressig sein, nach einer Minute hier bin ich immer ganz ruhig“, erklärt Beate Redlich-Stadler, 62 Jahre alt. Sie macht seit vier Jahren mit. Mit wem man auch spricht, die Begeisterung ist groß für Höflichkeit und Respekt innerhalb der Gruppe, einige empfinden einen starken Unterschied zur kalten Außenwelt. Ja, im Kampfsport.

Körper, Geist und kulturelle Fragezeichen

Die Tritte und Schläge „sind zur Forderung da“, erklärt Sienko. „Wir ziehen die voll durch. Aber so, dass sie den Partner nicht berühren oder nur so leicht touchieren, dass es nicht wehtut.“ Partner also, keine Gegner. Aber ist die Verletzungsgefahr nicht hoch, wenn unerfahrene Kämpfer mit voller Kraft durchziehen? „Nein. Am Anfang ist man weder gefährlich noch präzise. Je gefährlicher die Karate-Kämpfer werden, desto besser können sie damit umgehen.“

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Die Ruhe vor dem (friedlichen) Kampf: Leverkusens Karate-Kämpfer bei ihrem Begrüßungsritual.

Als Monika Schwarz vor etwa einem Jahr davon gehört hat, dass man Karate noch mit über 60 Jahren anfangen kann, war sie skeptisch. „Ich wollte es mir aber mal anschauen. Als ich dann da war, dachte ich: »Wow, die sind ja alle total beweglich in der Taille!«“ Die 65-Jährige wurde neugierig – und machte mit. „Am Anfang war ich grottenschlecht. Man muss auf die linke Hand achten, auf die rechte Hand, dann auch noch auf die Füße. Aber es macht Spaß. Mittlerweile bin ich besser und vor allem viel beweglicher geworden.“ Sie führt ziemlich begeistert einen Schulterblick vor: „Das geht jetzt wieder ganz entspannt.“ Es geht um Körperschule, nicht um Wettkampf.

„Das Interesse ist viel größer als gedacht“, bilanziert Sienko. Die jetzige Gruppengröße gefällt ihm. Sport als Privileg der Jugend, das ist eine sehr westliche Sicht, vermutet der Trainer. „Beim japanischen Karate geht es wirklich um lebenslanges Lernen. Das ist auch eine Lebensphilosophie.“ Er selbst machte erst im letzten Jahr den 6. Dan, einen hohen Karate-Rang, auf den er über Jahre hingearbeitet hat: „Als Jugendlicher wollte ich mich einfach kloppen. Heute bedeutet mir Karate viel mehr.“