Messungen in NRWVerbotene Weichmacher im Kinder-Urin entdeckt

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Toxikologin Yvonni Chovolou vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz konnte mit ihrem Team den Weichmacher Di-n-hexyl-Phthalat (DnHexP) in vielen Urinproben von Kleinkindern aus NRW nachweisen

Toxikologin Yvonni Chovolou vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz konnte mit ihrem Team den Weichmacher Di-n-hexyl-Phthalat (DnHexP) in vielen Urinproben von Kleinkindern aus NRW nachweisen

Das Lanuv meldet, dass die Werte binnen drei Jahren erheblich gestiegen sind. Die Ursache ist noch völlig unklar. Auch Ältere sind davon betroffen.

In Urinproben von nordrhein-westfälischen Kindern zwischen zwei und sechs Jahren sind deutlich erhöhte Werte eines streng reglementierten und teils verbotenen Weichmacherstoffs nachgewiesen worden. Das teilte das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) NRW am Mittwoch mit.

Es geht um den Weichmacher Di-n-hexyl-Phthalat (DnHexP), der mit schädlichen Effekten für das Fortpflanzungssystem in Verbindung gebracht wird, also die Fruchtbarkeit schädigen soll. Im Urin ist der Stoff als sogenannter Metabolit MnHexP nachweisbar.

Verglichen worden seien aufbewahrte Urinproben von jeweils rund 250 Kindergarten-Kindern aus ganz NRW aus den Jahren 2017/18 und 2020/21. In dem Zeitraum habe sich der Anteil der mit dem Weichmacher belasteten Proben von 26 Prozent (2017/18) auf 61 Prozent (2020/21) erhöht, heißt es in der Mitteilung. Die Konzentration bei hochbelasteten Kindern habe sich in etwa verzehnfacht.

Besteht ein gesundheitliches Risiko?

Befunde oberhalb der Bestimmungsgrenze bedeuten laut Lanuv nicht zwangsläufig, dass ein gesundheitliches Risiko besteht. Untersuchungsergebnisse für andere gesundheitlich bewertbare Phthalate zeigen regelmäßig, dass diese auch bei einem hohen Anteil der untersuchten Kindern nachgewiesen werden können, weit überwiegend mit Werten, die keinen Anlass zur gesundheitlichen Besorgnis geben.

„Mit der Human-Biomonitoring-Studie des Lanuv haben wir ein Instrument entwickelt, mit dem Trends der Schadstoff-Belastung bei Kindern beobachtet und über einen längeren Zeitraum nachvollzogen werden“, erläuterte Dr. Barbara Köllner, Vizepräsidentin des Lanuv. „Die regelmäßigen Untersuchungen haben daher eine große Bedeutung als Frühwarnsystem. Sie zeigen uns im aktuellen Fall in den Proben aus 2020/21 im Vergleich zu den Proben aus 2017/18 eine Zunahme des Metaboliten MnHexP. Jetzt gilt es, dies gesundheitlich zu bewerten und die Ursache für diese Belastung herauszufinden.“

Die Ursache für die Zunahme der Belastung sei laut der Behörde völlig unklar. Bisher gibt es keine Hinweise, dass die Belastungen aus der Umwelt oder aus dem Trinkwasser kommt. Die Ergebnisse hingen auch nicht mit den Wohnorten der Kinder zusammen, sagte eine Lanuv-Sprecherin. Deutlich erhöhte Werte gebe es in ganz Nordrhein-Westfalen. Vermutlich gelte das nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene und möglicherweise auch für ganz Deutschland, sagte die Sprecherin. Für Erwachsene lägen in Nordrhein-Westfalen aber keine Reihen-Urintests auf Schadstoffbelastungen vor.

Recherchen waren der Anlass zur Untersuchung

Bei NRW-Kleinkindern untersucht das Lanuv seit 2011 regelmäßig im Drei-Jahres-Rhythmus die Schadstoffbelastung durch Kontakt unter anderem mit Weichmachern etwa in Spielzeug und Kosmetika, durch Konservierungsstoffe und Pestizide. Die Analysen nimmt das Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Gesetzlichen Unfallversicherung an der Universität Bochum vor.

Bisher seien die Proben dabei routinemäßig nicht auf MnHexP getestet worden, weil der Weichmacher wegen seiner gesundheitsschädlichen Eigenschaften schon seit vielen Jahren stark eingeschränkt beziehungsweise verboten sei und nur noch in sehr geringen Mengen produziert werde, so die Mitteilung.

Anlass für die Untersuchung von Ende 2023 seien Recherchen einer Journalistin gewesen, die bei Untersuchungen erhöhte MnHexP-Belastungen in Einzelfällen festgestellt habe. Die Frau habe sich mit ihren Beobachtungen an das Lanuv gewandt. Daraufhin seien die aufbewahrten Urinproben von 2017/18 und 2020/21 erneut und nun auf diesen Stoff analysiert worden.

Das Lanuv habe Kontakt zu anderen Behörden auch im Bund aufgenommen, um mögliche Ursachen für die starke Belastung und einen Bewertungsmaßstab für den Stoff zu finden, hieß es in der Mitteilung. „Bisher gibt es keinen Grenzwert“, sagte die Sprecherin. Beim Umweltbundesamt lägen wohl Urinproben aus vergangenen Jahren von Erwachsenen vor, die man möglicherweise nachträglich auf den Stoff untersuchen könne. (dpa/kmü)


Weichmacher stecken in vielen Dingen

Weichmacher sind Stoffe, die spröden Materialien zugesetzt werden, um sie weich, biegsam oder dehnbar zu machen. Sie finden sich laut einer Mitteilung des NRW-Umweltministeriums zum Beispiel in Kunststoffen (Kabeln, Folien, Fußbodenbelägen, Sport und Freizeitartikeln), Anstrich- und Beschichtungsmitteln, Gummi-Artikeln oder in Klebstoffen. Mit der Zeit können die Weichmacher aus den Produkten entweichen und vom Menschen aufgenommen werden. Eine wichtige Weichmacher-Gruppe sind die Phthalate. Diese Stoffe werden im Körper des Menschen in sogenannte Metaboliten umgewandelt und mit dem Urin ausgeschieden. Viele Phthalate sind für die Gesundheit des Menschen schädlich, da sie Effekte auf das Fortpflanzungssystem haben. Für eine Reihe von Phthalaten bestehen deshalb umfangreiche Verwendungsbeschränkungen. Vom Lanuv werden aktuell insgesamt 25 Phthalat-Metaboliten im Urin von Kindern untersucht. Der in den Urinproben von Kindergartenkindern gefundene Weichmacher DnHexP steht seit 2013 in der Europäischen Union auf der Liste der besonders besorgniserregenden Stoffe. Als Weichmacher ist dieses Phthalat in kosmetischen Mitteln, Lebensmittelkontaktmaterialien und in Spielzeug deshalb nicht mehr zugelassen. (kmü)

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