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ElternhilfeDie heile „Rama“-Familie ist eine Illusion

Lesezeit 4 Minuten

Die Mutter-Kind-Beziehung kann in allen Altersgruppen mit Schwierigkeiten behaftet sein. Experten können helfen.

Rhein-Erft-Kreis – Es ist der blanke Horror: Während man an der Supermarktkasse noch nach Kleingeld sucht, das Baby auf dem Arm, wirft sich der Dreijährige auf den Boden und verlangt lautstark nach „Schokolaaade!“. Eltern jüngerer Kinder kennen diese peinliche Situation. Was aber, wenn derlei sich fortwährend abspielt? Beim Essen („Will nicht!“), beim Anziehen (Alleine!“). Die Kleinen sind permanent im Stress, die Eltern völlig genervt. Dies könnte der richtige Zeitpunkt sein, um sich Hilfe zu suchen.

In Bedburg etwa kümmert man sich in der Außenstelle des Rathauses an der Adolf-Silverberg-Straße um Eltern, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht mehr weiterwissen. Hier hat die Stadt die „Frühen Hilfen“ und die „Familienberatung“ angesiedelt. Das sei das Innovative, wie Sabine Klein betont, die beide Fachbereiche verantwortet. So könne man das anbieten, was sie einen „ganzheitlichen Ansatz“ nennt. Beratung und Hilfe auf allen Ebenen von Anfang an.

Das beginnt schon vor der Geburt. Junge Schwangere etwa hätten viele Fragen, sagt Rani Banerjee. Da gehe es vor allem um die Lebensgestaltung: „Mache ich die Schule zu Ende? Ziehe ich mit dem Vater zusammen?“, solche Dinge. Um hier Hilfestellung geben zu können, müsse man genau zuhören, weiß die Sozialarbeiterin, „und sich die Lebenssituation vor Ort anschauen“.

Das tut auch Lydia Hamacher, Kinderkrankenschwester im Team „Frühe Hilfen“. Bei ihr geht es am Anfang oft um sogenannte „Schreikinder“. Sie schaut dann erst mal, welche Nahrung das Baby kriegt und wie die Eltern mit ihm umgehen. Denn ob es tatsächlich krank ist und in die Schreiambulanz am Sozialpädiatrischen Zentrum Rhein-Erft-Kreis in Kerpen überwiesen werden sollte, ist keineswegs sicher. „Manchmal hilft Osteopathie, oft sogar eine Verhaltensänderung“, sagt Hamacher.

Beratungsstellen zum Thema Familie und Erziehung bieten alle zehn Kommunen im Rhein-Erft-Kreis. Teilweise sind die Beratungsstellen in städtischer Hand, andere werden von freien Trägern betrieben. Eine Kontaktaufnahme ist über die jeweilige Stadtverwaltung möglich.Hinzu kommen Beratungsangebote und Hilfen durch kirchliche Sozialdienste, durch die Arbeiterwohlfahrt (AWO) oder durch den Kinderschutzbund sowie durch das Sozialnetz des Rhein-Erft-Kreises. In Krisensituationen hilft auch das bundesweite und kostenlose Elterntelefon. Montags bis freitags in der Zeit von 9 bis 11 Uhr und dienstags und donnerstags auch in der Zeit von 17 bis 19 Uhr ist es erreichbar unter der Nummer (0800) 111 0 550. Ausführliche und zudem täglich aktualisierte Informationen rund um das Thema finden Interessierte unter anderem auch im Online-Familienhandbuch. www.familienhandbuch.de

Für Leiterin Sabine Klein ist das mit eine der wichtigsten Aufgaben ihres Teams: „Wir schauen, wie wir zur Gelassenheit der Eltern beitragen können“, sagt sie. Viele hätten ja die heile „Rama“-Familie im Kopf: „Kind kommt auf die Welt, und ich muss glücklich sein.“ Ein solches Ereignis gehe aber oft auch mit Überforderung einher, mit massivem Schlafdefizit, mit Vereinzelung. Kinder zu bekommen sei ein einschneidendes Erlebnis, das auch die Partnerschaft auf die Probe stelle, meint Rani Banerjee. Denn es stimme ja: Die eigenen Bedürfnisse würden erst einmal hintangestellt. Verschärft würde diese Problematik, wenn das Kind krank oder mit Behinderung zur Welt komme, weiß Lydia Hamacher. Gruppenangebote mit anderen Betroffenen, wie sie überall im Rhein-Erft-Kreis angeboten würden, könnten dabei eine wichtige Stütze sein.

Die größte allerdings, da sind sich die Expertinnen einig: Sich von überzogenen Ansprüchen verabschieden. „Perfekte Eltern mit perfekten Kindern, das gibt es einfach nicht“, sagt Hamacher. Nicht verzweifeln, das gilt demnach auch bei Kindern, die einfach nicht zur Ruhe kommen wollen. Dabei gelte es, vor allem richtig hinzuschauen, „zu lernen, was dahintersteckt“, meint Sabine Klein. Therapie und Pillen seien meist gar nicht nötig; eine ruhige Atmosphäre schaffen, Vorlesen statt Fernsehen, könnten erste Maßnahmen sein. „Auch eine feste Struktur im Alltag kann helfen“, ergänzt Sozialarbeiterin Banerjee.

Und irgendwann kommen die Kleinen eben in die Trotzphase. Wie man mit den heftigen Gefühlsausbrüchen umzugehen habe, sei ganz individuell – und von der Tagesform abhängig, erklärt Sabine Klein. So helfen dem einen Kind Zuwendung und Trost, andere bräuchten Raum für ihren Ausbruch. „Auch eine heftige Ansprache kann richtig sein.“ Das eine vom anderen zu unterscheiden und richtig anzuwenden, sei eine Kunst, die man trainieren könne, sagt Klein. „Und wir können dabei helfen.“ Dem ersten Impuls nachzugeben, im Supermarkt eben doch den Schokoriegel zu kaufen, ist jedenfalls selten der richtige. Und eine peinliche Situation aushalten zu können – auch das ist reine Lernsache.