In die Trauer mischte sich auch Wut: Die Initiatoren warfen Politik und Behörden vor Ort vor, zu wenig für die Verkehrssicherheit zu tun.
SchweigegangHunderte Menschen erinnern in Hürth an die Unfallopfer Avin (10) und Luis (25)

Mehrere Hundert Menschen zogen in einem Schweigegang über die Frechener Straße bis zur Unfallstelle an der Einmündung Theresienhöhe.
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Die Stimmung war bedrückt und voller Trauer: Viele Tränen flossen, als die Angehörigen beim Schweigegang am Mittwochabend die Unfallstelle erreichten. Weiße Kreidestriche und Flatterband markierten den Ort, an dem ein Mädchen und ein junger Mann von einem Auto angefahren und so schwer verletzt wurden, dass sie starben. Mit einer Mahnwache gedachten hunderte Menschen der Schülerin Avin (10) und des Schulbegleiters Luis (25), die nach dem schweren Verkehrsunfall vor drei Wochen im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen erlegen waren.
Teilnehmer hielten Plakate hoch, auf denen sie Maßnahmen forderten, um den Straßenverkehr vor allem für die schwächsten Teilnehmer sicherer zu machen. Tempo 30 war eine davon. Auf einem anderen Plakat stand: „Die Stadt ist für Menschen da, nicht für Autos.“ Kinder verteilten kleine Anstecker, auf dem als Symbol ein gebrochenes Herz zu sehen war.
Hürth: Knapp 10.000 Menschen haben eine Online-Petition unterschrieben
Zur Mahnwache war auch der Vater der getöteten Avin gekommen. Bereits wenige Tage nach dem Tod seiner Tochter hatte er kritisiert, dass viele Verkehrsteilnehmer an der Unfallstelle zu schnell führen und die Behörden zu wenig für den Schutz der Fußgänger täten.
Mehr Sicherheit für die schwächsten Verkehrsteilnehmer fordern auch eine Ärztin und ein Arzt aus Hürth, die wenige Tage nach dem Unfall eine Online-Petition gestartet haben. Knapp 10.000 Menschen haben bislang unterschrieben. Darunter auch der Vater des Schulbegleiters Luis (25), der durch sein beherztes Eingreifen offenkundig mehreren anderen Kindern von der Carl-Orff-Grundschule das Leben gerettet hat. Er bezahlte seinen Mut mit seinem Leben.
Die Initiatoren der Online-Petition aus Hürth, der ADFC Rhein-Erft und das Aktionsbündnis Kidical Mass aus Köln sowie weitere Unterstützer fordern Maßnahmen für mehr Sicherheit im Straßenverkehr. Eingeladen hatten die Veranstalter auch die NRW-Minister Oliver Krischer (Verkehr) und Herbert Reul (Inneres) sowie Landrat Frank Rock und Bürgermeister Dirk Breuer. Gekommen war nur der Bürgermeister, Rock ließ sich von Vizelandrat Bernhard Ripp vertreten.

Zwei schemenhafte Figuren erinnern an die beiden jungen Menschen, die nach dem Unfall ihr Leben verloren haben.
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Vom Kölner Rudolfplatz aus war um 17 Uhr eine Fahrraddemo zur Mahnwache in Hürth gestartet. Die Teilnehmer schlossen sich an der Kreuzung Frechener Straße/Sudetenstraße dem Schweigegang an. Dort war im Dezember 2021 ein 15-jähriger Radfahrer unter einen abbiegenden Lastzug geraten und ums Leben gekommen. Anschließend folgte ein stiller Gang zur Unfallstelle an der Einmündung der Theresienhöhe.
Vor drei Wochen, am 4. Juni, war dort ein 20-jähriger BMW-Fahrer laut Zeugenaussagen mit hoher Geschwindigkeit in eine Gruppe von Schülern und Betreuern gefahren, die die Straße an der Ampel bei Grünlicht überquerten. Der Mann, der aus Alstädten kommen soll, schweigt zu den Vorwürfen. Axel Fell, der ADFC-Vorsitzende in Rhein-Erft, hat eine ähnlich große Betroffenheit und Anteilnahme nur 2023 erlebt. 750 Kinder und Jugendliche aus fünf Pulheimer Schulen, aber auch viele Lehrer und Eltern hatten sich zum Abschluss einer Gedenkfahrt für einen zehnjährigen Jungen auf dem Paul-Decker-Platz versammelt. Ein Lkw hatte Henry dort am 18. September überrollt. Der Junge starb wenige Stunden später. Auch sein Vater war zur Mahnwache nach Hürth gekommen.
Der Schmerz ist immer noch greifbar. Er triff uns mitten ins Herz.
„Der Schmerz ist immer noch greifbar. Er triff uns mitten ins Herz“, sagte Dr. Ingo Benz, einer der beiden Initiatoren der Petition, an der Unfallstelle. „Wir alle setzen ein Zeichen für die Sicherheit unserer Kinder und aller Menschen. Wir stehen zusammen und wollen diejenigen schützen, deren Gesundheit und Leben tagtäglich durch die rücksichtslose Verkehrsplanung gefährdet ist. Gemeinsam mit 10.000 weiteren, die unsere Petition bereits unterzeichnet haben, sagen wir: Nie wieder Verkehrstote an der Frechener Straße.“
Benz und seine Mitstreiterin Dr. Zeynep Fuchs erhoben schwere Vorwürfe gegen die örtliche Politik. Benz: „Wir sind so unfassbar wütend und traurig, weil wir wissen, dass Avin und Luis noch am Leben wären, wenn die Politiker sich früher den zahlreichen Aufrufen und Mahnungen der Menschen von Hürth aktiv gewidmet und etwas verändert hätten. Wir fordern eine Verkehrspolitik, die die Schwächsten von uns schützt, allen voran Kinder, Radfahrer und Fußgänger. Die oberste Priorität in der Verkehrsplanung muss die Unversehrtheit von Leib und Leben jedes Einzelnen sein.“
Pfarrerin übt Gesellschaftskritik
Die evangelische Pfarrerin Christiane Birgden, die Avins Eltern seit dem Unfall begleitet, erinnerte an das Leid der Familien der Unfallopfer. „Der Tod ist irreversibel. Für die Familien ist das Leben für jetzt für immer verändert. Das wird nie wieder gut. Und was deutlich geworden ist, ist, dass an jedem Leben viele, viele Personen hängen.“ Die Pfarrerin fügte den kritischen Worten ihrer Vorredner gegenüber der Politik Gesellschaftskritik hinzu: „Solange es in unserer Gesellschaft so ist, dass schnelles Autofahren in großen Karren ein Männlichkeitsding ist, haben wir ein Problem.“
Die Unfälle auf der Frechener Straße werden derweil auch zu einem politischen Thema. In einem Antrag an den Kreistag fordert die SPD-Fraktion unter anderem die Einführung von Tempo 30 auf der Landesstraße, insbesondere im Bereich der Kreuzungen Sudetenstraße und Theresienhöhe. Zudem sollen Ortseingangsschilder versetzt werden, um die Frechener Straße zu einer innerörtlichen Straße mit Tempo 50 zu machen. Der Kreis müsse feste oder mobile Blitzer aufstellen, um die Einhaltung des Tempolimits zu kontrollieren.

Auf Pappschildern forderten Teilnehmer Maßnahmen für mehr Verkehrssicherheit, darunter Tempo 30.
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Die Stadt Hürth wiederum soll nach Ansicht der SPD prüfen, ob die Fahrbahn verengt werden kann oder andere bauliche Maßnahmen zur Geschwindigkeitsdämpfung ergriffen werden können. „Die Menschen in Hürth sind tief verunsichert. Es braucht jetzt ein klares Signal und konkrete Schritte, um das Vertrauen in die Sicherheit unserer Straßen zurückzugewinnen“, sagt Monika Streicher, Kreistagsmitglied aus Hürth. Dierk Timm, Fraktionsvorsitzender der SPD-Kreistagsfraktion, ergänzt: „Die Sicherheit auf unseren Straßen ist keine Frage der Zuständigkeit, sondern eine Frage der Verantwortung. Es ist unerlässlich, dass alle Akteure – Stadt, Kreis und Land – jetzt konstruktiv zusammenarbeiten.“
Im Zusammenhang mit dem Vorgehen der SPD ist es zu Irritationen gekommen. Im von Daniel Dobbelstein, dem Geschäftsführer der Kreistagsfraktion, verschickten Schreiben heißt es, die SPD stelle den Antrag für mehr Verkehrssicherheit gemeinsam mit der CDU. Deren Fraktionsvorsitzender Gregor Golland widerspricht dem entschieden. Es gebe keine gemeinsame Initiative mit den Sozialdemokraten. Was es zur Verkehrssituation um die Frechener Straße zu besprechen gebe, sei zunächst Angelegenheit der CDU-Fraktion. Danach werde man sich mit den Koalitionspartnern, den Grünen und der FDP, beraten.
Golland sagte im Gespräch mit dieser Redaktion, er könne sich nicht erklären, was die SPD veranlasse, eine solche Behauptung aufzustellen: „Das macht mich sprachlos.“ Die SPD korrigierte im Laufe des Tages ihre Nachricht. Er habe eine falsche Version versandt, teilte Dobbelstein mit.