Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Sozialamt: kein KrisenendeTäglich neue Geflüchtete aus der Ukraine in Leichlingen

4 min
Ukraine-BalkerAue-Container

Am Sportplatz in der Balker Aue sind Ersatz-Garderoben in Containern aufgestellt worden, weil im Gebäude (links) jetzt Geflüchtete wohnen.

Leichlingen – Wenn Romana Arendes Nachrichten aus der Ukraine und anderen Krisengebieten in der Welt verfolgt, wird ihr mulmig. Das geht allen so, die Bilder von Raketenangriffen, ausgebrannten Panzern, bombardierten Häusern und ertrinkenden Menschen im Mittelmeer sehen. Aber über den emotionalen Schrecken hinaus weiß Arendes, was die fürchterlichen Bilder, Kriegshandlungen, Hungersnöte und Warnungen vor Energienotstand und Klimakrise für ihre berufliche Arbeit bedeuten. Denn Arendes ist Leiterin des Leichlinger Sozialamtes. Und als solche ahnt sie, dass die Opfer der globalen Katastrophen schon am nächsten Tag wieder vor dem Rathaus stehen und um Hilfe bitten.

Ukraine-BalkerAue-Umkleiden

Planschbecken, Wäscheständer und ein Handtuch als Sichtschutz: Im Umkleidetrakt des Sportzentrums Balker Aue wohnen jetzt Geflüchtete.

„Es hört nicht auf, der Zustrom reißt nicht ab. Wir bekommen ständig mehr Zuweisungen als Personen weggehen“, sagt die Amtsleiterin. 258 Personen sind aus der Ukraine nach Leichlingen geflüchtet – das ist, genau ein halbes Jahr nach dem Überfall der russischen Armee auf das Land, ein Höchststand. Der laufend übertrumpft wird. Noch während Arendes am Montag mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ spricht, werden ihr von der Bezirksregierung die nächsten beiden vor dem Krieg Geflüchteten angekündigt, die dann am Dienstag vor der Türe standen.

Ukraine-Tennishalle

Den rechten Teil der früheren Tennishalle in Bremsen hat die Stadtverwaltung als Unterkunft angemietet, aber noch nicht eingerichtet.

Insgesamt 441 aus ihrer Heimat geflüchtete Menschen haben inzwischen in der Blütenstadt Schutz gefunden. Bei der großen Flüchtlingskrise 2016, die man damals für den Höhepunkt gehalten hatte, waren es 302. Und auch aus afrikanischen und arabischen Ländern kommen ständig neue Zugezogene hierhin, aktuell aus dem Irak, Afghanistan und Nigeria, denen man ebenso helfen müsse, appelliert Arendes.

Sorge um das Atomkraftwerk

„Wir haben keine Glaskugel und wissen nicht, was passiert“, erklärt Arendes, dass man von den Entwicklungen immer wieder überrollt wird. Dass es aber noch schlimmer kommen wird, da ist sie sich sicher. Wenn die Situation im Atomkraftwerk Saporischschja noch gefährlicher wird und sich auch die Lage auf der Krim zuspitzt, würden weitere Einwohner ihr Land verlassen, sagt sie.

Ukraine-Hoteleingang

Zweisprachige Sicherheitshinweise für die Gäste aus der Ukraine an der Eingangstüre zum Smarty-Hotel.

Und wenn Gazprom die Gaslieferungen stoppt, hier die Strompreise und Heizkosten explodieren, befürchtet sie, werde es zu Überschuldungen und Zwangsräumungen ­­­kommen und müsse das Sozialamt zusätzlich eine Welle von Obdachlosigkeit und Wohngeldanträgen bekämpfen.

Die immer zahlreicher werdenden Bedürftigen unterzubringen, wird zunehmend schwieriger. Erzählte man sich nicht noch vor kurzem in der Stadt, dass die Verwaltung das für ukrainische Familien und Personen angemietete Smarty-Hotel bald wieder räumen könne? „Ja, das hatten wir auch vor“, bestätigt Arendes, „aber das ist wegen der permanenten Zuzüge nicht möglich.“ Wöchentlich bekomme die Stadt drei bis sieben Zuweisungen, denen sie nachkommen müsse.

Aufnahmeverpflichtung steigt

Die offizielle Aufnahmequote, die nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel der Umverteilung ständig steigt, hat Leichlingen aktuell zu 90 Prozent erfüllt. „Wir müssten noch 21 Personen aufnehmen“, rechnet Arendes. Private Bitten um Unterbringung von Gästen aus dem Kriegsgebiet müsse sie wegen der akuten Raumnot größtenteils ablehnen. Rückkehrer seien bisher Einzelfälle. „Ja, die ein oder andere alleinreisende junge Frau geht zurück zu ihrem Mann oder ihrer Familie“, sagt die Amtsleiterin, aber ein Trend sei da noch nicht zu erkennen. Viele Ukrainer unter 50 würden vielmehr lieber für immer hier bleiben, „aber wir werden definitiv nicht alle mit Wohnungen versorgen können“.

Smarty-Hotel

Das Smarty-Hotel an der Marly-Brücke hat die Stadtverwaltung nach wie vor komplett angemietet.

22 aus der Ukraine Geflüchtete sind momentan im Smarty-Hotel an der Brückenstraße untergebracht, das die Stadt mit 15 Einzelzimmern, drei Doppel- und vier Dreibettzimmern komplett angemietet hat. 44 Personen leben in Haus Bethanien im Pilgerheim Weltersbach, 14 in Haus Orth und ebenso viele im Sportzentrum Balker Aue, wo der eigens für diesen Zweck umgebaute Umkleidetrakt inzwischen bezogen ist. Für die Sportler sind ersatzweise Container-Garderoben auf der Rückseite aufgestellt worden.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wenn die Kapazitäten nicht mehr reichen, muss wie geplant ein Teil der früheren Tennishalle in Bremsen belegt werden. Die Stadt hat die Halle schon länger angemietet, aber noch nicht eingerichtet. Sie zögert noch. Denn das ist der Notfall, den man eigentlich vermeiden will. „Das geht ganz knapp an einer Erstaufnahme-Einrichtung vorbei“, stuft Romana Arendes die Gewerbehalle als „worst case“ ein. Aber wenn sie die Nachrichten verfolgt, ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn, dann wird ihr mulmig.