Bis 2040Diese Veränderungen bei Wohnraum und Mobilität stehen in Oberberg an

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In Ortschaften wie Dieringhausen (Foto), Ründeroth oder Overath wird noch einiges an Nachverdichtungspotenzial gesehen.

In Ortschaften wie Dieringhausen (Foto), Ründeroth oder Overath wird noch einiges an Nachverdichtungspotenzial gesehen.

Oberberg – Das Agglomerationskonzept des Region Köln/Bonn e.V. zeigt Siedlungs-, Mobilitäts- und Freiraumentwicklungen in der Region bis 2040 auf. Andreas Arnold fragte das Geschäftsführendes Vorstandsmitglied Dr. Reimar Molitor, was das für das Oberbergische bedeutet.

Herr Molitor, wie wohnt Oberberg im Jahr 2040?

Wir werden bis dahin eine ganz andere Bevölkerungszusammensetzung haben. Die Menschen werden insgesamt älter, es kommen wieder jüngere dazu und viele werden dann andere Mobilitätsbedürfnisse haben. Was das für das Wohnen bedeuten kann, sehen wir z.B. auf dem Gummersbacher Ackermanngelände oder in Morsbach, wo die Menschen vermehrt innenstadtnahen Wohnraum suchen und finden, der einerseits zentrumsnah ist, und gleichzeitig auch an den öffentlichen Personennahverkehr sehr gut angebunden ist.

So viel zentrumsnahen Wohnraum hat Oberberg aber nicht, viele Menschen wohnen auf dem Dorf. Was bedeutet das für die Planer und Investoren?

Dass wir u.a. in den existierenden Innenstädten und Zentren Oberbergs nachverdichten müssen beim Wohnraum, sprich konsequent Baulücken und Areale identifizieren müssen, die noch genutzt werden können. In diesem Zusammenhang ist auch das Thema Arbeit ein wesentlicher Aspekt. Oberberg ist aktuell und in Zukunft ein wichtiger Produktionsstandort. Vor allem in der Kreismitte. Dass wir hier auch in Zukunft einen stabilen Bedarf an Wohnraum haben, liegt auf der Hand. Und das für alle Einkommen.

Aber nicht alle Menschen können wohnortnah arbeiten, viele pendeln. Was ist mit ihnen?

Das ist die dritte große Dimension in diesem Thema. In Zeiten von Corona und Homeoffice müssen wir uns natürlich fragen, was an Pendlerbewegungen nach Corona bleibt und was an Homeoffice. Wie sehr sich die Arbeitswelt verändern kann, wird vor allem davon abhängen, wie gut der ländliche Raum digitalisiert werden kann.

Und dann sollte der ländliche Raum noch attraktiver sein für wohnen und arbeiten?

Wohnen in einer sehr intakten Landschaft ist ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Ein erkennbarer Trend ist, dass auch immer mehr junge Leute den ländlichen Raum als Wohnraum für sich auswählen, nicht zuletzt wegen der – im engeren Sinne des Wortes – „asozialen“ Miet- und Immobilienpreisentwicklung auf der Rheinschiene. Deswegen ist Oberberg auch auf der Mittelstrecke ganz klar weiterhin als Zuzugsraum zu sehen. Und was das Pendeln angeht, wird man erleben, dass die Notwendigkeit in den nächsten Jahren noch geringer werden wird.

An was denken Sie?

Ich kann mir gut vorstellen, dass man dann die Rheinschiene oder das Bergische Städtedreieck und das südliche Ruhrgebiet vielleicht nur noch zweimal in der Woche beruflich physisch ansteuert. Für jemanden, der viel pendelt, kann das netto eine Zeitersparnis von bis zehn Stunden pro Woche bedeuten, also einen Tag, was einen klaren Gewinn Lebensqualität bedeutet.

Innenstadtnah und dabei gut an den ÖPNV angebunden: Das Gummersbacher Ackermanngelände ist für Dr. Reimar Molitor ein Beispiel für zukunftsorientierten Wohnraum.

Innenstadtnah und dabei gut an den ÖPNV angebunden: Das Gummersbacher Ackermanngelände ist für Dr. Reimar Molitor ein Beispiel für zukunftsorientierten Wohnraum.

Klingt so, als dass die Dörfer und Zentren in Oberberg gleichermaßen einen Aufschwung erleben könnten.

Entlang der Regionalbahn 25 ganz sicher. Damit einhergehend sehe ich auch noch einmal Chancen für den stationären Einzelhandel und den Dienstleistungssektor. Allerdings dürfen wir gerade was den Handel angeht nicht damit rechnen, dass es noch mal so wird wie in den 1970er Jahren. Und schon gar nicht, dass der Tante-Emma-Laden flächendeckend zurückkommt. Aber es wird definitiv eine veränderte und wieder erhöhte Nachfrage vor Ort geben.

Welche Rolle spielt denn das Agglomerationskonzept bei der Planung für die Kommunen?

Es wirkt sich im Idealfall auf alle kommunalen Flächennutzungspläne aus. Ausgehend von diesem Konzept können Städte und Gemeinden die zukünftige räumliche Entwicklung auch steuern. Als Region Köln/Bonn e.V. haben wir uns unter anderem zum öffentlichen Personennahverkehr geäußert mit der Idee, dass man eben an einigen Bahnhaltepunkten auch aus unserer Sicht noch mal stärker auf die Entwicklungspotenziale schauen sollte, weil genau dort die besagte Nachverdichtung im Innenbereich und eine weitere Entwicklung sehr sinnvoll sind. Da kann man im Einzugsbereich der Bahnhöfe bei den Beständen also noch „Luft rauslassen“.

Nennen Sie uns doch mal am Beispiel von Gummersbach Ihre Vorstellungen darüber, wie viele Menschen sich dort bis zum Jahr 2040 noch ansiedeln könnten.

Ich finde die Frage super, die erst mal nicht davon ausgeht, dass Oberberg schrumpft. Wir als Region Köln-Bonn e. V. haben diesen Bevölkerungsprognosen nie geglaubt. Und wir haben auch immer gesagt, dass wir eine Explosion bei den Immobilienpreisen bis 50 Kilometer vor die Tore von Köln und Bonn erleben werden, weil der Bedarf an Wohnraum in der inneren Rheinschiene nicht gedeckt werden kann. Und die Immobilienpreise, die dort aufgerufen werden, sowohl bei Mietobjekten, als auch bei Eigentum so exponentiell hoch sind, dass gerade junge Familien in der Standardentscheidung auf Eigentumsbildung eben weit rausgedrängt werden. Doch zu Gummersbach: Ich sehe hier durchaus noch Potenzial für 2000 bis 4000 Einwohner zusätzlich.

Ist das ein Vorteil für die Stadt?

Ich finde ja. Und nicht nur für Gummersbach. Der Zuzug von Familien, die aus der Rheinschiene de facto verdrängt werden, ist auch eine enorme Chance für Oberberg. Das sind ja meist auch qualifizierte, junge Leute, die die Infrastrukturen, wie z.B. Kitas, Kindergärten und Schulen auch bei einer älter werdenden Bevölkerung mittelfristig auslasten und dementsprechend glaube ich, dass das für Oberberg insgesamt eine gute Sache ist.

Sagt Ihr Konzept da was zu?

Ja, es macht auch Aussagen darüber, wo man genau etwas tun sollte. Aber es sagt indirekt auch, wo man etwas nicht tun sollte. Und das ist auch ein Kernthema der Regionale 2025. Hier geht es um die konsequente Ausnutzung von mindergenutzten Flächen und die konsequente Aus- bzw. Weiternutzung aller Bestände. Und ich sage ausdrücklich, aller Bestände: egal ob große Industrieareale oder einzelne aufgelassene Bauernhöfe, ganze Siedlungen oder einzelne Fachmärkte. Es geht eben nicht um flächenhaftes Wachsen, sondern unter anderem um Nachverdichtung und Nachnutzung: „Weiter geht’s“ ist das Motto.

Sie sprachen schon an, dass der RB 25 bei der weiteren Entwicklung der Region eine besondere Bedeutung zukommen wird in der Form, dass entlang der Haltepunkte Siedlungsschwerpunkte entstehen könnten. Was stellen Sie sich da vor?

Die RB 25 ist eine Hauptschlagader für den öffentlichen Verkehr. Deswegen ist jegliche Verbesserung dieser Verbindung bis hinunter an den Rhein und in Richtung Südwestfalen eine sehr wichtige Sache. Schon jetzt werden hier die Siedlungsschwerpunkte von der Bahn verbunden. Doch ich sehe auch Siedlungsbereiche, die bis dato nur mindergenutzt werden und nach unserem Dafürhalten noch große Umbaupotenziale mit sich bringen. So sehen wir beispielsweise in Dieringhausen oder Ründeroth oder Overath noch einiges an Nachverdichtungspotenzial.

Künftiges Wohnen ist also eng verknüpft mit dem Thema Mobilität. Die Bedeutung der RB25 haben Sie angesprochen, doch es gibt auch Bereiche, die vom ÖPNV nicht in dem Maße profitieren.

Völlig richtig. Und ich habe schon mehrfach gesagt, dass ich mir durchaus vorstellen könnte, dass wir auch nochmal über Werksverkehre entlang der Produktionsstandorte nachdenken müssen. Ich könnte mir das gut im Rahmen eines betrieblichen Mobilitätsmanagements vorstellen. Das ist ja nichts Neues. Die Leute kennen das ja von früher. Dass der ÖPNV in diesen Bereichen den Individualverkehr kolossal zurückdrängen wird, halte ich aber für ein Gerücht. Wir werden sicher mehr E-Mobilität sehen, aber keineswegs weniger Blech. Wir brauchen intelligente Modelle von Car-Sharing-Angeboten, von Nachbarschafts-Car-Sharing und von Dorf-Car-Sharing. Und ergänzend alles was geht in puncto E-Bike. Und Beachtung verdienen in diesem Zusammenhang auch unbedingt die neuen, den Raum vernetzenden Schnellbus-Projekte der Kreise im Rahmen der Regionale 2025.

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Das klingt alles nach viel Arbeit in den nächsten Jahren und einer Zukunft, die nicht nur rosig ist.

Völlig richtig. Wir haben eine Bevölkerung, die älter wird, und wir haben heute eindeutige Defizite in der Wohnraumversorgung für bestimmte Bevölkerungsschichten. Insbesondere in den kleineren Gehaltsgruppen. Da müssen die Kommunen alle deutlich zulegen, sprich mehr preisgedämpften Wohnungsbau vorantreiben. Und das ist eben kein Thema einer gesellschaftlichen Minderheit oder eines Teilraums der Region: Davon betroffen sind heute bis zu 50 Prozent der Bevölkerung. Aber wir haben eben auch gute Perspektiven: insgesamt sehen wir Oberberg auf der Mittelstrecke eher als Wohnraum- und Bevölkerungsprofiteur innerhalb der Region, gerade in Zeiten von Corona und einer weiter fortschreitenden Digitalisierung.

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