Tränen, Unfälle, AnrufeSo sieht der Tag einer Schulsekretärin aus Morsbach aus

Marlene Schütz (43) gibt einen Einblick in ihre Arbeit als Schulsekretärin an der Leonardo-da-Vinci-Sekundarschule in Morsbach.
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Morsbach – Marlene Schütz (43) ist Schulsekretärin an der Leonardo-da-Vinci-Sekundarschule in Morsbach. Stets hat sie gezögert, einen Einblick in ihren Arbeitsalltag zu gewähren. Bis zu jenem Montag, als schon vor 8 Uhr das Telefon mehr als 100-mal geklingelt hatte. Wir haben sie am Arbeitsplatz besucht – an einem ganz normalen Schultag und als Beispiel für die Arbeit in vielen Schulsekretariaten.
6.45 Uhr: Marlene Schütz fährt den Computer hoch, setzt das Headset auf. „Ich komme jeden Morgen gern hier her“, sagt sie. „Kinder sind ja unsere Zukunft, unser höchstes Gut. Ich liebe meinen Beruf.“ Acht Anrufe hat sie schon verpasst. Das Telefon klingelt. Und klingelt. Wieder. Und wieder. Zwischendurch druckt sie Material aus für den Vertretungsunterricht von erkrankten Lehrkräften.
Eltern melden ihre Kinder krank
8 Uhr: 30 Anrufe hat die Sekretärin bis jetzt angenommen, an anderen Tagen sind es 60 oder auch 80. 20 E-Mails hat sie bereits beantwortet: Eltern melden ihre Kinder krank, sind selbst positiv auf Corona getestet und wollen wissen, ob ihr Kind trotzdem zur Schule muss, berichten, dass ihr Kind bei einem Schnelltest ein positives Ergebnis hatte. Wie geht es jetzt weiter? „Die Eltern wollen ja alles richtig machen und nichts versäumen“, weiß die Sekretärin, die selbst Mutter eines Sohnes ist. Lehrer rufen an, weil sie im Stau stecken und sich eventuell verspäten könnten.
8.20 Uhr: Lehrerinnen und Lehrer bringen positiv getestete Schüler. An diesem Morgen sind es nur zwei, sonst auch deutlich mehr. Schütz versucht, die Eltern zu erreichen, damit sie ihre Kinder abholen, bereitet die notwendigen Formulare vor. Die Kinder sitzen im Foyer, die Sekretärin behält sie im Auge. „Als wir ganze Klassen in Quarantäne schicken mussten, war es schlimmer“, sagt sie.
Immer wieder schrillt währenddessen die Türklingel: Seit Beginn der Pandemie dürfen die Schüler nicht mehr direkt ins Sekretariat laufen. Sie reichen Krankmeldungen ein, Zertifikate, weil sie sich freigetestet haben, Impf- und Booster-Bescheinigungen, alles muss in Listen eingetragen werden. „Die Dokumentation und Datenspeicherung hat seit Corona enorm zugenommen, es ist ein Wahnsinn“, stellt Schütz fest. „Die Digitalisierung sollte die Arbeit erleichtern, aber das Gegenteil ist der Fall. Es kommt immer mehr dazu.“
Kinder leiden unter Übelkeit
9 Uhr: Türklingel. „Frau Schütz, da liegt einer, kommen Sie schnell!“ Ein Kind hat sich im Foyer erbrochen, das muss sauber gemacht werden. Dabei sind per Headset Anrufe zu beantworten. Noch eine Übelkeit, ein Kind mit Halsschmerzen, einer ist auf der Treppe gefallen, hat sich das Knie aufgeschlagen. Die Schulsanitäter kümmern sich. „Aber mit einem epileptischen Anfall sind sie überfordert.“
Ein Kind will zudem mit Bauchschmerzen nach Hause. „Warum bist Du damit denn überhaupt zur Schule gekommen?“, fragt die Sekretärin. Und im nächsten Moment tut es ihr schon leid. „Die Kinder sollen doch gern zu mir kommen und sich bei mir aufgehoben fühlen“, sagt sie. „Es ist ja kein anderer da. Schulleiter und Lehrerinnen sind im Unterricht. Aber manchmal wird es einfach zu viel.“
Wieder klingelt das Telefon. Eltern wollen Termine verabreden, haben Fragen, weil jetzt die Neuanmeldungen für die Schule anstehen. Was müssen sie mitbringen? Was ausfüllen, wie läuft das mit den Bussen? Marlene Schütz hat Verständnis: „Sie haben Redebedarf, das ist nicht in fünf Minuten erledigt.“ Gleichzeitig steht sie am Kopierer wegen der Formulare.
Türklingel schrillt ununterbrochen
10.20 Uhr: Erste Pause. Telefon und Türklingel schrillen ununterbrochen. „Diese Dauerbeschallung, fünf Tage in der Woche“, stöhnt Schütz. Verlorene Fahrkarten und Mensa-Chips, andere brauchen Schulbescheinigungen, suchen nach Lehrern, die am Telefon verlangt werden, ein Kind hat sein Insulin vergessen. Zwischendurch platzen mehrere Lehrkräfte herein, brauchen Papier, Stifte fürs Whiteboard, wollen wissen, ob Krankmeldungen für ihre Schüler vorliegen, brauchen Masken, Tests, Ordner, haben Fragen zum Vertretungsplan: „Frau Schütz, bitte sofort!“
Dabei ist die gerade am Telefon. „Ich weiß ja, sie haben wenig Zeit und müssen in den Unterricht“, nimmt sie die Ungeduldigen in Schutz und betont ihr Super-Verhältnis zum Kollegium. „Ich kann doch nicht sagen: Ich kann gerade nicht!’“ Dabei stehen ihr die Tränen in den Augen.
11 Uhr: Marlene Schütz hofft, dass es jetzt etwas ruhiger wird und holt sich, noch immer mit Headset auf dem Kopf, einen Kaffee. Mütter kommen, um Unterrichtsmaterial für ihre Kinder in Quarantäne abzuholen, die Bezirksregierung ruft an, die Post kommt und muss verteilt werden, bestellte Bücher müssen einsortiert, Abmeldungen und Erkrankungen, Schülerdaten in Listen eingetragen werden. „Den ganzen Tag versuche ich alles zu schaffen und habe doch das Gefühl, ich laufe ständig hinterher.“ Auf einem kleinen Schild über ihrem Schreibtisch steht „Alltagsheldin“. Das Geschenk einer Lehrerin. Der Kaffee ist inzwischen kalt.
Unfall auf dem Schulhof
12.15 Uhr: Zweite Pause. Ein Unfall auf dem Schulhof. Wird ein Krankenwagen gebraucht? Wieder die Türklingel. Termine für Schulleiter Jürgen Greis eintragen. „Ohne Frau Schütz würde unser ganzes System zusammenbrechen“, sagt Greis. „Sie hält in der Corona-Zeit hier alles zusammen, und wir nehmen das alles für viel zu selbstverständlich.“ Er sehe, dass seit Pandemiebeginn die Arbeit für sie schleichend immer mehr geworden sei. „Wir bekommen alle eine Corona-Zulage. Aber ausgerechnet die Sekretärin als Angestellte der Gemeinde geht leer aus“, klagt er. „Ich finde das ungerecht.“
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15.10 Uhr: Wenn kein Kind den Bus verpasst hat, kann Marlene Schütz jetzt Feierabend machen. Eigentlich. Bis 15.30 Uhr holt sie nach, was liegengeblieben ist. „Dabei war es ein ruhiger Tag.“ 57 Anrufe hat sie entgegengenommen, insgesamt fast vier Stunden am Telefon verbracht, dabei haben 21 Schülerinnen und Schüler an der Tür geklingelt. „Ich bin mit Leib und Seele Schulsekretärin“, sagt sie. „Aber ich mache mir Sorgen, wie es mir in fünf Jahren geht. Ob ich dann immer noch hier sitze. Irgendwann geht es nicht mehr.“