Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Diözesanrichter in KölnScheidung und Kirchenrecht: „Bei uns gibt es kein Schuldprinzip“

Lesezeit 6 Minuten

Hardt – „Bis der Tod uns scheidet“ – ein Satz, der das Verständnis der katholischen Kirche von der Ehe prägt wie kein anderer. Ein Prinzip, das gilt, aber bei weitem nicht so ausnahmslos, wie es vielen Gläubigen manchmal erscheint – das sagt zumindest Monsignore Josef Scherer.

Denn der 78-jährige Scherer, der im Februar sein goldenes Priesterjubiläum in der Kirche St.  Peter und Paul in seinem Geburtsort Engelskirchen gefeiert hat und als Pfarrer im Ruhestand immer noch seelsorgerisch in der Gemeinde tätig ist, kennt die Ausnahmen: Seit 2006 ist er Diözesanrichter am erzbischöflichen Offizialat in Köln und entscheidet dort über Anträge auf Feststellung der Ehenichtigkeit.

Scherers ganz praktisches Interesse reicht bis ins Studium der Theologie zurück, mit dem er 1959 begonnen hatte. „Kurze Zeit später kam eine Bekannte zu mir, die heiraten wollte. Ihr Problem dabei war weniger, dass der Mann evangelisch war, sondern vor allem, dass er geschieden war“, erinnert sich Scherer.

Eine kirchliche katholische Hochzeit wäre damit ausgeschlossen gewesen. Denn als sogenannte „Naturehe“ erkenne das Kirchenrecht auch zivile Ehen oder solche an, die im Rahmen anderer Religionen geschlossen worden sind – es sei denn, die erste Ehe wird nach Kirchenrecht für nichtig erklärt.

Schnell fand Scherer jedoch heraus, dass die erste Ehe des Mannes nach katholischem Kirchenrecht nichtig sein könnte: „Seine erste Frau hatte ihm vor der Hochzeit gesagt, dass sie schwanger sei. Tatsächlich war sie das aber gar nicht – und sie konnte auch überhaupt keine Kinder kriegen. Über beides hatte sie ihn belogen.“ Ein klassischer Fall für eine Ehenichtigkeit, wie sich anschließend herausstellte.

Und so – durch Praxis statt Studium – wurde Scherer schnell zum Experten. „Vor allem in meinen 27 Jahren als Pastor in Bad Münstereifel kamen bestimmt fünf bis sechs Paare im Jahr zu mir, um sich beraten zu lassen“, erinnert sich Scherer. Meistens ging es um Menschen, die kirchlich heiraten wollten, bei denen das aber nicht möglich sein sollte wegen einer gescheiterten Ehe zuvor.

Das ist gar nicht so schwer, wie es viele erwarten, sagt Scherer, der vor seiner Berufung zum Diözesanrichter die Antragsteller – offiziell als „klagende Partei“ bezeichnet, im Gegensatz zur anderen, der „nicht-klagenden Partei“ – im Verfahren beim Offizialat als „Prozessstellvertreter“ vertreten hat – „nicht als Anwalt, denn dafür fehlte mir das Studium“, betont er.

Ob es ihn nicht störe, wenn seine Kirche in der Öffentlichkeit für ihren Umgang mit Geschiedenen so oft gescholten wird? Da schmunzelt Scherer milde und sagt: „Sie wissen es halt nicht besser.“ Und warum selbst unter denen, die diesen Weg kennen, längst nicht jeder den Weg vor das kirchliche Gericht sucht, erklärt sich Scherer mit bestimmten „Hemmungen“: „Viele sind einfach froh darüber, dass die zivilrechtliche Scheidung nun endlich hinter ihnen liegt, und wollen das alles nicht noch einmal in einem neuen Verfahren aufwühlen.“

An einer besonderen Gestaltung des kirchlichen Rechtes liege es jedenfalls nicht: „Auch bei uns gibt es kein Schuldprinzip.“ Scherer jedenfalls glaubt, dass nach wie vor einfach zu wenige Menschen um die Möglichkeiten eines Ehenichtigkeitsverfahrens wissen.

„Diejenigen, denen die Kirche nichts ausmacht, kümmern sich da gar nicht drum“, sagt er. Für alle, „die mit der Kirche und mit dem Herrgott ins Reine kommen“ wollten, sei so etwas aber eine „dankbare Sache“, erklärt der Pastor.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Diözesanrichter über die Nichtigkeit einer Ehe entscheiden.

Monsignore Josef Scherer hat viel Erfahrung mit dem Verfahren zur Ehenichtigkeitserklärung. Hier einige Fragen und Antworten zum Ablauf des Verfahrens.

Auf welcher Basis entscheiden die Diözesanrichter über die Nichtigkeit einer Ehe?

Rechtsgrundlage ist der Codex Iuris Canonici in der seit 1983 geltenden Fassung. Relevant für die Richter ist auch die sogenannte „dignistas connubii“, eine „päpstliche Instruktion“ noch aus der Zeit von Papst Johannes Paul II., „die von den diözesanen und interdiözesanen Gerichten bei Ehenichtigkeitsverfahren zu beachten ist“.

Was sind Gründe für eine Ehenichtigkeit?

„Wichtigste Grundlage für die Wirksamkeit der Ehe ist der Wille der Eheschließenden. Zum Beispiel der Wille, die Ehe wirklich einzugehen, bis dass der Tod sie scheidet, oder sie – wie es der katholische Glaube nun einmal vorsieht – zu schließen, um Nachkommen zu erzeugen“, erklärt Scherer. Entscheidend, so der Monsignore, sei dabei die Täuschung des anderen: „Wenn sich jemand trotz Kenntnis der Vorbehalte auf die Ehe einlässt, ist die Nichtigkeit ausgeschlossen.“

Wer kann überhaupt eine Ehe schließen?

Nur Menschen, die nach Kirchenrecht auch vertragsfähig sind. Das sei nicht nur dann ausgeschlossen, wenn jemand unter Schwachsinn oder unter einer Suchtkrankheit leide. Eine sogenannte „psychisch-bedingte Eheschließungsunfähigkeit“ könne, so Scherer, zum Beispiel auch schon dann vorliegen, wenn eine Frau als Kind missbraucht oder seelisch misshandelt wurde: „Dann sucht sie den schnellen Schutz und nicht den gleichwertigen Partner.“

Was geht die katholische Kirche und ihr Gericht eine Ehe an, die gar nicht vor ihr geschlossen wurde?

Der Grundsatz der Unauflöslichkeit einer Ehe – mit den genannten Ausnahmen oder alternativ mit einem Bittgesuch zur Auflösung an den Papst – gilt nach katholischem Recht auch für die sogenannte „Naturehe“. Damit betrifft sie auch die Ehe, die nach Ritualen einer anderen Religion oder eben auch nur vor dem Standesamt geschlossen wurde.

Wie lange dauert das Verfahren? Wer entscheidet?

Im Schnitt dauere ein Verfahren anderthalb bis zweieinhalb Jahre, sagt Scherer. In erster Instanz – beim erzbischöflichen Offizialat in Köln also, zum Beispiel – befassen sich drei Richter mit dem Fall: zwei Geistliche und ein Zivilrichter. „Der zivile Richter muss auf jeden Fall das kanonische Recht kennen“, erklärt Scherer. Meistens handele es sich um Menschen, die auch im Zivilberuf Richter sind. Fast immer, so Scherer, seien es Lizenziaten – die also auch die akademische Voraussetzung besitzen, an kirchlichen Hochschulen zu lehren. Anders als im Zivilprozess braucht es nach dem Urteil der drei Richter in jedem Fall zudem noch ein weiteres bestätigendes Urteil in zweiter Instanz. Nach einer Entscheidung in Köln sei dafür ein Gericht in Münster zuständig, so Scherer. Nur, wenn beide Gerichte uneinig sind, gehe die Sache in eine dritte Instanz, die dann in Freiburg oder aber auch in Rom sitze.

Wie kommt das Gericht zu seinem Urteil?

Es gilt der Untersuchungsgrundsatz. „Das Gericht ist auf Ehre und Gewissen verpflichtet, die Wahrheit zu erforschen“, erklärt Scherer. Dazu werden Gutachten eingeholt und Zeugen gehört. „Vieles, über das wir zu entscheiden haben, findet natürlich im Kopf der Menschen statt“, sagt Scherer. Umso wichtiger könnten Freunde, Bekannte und Verwandte sein, die vor der Hochzeit mit den Beteiligten gesprochen haben und deshalb auch jetzt noch deren Ansichten zu dieser Ehe wiedergeben können.

Wie teuer ist das Verfahren?

Die klagende Partei muss laut Diözesanrichter Scherer in erster Instanz 200 Euro zahlen, in zweiter Instanz müssen noch einmal 100 Euro gezahlt werden. „Es gibt allerdings – wie im Zivilprozess auch – die Möglichkeit, Prozesskostenhilfe zu bekommen, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind.

Wie viele Verfahren gibt es beim erzbischöflichen Offizialat?

Nach Auskunft von Scherer gab es im Jahr 2014 insgesamt 182 Beratungen beim Offizialat. Im Anschluss daran seien 101 Verfahren eingeleitet worden. Wer sich selbst für eine Beratung interessiert, kann sich direkt an das erzbischöfliche Offizialat in Köln wenden.

www.erzbistum-koeln.de/erzbistum/offizialat