Medienprofessor aus NümbrechtWie das Internet Debatten verändert

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Michael Schwertel ist an der Cologne Business School Professor für Media Management.

Nümbrecht – Vor 15 Jahren war der in Bierenbachtal lebende Trickfilmproduzent Michael Schwertel zum ersten Mal Mitglied der Nominierungskommission für den Grimme Online Award, der im vergangenen Monat verliehen worden ist. Frank Klemmer sprach mit Schwertel, der zudem  an der privaten Cologne Business School Professor für Media Management ist, über seine Arbeit und die aktuelle Entwicklung.

Sie sind Professor für Medientrends: Verraten Sie uns die aktuellen Trends?

Was meine Arbeit in der Nominierungskommission für den Grimme Online Award angeht, stand dieses Jahr für mich ganz im Zeichen ambitionierter Podcast-Projekte zu gesellschaftlich relevanten Themen: Narcoland, zum Beispiel, über das Crystal-Meth-Kartell im Dreiländereck Deutschland, Niederlande und Belgien. Oder „Breitscheidplatz“, der Fragen rund um den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016 klärt. Interessant war aber auch ein ganz anderes Projekt wie „Katapult Ukraine“, wo Journalistinnen und Journalisten von dort einen Weg gefunden haben, so im Exil weiterzuarbeiten.

Vor 15 Jahren sind Sie zum ersten Mal Mitglied der Nominierungskommission für den Grimme Online Award gewesen. Nehmen Sie uns mit auf eine Zeitreise: Was hat sich seitdem alles verändert?

Natürlich ist es eine Zeitreise, obwohl es erst 15 Jahren her ist. Damals war das Smartphone erst ein Jahr alt. Fernsehsender experimentierten damals gerade mal mit Bewegtbild im Internet – unvorstellbar mit all den Streaming-Diensten und großen Mediatheken, die wir heute jederzeit abrufen können. Das ist wie mit Hundejahren: Man sagt, dass sich in einem Jahr im Internet so viel entwickelt wie sonst in vier Jahren. Rückblickend betrachtet fühlen sich diese 15 Jahre also zurecht wie 60 an.

Sie haben in der Vergangenheit hier in Oberberg oft die Entwicklung beschrieben und die Geschwindigkeit kritisiert, dass man sich zu langsam darauf einstellt. Umgekehrt gefragt: Sehen Sie auch etwas, was sie an der Entwicklung stört?

Natürlich ist das keine Entwicklung nur zum Guten hin – es ist eine Entwicklung als Veränderung. Durch das, was die sozialen Medien bewirken, ist die Demokratie angreifbarer geworden, vor allem für Populisten. Wer sich dort bewegt, muss wissen, dass er beeinflusst werden soll – und das sehr präzise auf ihn zugeschnitten. Da erhalten dann zum Beispiel Menschen, von denen man aufgrund ihrer Daten annimmt, sie seien bisher SPD-Wähler gewesen, gezielt Werbung von der AfD. Das heißt: Mit zielgerichteten Kampagnen kann ich die Wahrnehmung bestimmter Gruppen beeinflussen. Ich kann mir Deutungshoheit für Geld kaufen. Und es gibt Menschen, die das machen.

Kratzt das nicht an den Grundfesten, die unsere Gesellschaft zusammenhalten sollen?

Es verändert vor allem die Debatten und wie sie geführt werden. Wenn früher am Stammtisch einer saß, der ganz extremen Unsinn erzählt hat, dann haben die anderen gesagt: „Der spinnt.“ Er konnte vielleicht noch weiter da sitzen und sein Bier trinken, aber keiner hat ihn noch darin bestärkt. Heute finden sich solche Menschen im Internet gegenseitig und bestätigen sich in dem, was sie sich zusammengereimt haben.

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Verändern die sozialen Medien auch die öffentliche Kommunikation?

Natürlich nutzen das nicht nur die Extreme. Auch ein Robert Habeck zum Beispiel nimmt für sich Anspruch, jederzeit offen und transparent zu kommunizieren. Wenn dann aber, wie im Netz, das Korrektiv fehlt, die Gegenfrage, die Aussagen hinterfragt, oder die Recherche, die behauptete Fakten verifiziert, dann wird jemand zum Herr der Information – egal ob das stimmt, was er sagt, oder nicht.

Das heißt: Alles, was wir brauchen, um in dieser schönen neuen Welt die Orientierung zu behalten, sind die guten alten Journalistinnen und Journalisten, die einfach nur ihren Job machen?

Genau so ist es. Die Tatsache, wie die Menschen gerade in der Corona-Krise nach seriösen Informationen gesucht und sie verschlungen haben, zeigt das. Und auch der Hass, der Journalisten da zum Teil entgegengeschlagen ist, beweist, wie gefährlich ihre Arbeit für alle ist, die andere Interessen verfolgen. Erst recht wenn der Journalismus die neuen Formate des Netzes zu nutzen versteht.

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