Prozess„Lost Place“ in Kürten war nicht verlassen – Männer wegen Hausfriedensbruch vor Gericht

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Ein Mann geht durch eine teilweise eingestürzten Stollenanlage im Jakobsberg bei Porta Westfalica. Die riesige, unterirdische Anlage mit dem Namen "Dachs 1" war während des Zweiten Weltkrieges unter den Nationalsozialisten von Zwangsarbeitern in den Berg getrieben worden.

Ein tatsächlich verlassener Ort: Ein Mann geht durch eine teilweise eingestürzten Stollenanlage im Jakobsberg bei Porta Westfalica. (Symbolbild)

Zwei junge Männer wollten im Dezember 2022 um zwei Uhr nachts mit Taschenlampen einen vermeintlichen „Lost Place“ zu erkunden.

Auf der Anklagebank von Richterin Simona Sünnemann sitzen an diesem letzten Morgen vor Beginn des rheinischen Straßenkarnevals zwei adrette junge Männer Anfang 20, bei denen sich der Beobachter verwundert fragt, was sie wohl auf diesen ungeliebten Platz geführt hat.

Es geht um Hausfriedensbruch in Kürten, so viel ist klar, gemeinsam begangen mit vier weiteren, gesondert verfolgten Verdächtigen. Der Verwunderung steigt, als die Wohnorte der beiden Angeklagten zur Sprache kommen: Jens P. (26) kommt aus Herdecke, Michael T. (22) aus Renningen.

Warum, zum Geier, fährt Jens aus dem Ruhrgebiet immerhin runde 60 Kilometer, warum Michael aus dem Raum Stuttgart sogar 360 Kilometer bis in den tiefsten Rheinisch-Bergischen Kreis, um dort einen sehr ländlichen Hausfrieden zu stören? Mafia? Rockergang? Reichsbürger? Und um wessen bisschen Frieden ging es in der Nacht zum 14. Dezember 2022 eigentlich?

Es gibt viele verlassene Orte: Kirchen, Bahnhöfe, Bordelle

Jens P. (Namen geändert) hat einen Verteidiger, und der bringt schnell Aufklärung in die Sache: Den jungen Männern und wohl auch ihren „Komplizen“ ging es darum, um zwei Uhr nachts mit Taschenlampen einen vermeintlichen „Lost Place“ zu erkunden.

Was das nun wieder ist, könnten sich ältere Zeitgenossen fragen. „Der Ausdruck Lost Place ist ein Pseudoanglizismus und bedeutet sinngemäß ‚vergessener Ort‘“, so das Internet-Lexikon Wikipedia (und ein Pseudoanglizismus wiederum ist ein nur scheinbar englisches, tatsächlich aber deutsches Wort, so wie „Handy“). Zu den bekanntesten Lost Places zählen der Spreepark in Berlin, heißt es an anderer Stelle, aber auch Kirchenruinen, Bahnstationen oder Bordelle stehen deutschlandweit leer.

Um zu dem fraglichen Haus in den Tiefen der Gemeinde Kürten zu gelangen – der Standort ist der Redaktion bekannt, wird aber nicht verraten – haben die jungen Leute sich mithilfe einer „Lost Places“-Karte orientiert. Es sei durch einen Wald gegangen, dann über einen Feldweg, sagt Jens P. „Irgendwann kam uns das komisch vor“, denn so verlassen habe das Gebäude doch nicht gewirkt.

Wir sind gar nicht auf das Grundstück gegangen, sondern haben nur vom Feldweg aus mit unseren Taschenlampen geleuchtet, und da kam auch schon die Polizei mit richtig großen Aufgebot
Angeklagter vor Gericht

„Wir sind darum auch gar nicht auf das Grundstück gegangen, sondern haben nur vom Feldweg aus mit unseren Taschenlampen geleuchtet, und da kam auch schon die Polizei mit richtig großen Aufgebot“, so der Angeklagte weiter. Maximal eine Viertelstunde seien die jungen Leute in der Gegend gewesen.  Sie hätten ihre Autos abgestellt, geraucht und gequatscht und seien dann zu dem Haus gegangen. Derweil alarmierte der Bewohner eines nahe gelegenen Hauses die Polizei, die die vermeintlichen Schurken dann auch stellte. „Na ja, so lost war der place dann wohl doch nicht“, fasst Richterin Simona Sünnemann die Sache zusammen.

Da für diesen Tag ohnehin noch keine Zeugen geladen sind, zieht die Staatsanwältin schließlich die Reißleine: „Ich schlage vor, das Verfahren nach Paragraf 153 wegen Geringfügigkeit einzustellen.“ Da auch die Angeklagten und die Richterin mit dieser minimalinvasiven Verfahrensbeendigung einverstanden sind, kann die Bergisch Gladbacher Erwachsenenjustiz die Aktendeckel zuklappen.

Ob und wie viele Jugendgerichte an den Wohnorten der vermeintlichen Komplizen sich jetzt ebenfalls noch mit den jungen Abenteuersuchenden befassen müssen, wird in dem Bergisch Gladbacher Erwachsenenprozess nicht bekannt.

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