Star-ParadeBis zu 200.000 Stare haben nahe Ehreshoven ein Nachtquartier gefunden

Lieben ihren Schlafplatz offensichtlich: Bevor sie sich zur Ruhe begeben, fliegen die zigtausende Stare aufsehenerregende Formationen über Ehreshoven.
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Engelskirchen – Die ersten Schlafgäste erscheinen, sobald die Abenddämmerung einsetzt. An diesem späten Nachmittag gegen 20 vor fünf. Plötzlich sind sie da, 100, vielleicht 200 Stare. Zischen über ihr Nachtquartier hinweg und beginnen, ihre Runden über dem Aggertal zu drehen.
Dort, am westlichen Ende der Gemeinde Engelskirchen, warten sie über der Ortschaft Ehreshoven auf ihre Artgenossen. Gut 30 Minuten später werden es Zehntausende sein. Ihre Zahl ist schwer festzustellen, doch Vogelkundler schätzen, dass es in Spitzenzeiten an die 200 000 Vögel sein können.
Seit einigen Jahren schlagen sie ihr Nachtquartier in einem rund 1000 Quadratmeter großen Bambushain auf. Kurz bevor die Sonne ganz untergeht, stürzen sie sich in Gruppen von mehreren Tausend auf einmal in die Pflanzung.
Wie genau sie das machen, ist bis heute nicht genau erforscht
Zuvor haben sie atemberaubende Flugmanöver am Himmel gezeigt. In einer riesigen Wolke fliegen die Tiere hin und her, teilen sich plötzlich in mehrere Gruppen auf, um im nächsten Moment wieder aufeinander zu zufliegen und sich erneut zu einem einzigen Schwarm zu vereinen. Und immer wieder stoßen weitere Gruppen dazu.
Wie genau sie das machen, ist bis heute nicht völlig erforscht. Sicher ist, dass die Schwärme von innen heraus gesteuert werden. Dort fliegen die dominanten, erfahrenen Vögel. Außen am Rand der Wolke die Jungtiere. Die sind dort anfällig für Greifvogelattacken – falls überhaupt ein Jäger es wagt, sich dem Schwarm zu nähern. Der wehrt sich mit seiner schieren Masse.
Kleine Piepmätze mit unglaublichem Sehvermögen
Die kleinen Piepmätze haben ein unglaubliches Sehvermögen. Sie verarbeiten mit 150 Bildern ein Vielfaches der 20, die das menschliche Gehirn pro Sekunde nur wahrnehmen kann. Deshalb reagieren sie so blitzschnell, wenn die Artgenossen neben ihnen die Richtung wechseln, weiß Rainer Ufer. Der Ortsvorsitzende des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) in Lindlar beobachtet die gefiederten Gäste in Engelskirchen schon seit längerer Zeit.

Gruppenweise stürzen sich die Stare fast senkrecht vom Himmel in den Bambushain.
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Das tut auch Walter Mayer, wenn auch nicht freiwillig. Er ist unmittelbarer Nachbar des Ehreshovener Naturschauspiels, das sich allabendlich vor seinen Fenstern abspielt. Sein Grundstück grenzt an den Bambushain, und so richtig begeistert ist er von den Nachbarn auf Zeit nicht, wie er zugibt.
„Es ist zwar wirklich schön anzusehen“, sagt er mit Blick in den Abendhimmel, „aber es stinkt auch fürchterlich“. Was 100 000 oder mehr Vögel jeden Tag unter sich lassen, weht je nach Temperaturen und Windstärke aus dem Bambusdickicht Richtung Mayers Haus. Drinnen merke er nichts davon, sagt der ehemalige Automechaniker, „aber im Garten, da kriegt man manchmal Kopfschmerzen davon“.

Nachbar Walter Mayer erfreut sich an dem Schauspiel – auch wenn die vielen Tiere im Laufe ihres Aufenthalts für argen Gestank sorgen.
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Bis zum Frühjahr, wenn die Vögel wieder Engelskirchen verlassen, bedecken ihre Hinterlassenschaften den Boden im Bambushain mehr als zehn Zentimeter hoch, berichtet Ufer vom Nabu. Und auch die Schaulustigen, die sich die Flugschau früh abends anschauen, wissen davon ein Lied zu singen, wenn sie mit weiß gesprenkelten Autos den Ort des Geschehens wieder verlassen.
Mayers Nachbar hat den Bambus vor Jahren angepflanzt, als schnellwachsende Brennstoffquelle. Inzwischen sind die Pflanzen prächtig gewachsen und haben sich ordentlich ausgebreitet – und der Nachbar ist weggezogen. Ganz im Innern des Hains stehen die Bambusstangen an manchen Stellen so dicht, dass für Mensch und Tageslicht kaum noch ein Durchkommen ist. Den Staren aber gefällt es. „Anderswo übernachten sie gerne in Binden und im Schilf an Flüssen und Seen“, sagt der Bergneustädter Heinz Kowalski, langjähriges Mitglied im Landesvorstand des Naturschutzbundes (Nabu) Deutschland und seit mehr als 50 Jahren im Vogelschutz aktiv, „da sind sie sicher vor Jägern“.

Gruppenweise stürzen sich die Stare fast senkrecht vom Himmel in den Bambushain. Der ist so dicht bewachsen, dass man sich wundert, wie so viele Tiere dort Platz finden.
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Eigentlich sind Stare Zugvögel. Wenn es ihnen im Norden und Osten zu kalt wird, zieht es sie in wärmere Gefilde. Aber im Zuge des Klimawandels bleiben viele von ihnen auch hier. Ihr Futter – Insekten, Käfer oder Samen – finden sie noch auf abgemähten Wiesen und Weiden.
Und bei solchen Touren müssen die ersten von ihnen vor ein paar Jahren den Bambushain entdeckt haben. Das hat sich rumgesprochen in Staren-Kreisen. „Die Vögel kommunizieren untereinander“, sagt Heinz Kowalski. Wenn die Anführer irgendwohin fliegen, folgen die anderen offenbar.
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Rainer Ufer berichtet von einzelnen Versuchen, sie zu verscheuchen, aber die kleinen Flieger wissen um die Vorteile ihres Nachtquartiers und kommen immer wieder. Bislang. Kaum, dass es morgens hell wird, steigen sie wieder auf, verteilen sich und machen sich auf den Weg. Bis in die Kölner Bucht fliegen sie zur Futtersuche.
Wie lange sie nachts in Engelskirchen bleiben werden, weiß niemand. „Wenn sie irgendwann ein anderes, besseres Plätzchen finden, sind sie weg“, sagt Ufer. Dann wäre Oberberg um ein Naturphänomen ärmer.