Wiedenester KreuzkircheBrunnen versorgt seit Urzeiten die Menschen

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Der erste Schluck wird gleich an Ort und Stelle genossen: Wie Familie Bockemühl-Simon an der Quelle oberhalb der Wiedenester Kreuzkirche.

Der erste Schluck wird gleich an Ort und Stelle genossen: Wie Familie Bockemühl-Simon an der Quelle oberhalb der Wiedenester Kreuzkirche.

  • Oberhalb der Wiedenester Kreuzkirche sprudelt seit Urzeiten ein Brunnen.
  • Von Hobbygärtner über Radfahrer und Tierhalter bis zum Teetrinker nutzten die Quelle den ganzen Tag.
  • Pfarrer Michael Kalisch weiß nicht, wer die Leitung gelegt hat, kennt aber einige Mythen.

Wiedenest – Sein Wasser hat wohl selbst bei größter Einbildungskraft keine heilende Wirkung. Und heilig wirkt das aus einer Bruchsteinmauer ragende simple Metallrohr auch nicht. Aber es schmeckt sehr gut. Und auch deshalb trifft auf den seit Ewigkeiten nicht versiegenden Wasserfluss oberhalb der Wiedenester Kreuzkirche der bekannte Werbespruch eines deutschen Sprudelwasserproduzenten zu: „Aus dieser Quelle trinkt die Welt“.

Hobbygärtner, Radfahrer, Tierhalter, Teetrinker oder Hausbauer – alle holen sie sich Wasser hier. Sie füllen es in Flaschen oder Kanister ab und schaffen es in ihren Autos nach Hause – und sie reden miteinander nicht nur übers Wasser.

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Die Kreuzkirche in Wiedenest 

Zweimal hat die evangelische Kirchengemeinde schon Schilder „Kein Trinkwasser“ angebracht. Beide sind längst verschwunden. Auch die Tafel „Betreten der Treppe- und Brunnenanlage auf eigene Gefahr“ hat die Kirchengemeinde aufgestellt, um nicht haften zu müssen, falls mal jemand stürzt. Immerhin dieses Schild ist noch da. Es kümmert aber niemanden.

Kreuzkirche Wiedenest

Den Namen Kreuzkirche verdankt die Wiedenester Kirche der Überlieferung nach einem kranken Kreuzritter, der mit einem Splitter vom Kreuz Jesu im Gepäck hier Station machte, von der Quelle trank und gesundete. Statt den Kreuzsplitter – wie geplant – in Köln abzuliefern, habe er ihn aus Dankbarkeit in Wiedenest gelassen und die Kapelle hieß fortan „Kapelle zum heiligen Kreuz zu Wiedenau“ – heute kurz Kreuzkirche Wiedenest. (kn)

Auch dass das sprudelnde Nass nicht regelmäßig auf seine Inhaltsstoffe untersucht wird, ficht seine Fans nicht an: Es schmeckt halt so gut.

Begeistert von den Begegnungen

Als Sedat Kilic zum ersten Mal hier war, tat er seiner Tante einen Gefallen: „Es war sehr trocken und sie brauchte Wasser für ihr Gemüsebeet, wollte es aber nicht aus der Leitung nehmen.“

Sedat Kilic erfreut sich ebenfalls am frischen Wasser. 

Sedat Kilic erfreut sich ebenfalls am frischen Wasser. 

Also fuhr er vom Hackenberg runter nach Wiedenest. „Und da standen tatsächlich 15, 20 Leute, um sich Wasser zu holen“, erzählt er, während er den Kanister füllt – wieder für die Tante. Der junge Gummersbacher mit türkischen Wurzeln erzählt begeistert von den Begegnungen am Brunnen. „Hier werden tolle Gespräche geführt. Es sind schon Freundschaften hier entstanden. Es ist ein heiliger Ort.“

Die Quelle oberhalb der Kreuzkirche. 

Die Quelle oberhalb der Kreuzkirche. 

Ein Ort unklaren Ursprungs ist er allemal. Die Quelle, die den Brunnen speist, liegt irgendwo oben im Hang, die genaue Position wird geheim gehalten. Wann von dort die Leitung zum jetzigen Brunnen gelegt wurde, weiß Pfarrer Michael Kalisch nicht. Dafür kennt er einige der Mythen, die sich um die Quelle ranken.

Ursprung heidnischer Riten

Sie sei wohl ursprünglich ein Ort heidnischer Riten gewesen, ehe Kaiser Karl der Große die Christen aufgefordert habe, an eben solchen Orten christliche Betstätten zu errichten. So sei wohl im achten oder neunten Jahrhundert ein erstes hölzernes Bethaus entstanden, später dann die „Heilige Kapelle zu Wiedenau“.

Es ist kurz nach neun, Peter Esau fährt vor, die Ehefrau auf dem Beifahrersitz, zwei Zehn-Liter-Kanister im Kofferraum. Die Esaus leben in Wiedenest, einmal in der Woche kommen sie zum Brunnen.

Auch Peter Esau ist Stammkunde.

Auch Peter Esau ist Stammkunde.

Die beiden passionierten Teetrinker brühen sich ihr Lieblingsgetränk nur mit dem Brunnenwasser auf. Esau kennt sich aus mit Quellen. Es gebe tatsächlich ein Quellverzeichnis, berichtet er dem überraschten Pfarrer. Wenn die Esaus mit dem Wohnmobil auf Reisen sind, und eine Quelle befindet sich in der Nähe, holen sie sich auch dort ihr Teewasser.

Autos mit Kölner und Wuppertaler Kennzeichen hat Esau schon an der Wiedenester Quelle gesehen. Genau wie Familie Bockemühl-Simons, die am Brunnen schon Kölner getroffen hat, die das Wiedenester Wasser in ihren Restaurants zum Kochen verwenden.

Betrieb von 7 bis 23 Uhr

Betrieb herrscht am Brunnen praktisch den ganzen Tag über, ab sieben Tage in der Woche. Morgens um sieben kommen die ersten, nicht selten wird auch um 23 Uhr abends noch abgefüllt. Wenn junge Leute dabei die Musik in ihren Autos aufdrehen, reagieren die unmittelbaren Nachbarn schon mal unwirsch,

Kalisch kann das verstehen. Weniger Verständnis bringt er für diejenigen auf, die sich für die Baustelle daheim 1000 Liter fassende Tanks vollfüllen oder ihr Auto hier waschen – alles schon vorgekommen.

Wasser schenkt der liebe Gott

Machen kann der Pfarrer dagegen nichts, „das Wasser gehört uns ja nicht“. „Stimmt“, sagt Beate Wingendorf, „das schenkt uns der liebe Gott“. Und so hat auch sie auch kein Problem damit, sich dort zu bedienen, obwohl das Wasser eigentlich dazu dient, die Bewohner der vier Fischteiche unterhalb des Brunnens mit Frischwasser und Sauerstoff zu versorgen.

Aber die Quelle sprudele schließlich seit einer gefühlten Ewigkeit rund um die Uhr, da bleibe für die Fische schon genug übrig. Sie selbst füllt sich regelmäßig ein Dutzend Zehn-Liter-Kanister ab, um ihre Pferde zu tränken. Im Stall hat sie keinen Wasseranschluss und „die Tiere trinken das gerne“.

Brunnen sprudelt schon lange

Auch wenn in der Bibel vom Wasser des Lebens und der Liebe die Rede ist und es ohne Wasser keine Leben gäbe – im Glaubensleben der Kirchengemeinde spielt der Brunnen keine Rolle. Lesungen oder Gespräche am Brunnen kann sich Pfarrer Kalisch aber durchaus vorstellen.

Wie lange der Brunnen oberhalb der Kirche noch sprudeln wird, weiß niemand. Manchmal hat Pfarrer Kalisch den Eindruck, die Intensität des Wasserstrahls habe bereits nachgelassen. Teetrinker Peter Esau glaubt das nicht und beruhigt den Geistlichen: Das sei im Sommer ganz normal, sagt er – und macht sich ans Abfüllen seiner beiden Kanister.

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