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OberbergWissenschaftler präsentieren Zwischenergebnis zu Corona-Ausbrüchen

Lesezeit 4 Minuten

Auch der schnelle Aufbau eines Testnetzes hat in Oberberg beim Kampf gegen schlimmere Folgen der Pandemie geholfen.

Gummersbach – Die Spannung war groß, als Prof. Dr. Nico Mutters am Mittwochnachmittag per Video aus Genf in den Sitzungssaal des ehemaligen Kantinengebäudes am Kreishaus zugeschaltet wurde. Dort tagte der Kreisgesundheitsausschuss und dem sollte der Leiter des Institutes für Hygiene und Öffentliche Gesundheit des Uniklinikums Bonn nicht mehr und nicht weniger als die wichtigste Frage der Pandemie beantworten: Warum war vor allem in der zweiten und dritten Welle – und jetzt auch in der vierten – die Zahl der Neuinfektionen und damit die Inzidenz in Oberberg deutlich höher als in benachbarten Kreisen?

„Das ist in aufregender und großer Tag für uns“, sagte die Leiterin des Kreisgesundheitsamtes, Kaija Elvermann. Obwohl man sich in einer dynamischen Lage befinde – „mit zwei bis drei neuen Erlassen am Tag“ – sei der Blick zurück wichtig: „Damit können wir aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen.“ Oberberg sei neben einzelnen Städten tatsächlich der erste Landkreis überhaupt in NRW, der eine solche Studie in Auftrag gegeben hatte. Auch im Gesundheitsamt, so Elvermann, sei man immer wieder gefragt worden, warum die Inzidenz so hoch sei. „Und auch wir selbst haben uns gefragt: Machen wir irgendwas falsch?“

Die Antwort lautet Nein

Die Antwort des Spezialisten im Kampf gegen Infektionskrankheiten, der gerade bei einem internationalen Hygienekongress in der Schweiz ist und deshalb nicht vor Ort sein konnte, fiel eindeutig aus: Nein. Tatsächlich, so Mutters, habe Oberberg einfach eine „schlechte Startposition“ gehabt. Damit meint er nicht nur viele Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe oder in der Industrie, wo Homeoffice kaum möglich war: „Es ist eine Region mit mehr Menschen, die von sozialer Benachteiligung betroffen sind.“ Das zeige der sogenannte Deprivationsindex. Vor allem bei der Bildung, bei den Beschäftigungsverhältnissen, aber auch beim Einkommen liege Oberberg im Land deutlich zurück.

Genau das habe die Verbreitung begünstigt – zumindest in der zweiten und dritten Welle: „In der ersten war das noch umgekehrt, da waren es die sozialstarken. Da ist es ja auch nach Urlauben in Ischgl oder Reisen nach China übertragen worden.“

Eine echte Erkenntnis der anonymisierten, aber sehr konkreten Analyse der oberbergischen Daten: „Bei Menschen mit einem Migrationshintergrund war die Gefahr, sich mit dem Virus anzustecken, doppelt so hoch wie beim Rest der Bevölkerung – für solche mit einem türkischen Hintergrund oder einem aus der ehemaligen Sowjetunion war sie sogar dreimal so hoch .“

Kein Grund für Stigmatisierung

Mutters betonte auf Nachfrage von Ina Albowitz-Freytag (FDP) und Dr. Ralph Krolewski (Grüne) ausdrücklich, das sei „kein Grund für eine Stigmatisierung“. Er machte er sich Krolewskis Einwand zu eigen: „Ja, es sind die Verhältnisse, in denen Menschen leben, die zur Ansteckung geführt haben, nicht ihr Verhalten.“ Dazu gehörten auch kulturelle Unterschiede oder Familiengrößen: „Wo 30 Menschen zu denen gehören, die sich ständig sehen, können sich mehr Menschen anstecken als bei einer Familie mit zwei Kindern.“ Für die Zukunft gehe es darum, sie besser zu schützen. Oder wie Krolewski, selbst Hausarzt mit Patienten aus 54 Nationen, sagt: „Die meisten wussten, was Covid-19 ist, aber wenig über Lockdown, Allgemeinverfügungen und besondere Impfangebote.“

Angesichts der Ausgangsposition, so Mutters, sei es nicht erstaunlich, dass Oberberg deutlich höhere Fallzahlen habe als zum Beispiel der Rhein-Sieg-Kreis: „Das zu vergleichen wäre wie der Vergleich eines Porsches mit einem Golf.“ Erstaunlich sei dafür, dass das in Oberberg nicht zu einer höheren Todesrate, sondern zu einer niedrigeren als anderswo geführt habe. Mutters Fazit: „Die Eindämmung hat schnell funktioniert.“ Die Daten zeigten, dass es durch gezielte Maßnahmen gelungen sei, Ausbrüche in Siedlungsblöcken, die besonders betroffen waren, früh zu stoppen: „In 54 Prozent der Fälle hat das nicht länger als einen Monat gedauert.“ Er lobte auch, wie schnell ein Netz von Teststellen aufgebaut und wie dicht es wurde sowie unkonventionelle Impfideen des Kreises.

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Ganz fertig sind Mutters und sein Team noch nicht. Das, was mit Spannung erwartet wurde, ist ein Zwischenergebnis. „Wir werden jetzt die Infektionsketten genauer analysieren, um ein besseres Profil von Superspreadern zu bekommen – jenen Menschen also, die nicht einen oder zwei, sondern bis zu 30 andere anstecken wie der DJ in Ischgl.“