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Para-Sport beim TSV Bayer 04Mehr Zeit für den Weg nach Tokio dank Corona

Lesezeit 3 Minuten

Johannes Bessell braucht für seinen Sport keine Trainingshalle –– und bereitet sich im öffentlichen Raum auf die Paralympics 2021 vor.

Leverkusen – Johannes Bessell läuft einfach los. Hinein in die Stille. Ohne Musik auf den Ohren. Vorbei an grünen Bäumen. „Irgendwo kommt man immer an“, sagt er. Dass er als Läufer nur die Schuhe schnüren muss, kommt dem 29-Jährigen, der beim Leverkusener TSV Bayer 04 trainiert, derzeit entgegen. Weitspringern beispielsweise bliebe während der Pandemie ja nur der Sprung in den Sandkasten auf dem Spielplatz, sagt er über die Situation anderer Sportler. Die Trainingsanlagen waren lange geschlossen. Bessell hatte es da aber immer schon besser: Ihm genügt der Stadtwald in Köln.

Während andere Mühe haben am Ball zu bleiben, ebnet Corona dem Läufer sogar den Weg nach Tokio, denn: Bessell hat mehr Zeit zum trainieren. Er ist gerade von der Mittelstrecke zum Marathon gewechselt. Und die Verschiebung der Paralympics um ein Jahr verschafft ihm Zeit, seinen Körper umzugewöhnen: Vom 1500-Meter-Lauf hin zu 42 Kilometern. Auf 140 Trainingskilometer wöchentlich. Einiges Neues muss er derzeit lernen.

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Bessell kann sich nicht erinnern, je keinen Sport gemacht zu haben. In der 4. Klasse war er Junioren-Rettungsschwimmer. Später probierte er Badminton aus, Luftpistole, dann Radsport. Mit Fußball wurde es nichts: „Angst vor dem Ball“, sagt er und lacht. Auf dem Rad blieb er hingegen dran. Zuerst einarmig, später mit Armprothese.

Dritter bei der Para-EM 2018

Als Jugendlicher war ihm seine Plexusparese – eine Verletzung der Nerven im Arm – unangenehm. „Ich wurde mit anderen Augen betrachtet als heute. Jetzt, wo ich mit Erwachsenen zu tun habe, ist es anders. Da bekomme ich Respekt und Anerkennung“, sagt Bessell. Denn das Meiste kann der gebürtige Norddeutsche genauso gut wie alle anderen Sportler – oder besser. Bei den Europameisterschaften Para 2018 etwa belegte er über die 1500 Meter den dritten Platz. Den Weg dahin hatte ihm der Wechsel nach Leverkusen geebnet: Seit 2017 ist er Läufer beim TSV Bayer 04. Die Leverkusener Abteilung für Para-Sport sei weltweit renommiert, sagt Bessell.

Mit dem Para-Sportverein direkt vor der Haustüre aufgewachsen: Moritz Raykowski aus Leichlingen.

Moritz Raykowski wiederum ist mit dem Verein vor der Haustür aufgewachsen. Pures Glück, sagt der Leichlinger dazu. „Was der Verein im Para-Bereich leistet ist richtig gut. Das hat für viele Leute Vieles geöffnet. Hier passieren große Dinge“, betont der 21-Jährige und klingt demütig angesichts der Chance, hier trainieren zu können. Die Para-Sport-Welt sieht der Student indes auch zwiespältig: „Sie vermittelt Grenzenlosigkeit. Aber es ist ein eigener Kosmos, in dem sich nur die vergleichen, die eine Behinderung haben.“

Letzter bei der Teamwahl

Bevor Raykowski Mittelstreckenläufer wurde, war seine rechte Hemiparese – eine einseitige Lähmung – für ihn kein Maßstab. Nichts, wodurch er sich anders gefühlt hat. Erst seit er Leistungssportler ist, ist Raykowski ein Mensch mit Behinderung. Vorher war das Merkmal eher für seine Außenwelt wichtig: Er war oft der Letzte auf der Bank, wenn im Schulsport die Teams gebildet wurden. Später merkten die Mitschüler, dass er ausdauernd und zäh ist – und wählten ihn in ihre Gruppen.

Gerechte Entlohnung erwünscht

Zwei Ermüdungsbrüche hat Raykowski bereits hinter sich. Die meisten Menschen mit seiner Behinderung sitzen im Rollstuhl. Er läuft 70 bis 80 Kilometer pro Woche. Dass die Leistungsdichte und der Druck im Para-Sport immer höher werden, findet er gut. „Wenn die Sportler mehr Leistung bringen, fördert das auch die Sichtbarkeit. Der Reiz wird größer für Zuschauer, Sportler und Sponsoren.“ Für die Sportler wünscht er sich, dass ihre Leistungen fair entlohnt werden. Mit Fördermitteln. Und Aufmerksamkeit. Denn die Gesellschaft entscheide, was sie sehen wolle – und damit auch, wo Sponsoren investierten.