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Solidarische Landwirtschaft in Rhein-BergBergische SoLaWi bietet Bürgern nachhaltiges Gemüse in Linde

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Linde – Am liebsten sollen Kohlrabi, Möhre und Co. aus der Region stammen – oder werden gleich selbst angebaut. Flächen gibt dazu gibt es bei Landwirten, die durch den sinkenden Milchpreis über eine Reduzierung oder Abschaffung des Milchviehbestandes nachdenken oder ein zweites Standbein suchen. Die erste „Solidarische Landwirtschaft“ (SoLaWi) im Bergischen verspricht eine Partnerschaft mit Lösungsansätzen für beide Dauerbrenner der Nahrungskette. Die BLZ besuchte das Projekt von Landwirt und Verbrauchern nahe Linde, ziemlich genau auf der Grenze von Oberberg und Rhein-Berg. Und traf auf Menschen, deren Pioniergeist auf dem Gemüsefeld selbst strömender Regen nicht zu trüben scheint.

Wer steckt hinter der Bergischen SoLaWi?

Die Partnerschaft besteht aus dem Linder Landwirt Stefan Hagen auf der einen und aktuell 40 Menschen auf der anderen Seite, die im Dreieck Bergneustadt, Bergisch Gladbach und Lohmar leben und ihr eigenes Gemüse ernten möchten. Ideengeber ist der Engelskirchener Dr. Thomas Nonte. Der promovierte Ingenieur hat 20 Jahre lang für die Chemieindustrie gearbeitet, ist heute Klimaschutzmanager im Aggertal. „Nahrungsmittelanbau hat weit mehr mit Emission zu tun, als viele denken“, sagt Nonte. Und: „Um die Menschen für das Weltklima zu interessieren, müssen sie sich zuerst einmal mit dem beschäftigen wollen, was auf ihrem Teller liegt.“ Durch Zufall treffen Nonte und Hagen aufeinander und sprechen über SoLaWi. Hagen macht mit, ein Partnerhof ist gefunden. Schnell aktivieren Netzwerke in Overath, Bergisch Gladbach und das Lindlarer Quartiersmanagement weitere Mitstreiter, überwiegend melden sich Frauen.

Wie funktioniert das Modell?

In der Nähe seines Hofes in Linde-Schümmerich bricht Hagen 3000 Quadratmeter Grünland um – Fläche, auf der er einst die Gras-Silage für seine Milchkühe einfuhr. Im Juni pachtet die SoLaWi-Truppe das überdimensionale Beet, legt einen Zaun zum Schutz gegen Wild an, installiert Regenfässer, ein Anzuchtbeet und beginnt mit der Aussaat von Gemüse.

Die Rechnung: Für Landwirt Hagen, der die aktuelle Expansion einiger Kollegen in der Umgebung nach Wegfall der Milchquote ohnehin skeptisch beurteilt, ist der Pachtzins für das Stück Land höher, als dessen Wert für seine Milchwirtschaft. Die SoLaWisten haben dafür jetzt ihr eigenes Gemüse-Beet in ausreichender Größe. Sie allein tragen das Risiko einer zum Beispiel verhagelten Ernte.

Bewusst habe man sich für einen konventionellen Partnerhof entschieden, und nicht für einen Bio-Hof, betont Nonte. „Um den Milchbauern der Region zu zeigen, dass es Alternativen gibt.“

Was bietet die Mitgliedschaft?

Die innere Organisation der Solidarischen Landwirtschaft ist mit einer Genossenschaft vergleichbar. Die Anbaufläche ist in 30 sogenannte Anteile gegliedert. Allerdings gibt es keine abgesteckten 100-Quadratmeter-Felder, ein Anteil ist vielmehr eine theoretische Größe, ein Schlüssel, nach dem die Ernte an die Anteilseigner verteilt wird. Die Ernte ist sozusagen die Dividende in Naturalien, namentlich Gemüse.

Ein Beispiel: Werden 30 Möhren gezogen, erhält jeder Inhaber eines Anteils eine Möhre. Die Bergische SoLaWi hat, neben mehreren Sorten Kartoffeln, sechs Kohlarten, Erbsen, Stangenbohnen, Rote Bete, Mangold, Salat und Kräuter in die Erde gebracht.

Tipps, was reif ist, geben der Wermelskirchener Agraringenieur Richard Kranz und sein Team. Immer mittwochs berechnen sie auch, was auf jeden Anteil entfällt und notieren die Menge auf einer Tafel in Hagens Remise.

Was kostet die Mitgliedschaft?

Kranz und seine Gärtner säen und ernten professionell, gegen Rechnung. Außerdem müssen Pacht, Jungpflanzen, Samen und Gerätschaften bezahlt werden. Auf 108 Euro pro Monat belaufen sich die Kosten pro Ernteanteil. Hinzu kommt eine einmalige Einlage von 200 Euro, die beim Ausscheiden erstattet wird. Die erste Kalkulation sah vor, dass ein Ernteanteil einen Erwachsenen satt macht. Weil der Boden weniger fruchtbar sei, als in Köln oder Bonn, erklärt Thomas Nonte. Inzwischen sei die Ernte so groß, dass „der Verzehr von zwei Anteilen durch fünf Erwachsene kaum mehr möglich ist“, berichtet Nonte aus der eigenen Küche. Die SoLaWi ist indes flexibel und will ihrem Namen gerecht werden: Manche Mitglieder haben nur einen halben Ernteanteil gebucht, andere können die Kosten nicht voll bezahlen, wieder anderen ist das eigene Gemüse dafür umso mehr wert.

Muss ich selbst auf dem Feld arbeiten?

Jein. Grundsätzlich ist die Feldarbeit Aufgabe der Gärtner und für die Mitglieder freiwillig. Allerdings zupfen viele von ihnen trotzdem Unkraut oder mulchen die Wege mit dem heimischen Rasenschnitt. Immer mittwochs und samstags. Durch die Arbeit in der Erde steigere sich die Wertschätzung für das Angebaute, nicken die SoLaWisten einstimmig. Zusätzlicher Vorteil: Die Lohnkosten der Gärtner sinken, das Geld wird frei für weitere Anschaffungen.

Welche Ziele verfolgt die Initiative?

Im Prinzip dreierlei. Sie möchte ein Zeichen setzen gegen den heutigen Umgang mit Lebensmitteln und die Skandale der Branche in den letzten Jahren. SoLaWi will gesundes Obst und Gemüse produzieren. Und nicht zuletzt zum Erhalt der bergischen Kulturlandschaft beitragen. Besonders kleinere und mittlere Höfe gelte es deshalb zu unterstützen, finden die Mitglieder. Solche, die eben nicht auf Mais-Monokultur setzten, sondern sogar mal ein paar Kühe auf die Wiesen schickten.

Muss ich den Ernteanteil stets in Linde abholen?

Nicht unbedingt. „Es wäre ökologischer Blödsinn, wenn wir ein solches Projekt anstoßen und unsere Mitglieder für zwei Salatköpfe mit dem Geländewagen von Bergisch Gladbach nach Lindlar fahren“, bringt Nonte das Problem auf den Punkt. In Orten, in denen viele Mitglieder zu Hause sind, hat die Initiative deshalb Depots, Verteilerstellen, eingerichtet – derzeit in Bensberg, Gummersbach und Kürten. Ein Mitglied holt wöchentlich die Erntekisten für alle Nachbarn ab. In den Depots gibt es außerdem Tauschboxen. Wer Kohlrabi nicht mag, kann auf einen Mitstreiter hoffen, der Rote Bete abgeben möchte.

Warum SoLaWi und nicht der Bioladen?

Das Feld in Linde wird ausschließlich biologisch bewirtschaftet. Den kürzlichen Lausbefall am Salat hat Richard Kranz mit einer Armada Marienkäfer in den Griff bekommen. Jungpflanzen alter bergischer Arten steuert Marianne Frielingsdorf vom LVR-Freilichtmuseum bei. An den im Handel erhältlichen Bio-Produkten stören sich die SoLaWisten, vor allem an deren Ökobilanz. Wenn heißen Regionen das gesamte Grundwasser zum Anbau abgepumpt werde oder Bio-Bananen nahezu einmal um die Erde geflogen würden, habe das wenig mit dem Grundgedanken zu tun, betonen die Männer und Frauen. „Am schlimmsten ist die Plastikverpackung um sämtliche Bioprodukte“, findet Andrea Wichterich aus Kürten. Ihre Mitstreiter in der Bonner SoLaWi haben den Begriff „Regiotarier“ geprägt. Es steht für Menschen, die unbelastetes Gemüse favorisieren, das wirklich direkt vor der Haustür wächst.