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JobsWie die Arbeitsagentur Ungelernte in Leverkusen in die Berufsausbildung bringen will

Lesezeit 5 Minuten
Nicole Jordy, Nicolas Kirch, Nikola Richter, Thomas Pütz
Foto: Britta Berg

Nicole Jordy (l.), Geschäftsführerin der Agentur für Arbeit, hier bei der Richter GmbH in Opladen, die sich sehr für die Ausbildung engagiert, will gering Qualifizierte und Geflüchtete verstärkt in Ausbildung bringen.

Es gibt für ausgebildete Fachleute viele offene Stellen in Leverkusen und Umgebung. Doch vielen Arbeitslosen fehlt eine Berufsausbildung.

Auf dem Weg zurück aus der Arbeitslosigkeit in eine bezahlte Arbeit ist es von enormem Nutzen, wenn Mann oder Frau eine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen kann. Anders ausgedrückt: Wer keine abgeschlossene Ausbildung hat, hat es sehr viel schwerer, eine qualifizierte Beschäftigung zu finden. Und genau hier liegt eine der Herausforderungen für die Agentur für Arbeit in Bergisch Gladbach.

Denn der Anteil der Arbeitslosen völlig ohne oder mit abgebrochener Berufsausbildung im Agenturbezirk, der neben Leverkusen auch den Rheinisch-Bergischen und den Oberbergischen Kreis umfasst, liegt bei 62 Prozent. Bei insgesamt knapp 23.600 Arbeitslosen (Ende Februar) sind das etwas mehr als 14.600 Menschen. Unter den Ungelernten sind auch viele Geflüchtete. 

90 Prozent dieser Männer und Frauen haben überhaupt keine Ausbildung. Weitere zehn Prozent haben zwar eine, aber seit mindestens vier Jahren nicht mehr im erlernten Beruf gearbeitet, erläutert Nicole Jordy, Geschäftsführerin des Agenturbezirks, im Gespräch mit dem „Leverkusener Anzeiger“. Für dieses Jahr hat sie sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen in der Agentur vorgenommen, insbesondere diese Gruppe in den Fokus ihrer Arbeit zu nehmen. 

Corona-Pandemie verstärkte Schulmüdigkeit von Ungelernten

Dabei gilt es oft, viel Überzeugungsarbeit zu leisten. In der Zeit der Corona-Pandemie habe das Phänomen der Schulmüdigkeit zugenommen, berichtet Jordy. „Ein gewisser Anteil arbeitsloser Menschen will einfach nur Geld verdienen.“ Die Aussicht auf eine Ausbildung mit – je nach Ausbildungsgang – relativ geringer Vergütung, vor allem aber die Aussicht, weitere drei Jahre eine Schule, eben die Berufsschule, besuchen zu müssen, schreckt diese jungen Männer und Frauen ab.

Bei dieser Klientel habe die Perspektive, „dass eine abgeschlossene Ausbildung der allerbeste Schutz gegen Arbeitslosigkeit ist“, sich nicht durchgesetzt. Zudem unterschätzt diese Kundengruppe der Agentur aus Jordys Sicht den Effekt, dass ihnen, wenn sie erst mal drei, vier oder fünf Jahre gearbeitet und mehr oder weniger gutes Geld verdient haben, zwei Dinge immer schwerer fallen, als wenn sie direkt nach dem Schulabschluss eine Berufsausbildung begännen: wieder in die Schule zu gehen und zu lernen und während der Lehre unter Umständen wieder mit erheblich weniger Geld auskommen zu müssen.

Bei den Arbeitslosen, die auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung oder einfach auf der Suche nach einer besseren ökonomischen Zukunft für sich und ihre Familien nach Deutschland gekommen sind, gelte es auf ganz anderer Ebene anzusetzen, denn: „Das duale Ausbildungssystem, wie wir es hier kennen, gibt es außer in Deutschland nur in Österreich.“ Also müssen die Beraterinnen und Berater in der Agentur erst einmal erläutern, wozu eine Berufsausbildung überhaupt gut ist. „In der Ukraine etwa wird ganz viel von dem, was wir hier in Ausbildungen lernen, in Studiengängen vermittelt.“ Man müsse also sehr, sehr viel Zeit aufbringen, das System, das hier zu beruflichen Qualifikationen führt, zu erklären.

Wenn diese grundsätzlichen Fragen beantwortet sind, klären die Expertinnen und Experten in der Agentur in Beratungsgesprächen die Fähigkeiten und Wünsche der Arbeitslosen. Geht es um eine von der Agentur geförderte Bildungsmaßnahme, überlegen die Beraterin und der Arbeitslose gemeinsam, in welche berufliche Richtung es denn gehen könnte. Mit einem Bildungsgutschein kann sich der oder die Arbeitslose dann einen anerkannten Weiterbildungsträger aussuchen, bei er oder die Qualifikation durchlaufen will.

Ausbildungen für Sozial- und Gesundheitsberufe ein Schwerpunkt

Es gebe inhaltlich zwei Schwerpunkte, die jeweils für etwa 30 Prozent der ausgestellten Bildungsgutscheine stehen, zum einen Sozial- und Gesundheitsberufe wie Kranken- oder Altenpfleger oder medizinisch technisch Assistentin, und zum anderen gewerblich-technische Berufe etwa in der Metallverarbeitung oder als Lagerist. Ein dritter Schwerpunkt seien kaufmännische Berufe, so Jordy.

2023 vermittelte die Agentur in Bergisch Gladbach 1816 Arbeitslose in eine berufliche Weiterbildung. Das waren 258 oder 16,6 Prozent mehr als 2022. In Leverkusen waren es mit 607 sogar fast ein Drittel mehr als im Jahr zuvor. Im Januar und im Februar 2024 überzeugte die Agentur 256 arbeitslose Männer und Frauen, sich beruflich weiterzubilden. Ziel waren für diese beiden Monate 190.

Wie wichtig es für Arbeitslose ist, möglichst mit einer beruflichen Qualifikation in der Tasche auf den Arbeitsmarkt zu gehen und nach einem Job zu suchen, zeigt auch ein Blick auf die offenen Stellen. Allein in Leverkusen hatten die Arbeitgeber Ende Februar 1300 unbesetzte Stellen gemeldet. „Es ist also nicht so, dass nicht genügend offene Stellen gemeldet sind.“ Aber, so Jordy: Nur 20 Prozent dieser Stellen sind gering qualifizierte Tätigkeiten. Anders ausgedrückt: Weit mehr als 1000 dieser offenen Stellen sind nur zugänglich für Arbeitslose mit abgeschlossener Berufsausbildung.

Angebot vielen Arbeitgebern nicht bekannt

Die Arbeitsagentur will aber nicht nur Arbeitslosen mit Qualifizierungen helfen, an eine besser bezahlte und sichere Arbeitsstelle zu kommen. Sie unterstützt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer sich wandelnden Arbeitswelt auch dabei, mit zusätzlichen Qualifikationen in diesem Wandel nicht der Verlierer zu sein, Stichwort: Beschäftigtenqualifizierung.

Dieses Angebot sei leider vielen Arbeitgebern nicht bekannt, „obwohl die Fördermöglichkeiten sehr attraktiv sind“, so Jordy. Sie nennt das Beispiel eines Anbieters von Lagerfläche, der seine Lagerhaltung automatisieren und nicht mehr so viele Staplerfahrer beschäftigen will. „Dann finanzieren wir die Qualifizierung eines Staplerfahrers zu einem Lageristen, der eine automatisiertes Lagerhalle managen kann. Wir bezahlen dem Arbeitgeber die Kosten des Bildungsträgers und einen großen Teil des Lohnes.“

Die Arbeitsagentur macht also dieses Jahr Tempo beim Thema berufliche Ausbildung für gering Qualifizierte. Am Geld mangelt es ihr dabei nicht. 2023 sei keine einzige Qualifizierung am Geld gescheiterte, so die Geschäftsführerin der Agentur. Für 2024 stehen ihr insgesamt 28 Millionen Euro für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Verfügung, 15 Millionen Euro davon allein für Weiterbildung und Beschäftigtenqualifizierung. Die Mittel können bei Bedarf auch aufgestockt werden.


Dauer in der Regel zwei Jahre

Geförderte Bildungsmaßnahmen dauern in der Regel zwei Jahre, aber auch eine Förderung über drei Jahre ist möglich. Während dieser Zeit erhält ein Arbeitsloser Arbeitslosengeld in gleicher Höhe wie ohne Bildungsmaßnahme. Zusätzlich kann er zum Beispiel Fahrtkosten geltend machen. Nicht alle Bildungsgutscheine sind auf den Erwerb einer vollständigen Qualifikation ausgerichtet, sondern modular aufgebaut, etwa wenn bestimmte Kenntnisse im Rechnungswesen oder im Personalmanagement in einem relativ kurzen Ausbildungsmodul vermittelt werden.

„Das machen wir, weil es sich die Menschen manchmal schlicht nicht leisten können, zwei Jahre lang mit 60 Prozent ihres letzten Nettoeinkommens auszukommen“, erklärt Nicole Jordy. Wer sich über Weiterbildungsmöglichkeiten informieren will, findet auf der nationalen Weiterbildungsplattform Mein NOW umfassende Informationen. 

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