Vor 250 Jahren lösten sich die Gladbacher Calvinisten von Mülheim und gründeten eine eigene Gemeinde. Neue Publikation nimmt mit auf Zeitreise.
JubiläumDie Gnadenkirche in Bergisch Gladbach erzählt ihre Geschichte

Die Gnadenkirche auf einem frühen Aquarell um 1824. Damals verfügte sie noch nicht über den später angebauten Säulenportikus.
Copyright: Aquarell von J. Scheiner
Die Jubilarin ist betagt, aber rüstig. Und auch wenn fast 250 Jahre nicht spurlos an ihr vorübergegangen sind, steckt sie immer noch voller Leben. Sie kennt Armut, Not und Trauer, aber auch menschliches Glück, die Liebe und vor allem die Hoffnung. Die Gnadenkirche, von der hier die Rede ist, nimmt es vermutlich auch nicht weiter krumm, dass sie im Rahmen der 250-Jahr-Feier der evangelischen Kirchengemeinde in Bergisch Gladbach bei flüchtiger Betrachtung zwei Jahre älter wirken könnte als sie tatsächlich ist. Denn die 1775 gegründete reformierte Gemeinde konnte erst 1777 die vom Baumeister Johann Georg Leydel (1721-1785) konzipierte stadtbildprägende Kirche an der heutigen Hauptstraße einweihen.
Bis dahin hatten die Calvinisten aus Bergisch Gladbach zur Gemeinde in (Köln-) Mülheim gehört und bei Wind und Wetter den beschwerlichen Weg zum Gottesdienst am Rhein auf sich nehmen müssen. Dass diese Strapazen Ende des 18. Jahrhunderts mit einem eigenen Kirchbau ihr Ende hatten, verdankte die junge Gemeinde in erster Linie ihren zahlreichen betuchten Mitgliedern. Denn die Fabrikanten an der Strunde waren vornehmlich Anhänger des reformierten christlichen Bekenntnisses. Ungetrübte Freude herrschte trotzdem nicht: Einige Gemeindemitglieder bedauerten die Loslösung von Mülheim.
Vor 250 Jahren lösten sich die Gladbacher Calvinisten von Mülheim
Verstimmt wirkt die historische Kirche, in der schon elf Jahre lang die ersten Gottesdienste gefeiert wurden, bevor im Turm die Glocken hingen, dennoch nicht. Im gerade erschienenen Buch „250 Jahre Gnadenkirche“ erhebt die Jubilarin jedenfalls sehr munter selbst ihre Stimme und erzählt von Irrungen und Wirrungen, denen sie als Kirche über die Jahrhunderte ausgesetzt war und die sie am Ende alle überstanden hat.

Die Gnadenkirche mit ihrer Friedensaktion 2022.
Copyright: Thomas Werner
Hinter dem Kunstgriff, die Geschichte kapitelweise aus Sicht des Gotteshauses erzählen zu lassen, steckt das versierte Autorenteam Peter Lückerath, Irmtraud Schumacher, Michael Werling und Jo Wittwer. Ihr Wissen über Kirchengeschichte, Architektur und Kunst, ihre Forschungsergebnisse und Sichtweisen fügen sich harmonisch zusammen, zu einer detailreichen und spannenden Geschichte einer markanten Kirche und ihrer besonderen Gemeinde im Mikrokosmos einer Stadt im Bergischen.
Rund um die Gnadenkirche hat sich viel verändert
Viel hat sich in 250 Jahren verändert, so radikal, dass die Kirchengründer, die Fabrikanten Schnabel, Fues und Konsorten Schwierigkeiten hätten, sich in Gladbach zu orientieren, fänden sie sich heute zu einem Spaziergang im Strundetal ein. „Sie kämen in einer Zeit an, die ihnen um 250 Jahre voraus ist. Nichts würden sie wiedererkennen, nicht einmal ihre Kirche, die sie doch selbst gebaut haben“, meint das Autorenteam.
Die Kalköfen, auch das alte Quirlsgut, in dem ab 1776 die erste evangelische Schule untergebracht war, suchten sie vergebens. Erst an der Alten Dombach würde ein Erkennen aufblitzen. Doch „wie sehen die Menschen aus? Was haben sie für Haartrachten und wie sind sie gekleidet? Das treibt ihnen die Schamesröte ins Gesicht“, spinnen die Autoren ihren Gedanken weiter.
Das Autorenteam nimmt die Leser mit auf eine Zeitreise
Auch die seltsamen Blechkisten, in denen sich die Menschen von heute rasant fortbewegen, „ohne ein einziges Zugtier vorzuspannen“, würde die Männer in Erstaunen versetzten, obwohl sie als Reformer des ausgehenden 18. Jahrhunderts stets den Mut hatten, technische Neuerungen in ihre Betriebe einzubringen.
So nehmen die Autoren und die Autorin die Leser spielerisch mit auf eine reich bebilderte Zeitreise durch die Geschichte der Gemeinde, an deren Beginn die Fabrikanten von 1775, und an dessen vorläufigem Endpunkt wir heute stehen. Ein Gang durch die Jahrhunderte am Beispiel der Gnadenkirche, die ihren Namen erst 1954 erhielt, als sie nicht mehr die einzige evangelische Kirche in der Stadt war. Ein Abriss der Geschicke von Gemeinde, Stadt und Land sowie der Architekturgeschichte der Gnadenkirche, die trotz ihrer zahlreichen baulichen Veränderungen ihr Gesicht doch nie ganz verlor.
Peter Lückerath/Irmtraud Schumacher/Michael Werling/Jo Wittwer: 250 Jahre Gnadenkirche. Die Geschichte der Evangelischen Kirche und ihrer Gemeinde in Bergisch Gladbach, Heider-Verlag Bergisch Gladbach 2025, ISBN 978-3-947779-53-6, 380 S., 25 Euro.