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2. WeltkriegKaugummi, Apfelsinen und Musik

Lesezeit 6 Minuten

Schon kurz nach Kriegsende entwickelte sich ein entspanntes, wenn auch noch distanziertes Verhältnis zwischen den Besatzern und der einheimischen Bevölkerung.

Gummersbach – Am 6. April 1945 hatten amerikanische Kampfverbände bei Spurkenbach in der Gemeinde Waldbröl erstmals oberbergisches Gebiet erreicht, fünf Tage später war auch Gummersbach unter amerikanischer Kontrolle. Schon am 18. Juni werden die amerikanischen Besatzungstruppen im Oberbergischen durch britische ersetzt, die auch nur ein Jahr bleiben.

Allerdings bleibt der britische „Residenzoffizier“ in Gummersbach nach wie vor die höchste Autorität für den Oberbergischen Kreis. Mit einer kurzen Unterbrechung war dies der allseits hoch respektierte Oberst Taylor, auch nachdem 1947 die Briten durch belgische Truppen abgelöst wurden.

Engagement für Jugend

Durch seine Integrität und persönliche Anteilnahme genoss Oberst Taylor hohes Ansehen. Seiner tatkräftigen Unterstützung schreibt man zum Beispiel zu, dass im Oberbergischen nur ein einziger Betrieb, die Bielsteiner Firma Grassmann, demontiert werden musste. Bezeichnend für ihn, dass er gleich nach seinem Amtsantritt für ein „Jugendhaus“ sorgte (in der ehemaligen NS-Kreisleitung),: mit Lesezimmer, Spiel- und Bastelräumen. Taylor, der sich auch persönlich in die Betreuung einbrachte, nannte als Ziel: „In selbst auferlegter Disziplin“ und „nicht in Gefolgschaft zu irgendwelchen Führern“ sollen die Jugendlichen als „Einzelindividuen“ zu gesellschaftlicher Verantwortung finden.

Bananen und Apfelsinen

Auch wenn die Briten nur ein knappes Jahr im Oberbergischen waren und die Amerikaner noch viel kürzer, ist die Erinnerung an sie noch lebendig. Dass sie vor allem mit Kaugummi, Apfelsinen und Bananen verbunden ist, wird damit zusammenhängen, dass man nach der totalen Niederlage die schier unglaubliche materielle Überlegenheit vor allem der Amerikaner staunend zur Kenntnis nahm und man angesichts des eigenen Elends der ersten Nachkriegsjahre für jede nette Geste dankbar war. Erwähnt werden auch stets die dunkelhäutigen GIs – für die meisten hierzulande die ersten Dunkelhäutuigen, die sie zu Gesicht bekamen.

German Frauleins

Trotz des Fraternisierungsverbots (keine Kontakte), herrschte doch bald ein fast freundschaftliches Verhältnis zwischen Besatzern und Bevölkerung, zumal die Herren Offiziere auch nicht sonderlich auf Distanz hielten, wie der Einladung zu einem Tanzabend in der Schützenburg zu entnehmen ist, die extra darauf hinweist: „German Frauleins have been invited.“

Freude übers Kriegsende

„Die Gummersbacher haben keinerlei Feindseligkeit gezeigt“, erinnert sich Bill Ashley, ein Besatzungssoldat von damals. „Im Gegenteil, wir wurden freundlich aufgenommen, und man kam schnell in Kontakt. Keinerlei Ressentiments! Die allgemeine Stimmung war gleichermaßen bei der Bevölkerung wie bei uns Soldaten: Freude über das Kriegsende und das eigene Überleben“, versichert Ashley. „Frauen aus der Nachbarschaft haben für Zigaretten und Schokolade die Wäsche der Soldaten gewaschen und gebügelt. Und wenn es in der Kantine Apfelsinen gab, gingen wir mehrmals in der Reihe an der Apfelsinenausgabe vorbei, um für die Kinder in der Nachbarschaft ein paar Apfelsinen abzuzweigen. Bei Paraden oder Übungen unserer Marching Band auf dem Sportplatz hatten wir immer viele Zuschauer.“ Eine ganz besondere Attraktion waren Fußballspiele gegen die Irish Guards. Aber sogar der TuS Derschlag – damals die oberbergische Spitzenmannschaft – zog deutlich mit 1:5 den Kürzeren, kein Wunder, hatten die Briten doch fünf Nationalspieler in ihren Reihen.

Kaffee und Zigaretten

Fragt man nach Erinnerungen an die Belgier, sind die Eindrücke und Reminiszenzen reicher und vielfältiger – waren sie doch auch viel länger unsere „Gäste“. „Nette Kerle, denen ging es nicht so gut wie den Amis“, heißt es, wenn man mit alten Gummersbachern spricht. Die Belgier marschierten samstags mit ihrer Kapelle die Kaiserstraße entlang und machten sich beliebt als Kaffee- und Zigarettenlieferanten. Manch mageres Flüchtlingskind durfte in einer Offiziersfamilie wegen Unterernährung mitessen und bekam auch noch ein Kochgeschirr voll mitEssen nach Hause. Es gab verschiedene Freundschaften der Belgier mit deutschen Mädchen.

Beschlagnahme

In der Tat schlug seinerzeit die Beschlagnahme von Wohnraum hohe Wellen. Denn obwohl durch Flüchtlinge und Evakuierte – allesamt ohne Hab und Gut ins Oberbergische gekommen – eine Bevölkerungszunahme von nahezu 50 Prozent zu verkraften war, wurde dennoch im Frühjahr 1947 der übervölkerten Stadt eine weitere Bürde aufgeladen: Ein belgischer Brigadestab wurde hierher verlegt, was dazu führte, dass neben einer Schule, einem Geschäft und einer Autowerkstatt auch 40 Häuser geräumt werden mussten; 159 Familien mit 406 Angehörigen mussten ihre Wohnungen verlassen, wobei nicht einmal die Möbel mitgenommen werden durften. Kreisweit wurden damals rund 300 Wohnungen beschlagnahmt, meist inklusive der Möbel. 1949 werden in Gummersbach noch einmal 34 Wohnungen requiriert.

Bauboom

Erst als 1950 auf dem Steinberg ein ganzer Straßenzug mit Wohnhäusern für die belgischen Soldaten entstand – die heutige Friedensstraße – und zahlreiche beschlagnahmte Wohnungen an die alten Bewohner zurückgegeben werden, brachte dies Entspannung.

Der gleichzeitig einsetzende Bauboom tat ein Übriges. Auch scheint die Besatzungsmacht sich um ein besseres Verhältnis zur Bevölkerung zu bemühen. Zu Weihnachten hatten die Belgier schon immer eine Bescherung für bedürftige deutsche Kinder durchgeführt.

Distanziertes Verhältnis

Im Januar 1951 findet erstmals ein Konzert der Militärkapelle statt, zu dem auch die Gummersbacher Bevölkerung eingeladen ist. Diesem Konzert – sehr lobend in der Presse besprochen – folgen zahlreiche weitere.

Insgesamt aber scheint das Verhältnis zur Bevölkerung eher distanziert zu bleiben. „Wir hatten alle wenig Kontakt mit den Deutschen“, erinnert sich Jan Rummens, ein belgischer Soldat, der 1951 nach Gummersbach versetzt wurde. Jan Rummens allerdings war eine Ausnahme: Er lernte ein Gummersbacher Mädchen kennen, sie heirateten, und heute ist er längst Deutscher.

Auch wenn private Kontakte eher selten waren, geschäftliche Kontakte gab es reichlich: Denn als preisgünstige Lieferanten von Cognac waren die Belgier gern gesehen.

Konzert in der Stadt

Besonders nachhaltig in der Erinnerung der älteren Gummersbacher ist die Militärkapelle der Belgier geblieben. Wenn die 50 oder 60 Mann starke Band die Kaiserstraße entlang marschierte, mit Kling und Klang der Tambourmajor voran seinen Tambourstab immer wieder so hoch in die Luft schleudernd, dass man gespannt aufpasste, ob er nicht in der Oberleitung der Straßenbahn Funken schlug – dann war das schon ein Schauspiel der besonderen Art. „Und wir Kinder natürlich hinterher“, erinnert sich Günter Schmude, „war ja schön, da hinterherzulaufen oder an der Seite mitzumarschieren. Heidewitzka!“

Und wie entspannt, ja teilweise freundschaftlich am Ende der Besatzungszeit das Verhältnis war, mag man an der folgenden kleinen Erzählung von Jan Rummens sehen: „Der Vater meiner Gummersbacher Freundin war bei der Feuerwehr und hat mich dann natürlich für deren Kapelle verpflichtet. ,Ja, ja, meinetwegen’, hat mein Chef zugestimmt, ,aber nicht in der Feuerwehruniform.’ Ich hab’s aber doch getan. Eines Tages war ich mit der Feuerwehrkapelle oben am Kriegerdenkmal auf dem Kerberg angetreten und stand wie üblich auf meinem Platz in der ersten Reihe, in Feuerwehruniform natürlich. Und, oh Schreck, ich sehe die belgischen Offiziere kommen, die ebenfalls an der Feier teilnahmen. Da bin ich aber schnell in die hinterste Reihe. Wahrscheinlich hat man mich doch erkannt, aber nichts gesagt.“

So hat man die Belgier in Erinnerung: leben und leben lassen und ggf. die Dienstvorschriften der Situation anpassen, nicht umgekehrt.