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Weihnachten in den 1950er Jahren„Kalter Hund“ und Selbstgenähtes

5 min

Erinnerungen an die Weihnachten aus ihrer Kindheit in den 1950er Jahren hat Irene Ueberberg noch heute, wie etwa silberne Christbaumkugeln, sowie eine Weste und eine Schürze.

Lindlar – Irene Ueberberg (62) aus Lindlar erinnert sich an Weihnachten Ende der 1950er: Sie wuchs mit Bruder und Schwester auf einem kleinen Vollerwerbshof auf. Ihre Mutter war ausgebildete Schneidermeisterin, nahm Arbeiten für Daheim an. Für ihre Kinder hat Irene Ueberberg ihre Erinnerungen aufgezeichnet. Klicken Sie sich durch die einzelnen Stationen einer Weihnachtsfeier vor mehr als einem halben Jahrhundert.

Zu Beginn der Adventszeit begannen die „Backaktionen“: Meine Mutter hatte – weil Hühner im Winter schlecht legen – ab Oktober Eier gesammelt. Die wurden im Keller im Fass mit Kochsalzlösung gelagert. Dazu kam Butter aus eigener Herstellung. Zucker und Mehl musste Vater in Fünf-Kilo-Gebinden mitbringen. Über Tage verweilte der köstliche Geruch von Lebkuchen und Spritzgebäck im Haus, die „kostbaren“ Plätzchen wurden versteckt. Allerdings gab es kein Versteck, das mein Bruder Lorenz – neun Jahre älter als ich – nicht entdeckt hätte . . . Letztlich wurde neu gebacken.

Mutter nähte immer unsere Geschenke, während wir in der Schule waren. Einmal, ich glaubte noch fest ans Christkind, kam ich früher als erwartet nach Hause. Erschrocken sah mich meine Mutter an. Sie saß in unserer Küche an der Nähmaschine, darauf ein schöner karierter Schottenstoff. Seufzend nahm sie mich auf den Schoß und meinte: „Nun muss ich es Dir leider sagen.“ „Was musst Du mir sagen?“ „Dass ich es bin, die den Rock für Bärbel näht, nicht das Christkind.“ Ich war sauer und enttäuscht, ein schöner Kindertraum ging in diesem Augenblick zu Ende.

Etwa eine Woche vor Weihnachten kam mein Vater mit dem Baum, „aus unserem Wald“, sagte er immer. Stets gab es Fichten, keine Tannen. Fichten hatten zwar den Nachteil, schnell zu nadeln. Aber da der Baum in unserer Weihnachtsstube stand, war er langlebig. Denn der Raum wurde in der Weihnachtszeit nur an Sonntagen geheizt. So blieb er bis zum 2. Februar, Maria Lichtmess, erhalten.

Bescherung war am Heiligen Abend. Zuvor hörten wir im Radio „Wir warten aufs Christkind“. Texte und Lieder schafften eine schöne Stimmung. Die Stube wurde abgeschlossen, meine Eltern werkelten. Mutter schmückte den Baum. Früh hatten wir elektrische Kerzen, mein Vater hatte Angst vor einem Brand. Zum Schluss kam ein Hauch Engelshaar auf die Zweige. Das Glöckchen erklang spät, vorher musste die Stallarbeit erledigt sein. Wir halfen an diesem Tag besonders gern, denn dann wurde die Stube eher aufgeschlossen. Wenn die Tür aufging, freuten wir uns über den festlich erleuchteten Raum. Dann stürzten wir uns auf unsere aufgestellten Teller. Es gab Feigen, Orangen, Nüsse, Äpfel (Mutter hatte die makellosesten aus unseren Beständen ausgesucht). Jeder bekam eine Tafel Schokolade, einige Scheiben „Kalter Hund“ (Kekse und Schokolade geschichtet in Kastenform), Lebkuchen, Gebäck. Unser Hund, ein echter Hofhund, lag fast nur noch unter dem Tisch mit den Tellern. Hin und wieder bekam er etwas ab.

Unter dem Baum lag hübsch verpackt für jeden etwas zum Anziehen, natürlich selbst gemacht. Oder meine Mutter nähte für eine Nachbarin, im Gegenzug erhielten wir Gestricktes. Genörgelt haben wir nie.

Wir aßen, tranken eigenen Apfelsaft, plauderten noch lange. Gekocht wurde nicht, wir wurden auch so satt. Geschlafen wurde nur kurz, bevor wir – oft durch knirschenden Schnee – morgens um 5 Uhr in die Christmette gingen. Noch im Dunkeln ging es zurück, die Stallarbeit wartete. Sieben Kühe mussten von Hand gemolken und gefüttert werden, Kälber, Schweine und Hühner machten auf sich aufmerksam. Nach getaner Arbeit gab es Frühstück, dafür holte Vater kostbaren Schweineschinken aus dem Rauchschrank. Jeder bekam zwei hauchdünne Scheiben.

Dann holte Mutter die vorbereiteten Köstlichkeiten für das Weihnachtsessen aus dem Keller. Es gab Kaninchen (mein Bruder verdiente sich Geld mit Zucht und Mast), Rotkohl aus dem Garten und Salzkartoffeln. Und zum Nachtisch köstlichen Vanillepudding mit Himbeersirup.

Wer sich für die Traditionen vergangener Tage interessiert: Das LVR-Freilichtmuseum in Lindlar zeigt, in fünf Weihnachtsstuben, wie sich die Weihnachtsbräuche zwischen 1800 und 1960 veränderten.

„Früher war mehr Lametta“, sagt Petra Dittmar in deutlicher Anspielung auf den verstorbenen Humor-Altmeister Loriot. Die Referentin für Volkskunde im Freilichtmuseum Lindlar hat vieles zusammengetragen, was zu den typischen Weihnachtsbräuchen gehört.

Das berühmte Lametta kam dabei erst spät zu Ehren. Weihnachtsbäume waren um 1800 weitgehend unbekannt. Ein Teller mit Äpfeln und Nüssen – um die Höfe wuchsen häufig Walnussbäume – gab es an Nikolaus oder am Fest der Heiligen Barbara. Die ersten, bescheidenen Bäumchen finden sich um 1850, in bürgerlichen Familien in den Städten wurde schon gemeinsam gefeiert. Bescheiden wie die Bäumchen war damals auch der Baumschmuck, mit einem Vorteil für die Kinder: Es hingen Spekulatius, Nüsse und Äpfel im Baum – nach Weihnachten durfte „geplündert“ werden. Und auf dem Gabentisch lag fast ausschließlich Praktisches, Kleidung, vielleicht einfaches Spielzeug. Bescherung war zumeist erst am Morgen des 25. Dezember.

Geöffnet ist das Freilichtmuseum „zwischen den Jahren“ vom 26. Dezember bis Sonntag, 28. Dezember, 10 bis 16 Uhr. Im Wohnhaus Dahl kann man bei der Knopfherstellung zuschauen, und auf Hof Peters der Hauswirtschafterin. Am 26. und 28. Dezember sind zudem Seiler und Bäcker im Einsatz. www.freilichtmuseum-lindlar.lvr.de/

Ab 1880 stellten immer mehr Familien die Bäumchen auf, auch im Bergischen.

Um 1900 konnte sich das Gastwirtsehepaar Römer ein stattlicheres Weihnachten leisten. Mit Engelshaar (sprich: Lametta) auf dem Baum und versilberten Glaskugeln. Der Clou: Der Baumständer funktioniert wie eine Spieluhr. „Oh Tannenbaum“ und „Ihr Kinderlein kommet“ erklingen, dabei dreht sich der Baum. Für die Söhne der Familie gab es Matrosenanzüge und eine Spielzeugdampfmaschine, betrieben mit Trockenspiritus (Esbit). Die weiteren Stuben zeigen das Weihnachtsfest in Zeiten der Not nach Ende des Zweiten Weltkriegs und ein Weihnachten um 1960.