Hürther Psychiater im Interview zu Corona„Wir brauchen eine Perspektive“

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Hinter der Maske ist die Mimik nur zu erahnen.

Hinter der Maske ist die Mimik nur zu erahnen.

Hürth – Was macht die Pandemie mit der Psyche? Andreas Engels sprach darüber in der Reihe „Rhein-Erft-Talk“ mit Dr. Jaroslav Malevani. Der Psychiater und Psychotherapeut ist Chefarzt der Somnia-Fachklinik in Hürth.

Macht Ihnen die Corona-Pandemie selbst Angst?

Nein, aber sie versetzt mich schon in einen Zustand der angespannten Bereitschaft. Die Situation ändert sich täglich, manchmal stündlich, und man muss wirklich in der Lage sein, schnelle Entscheidungen zu treffen, um die notwendigen Maßnahmen umzusetzen. Aber das macht mir keine Angst.

Wie gehen Sie denn persönlich mit dieser Situation um?

Ich achte darauf, dass mein Tag gut strukturiert ist. Ich mache Sport, ich lese viel. Und beruflich bedingt muss ich mich um vieles im Krankenhaus kümmern.

Was macht die Pandemie mit der Psyche?

Die Pandemie führt zu Situationen, auf die wir nicht vorbereitet sind. Vor allem ist es die soziale Isolation. Das ist die Angst vor einer Ansteckung. Das sind die eingeschränkten Möglichkeiten, mit Freunden und Verwandten zu kommunizieren. Das ist Angst vor finanziellen Nöten. Viele Menschen sind davon betroffen, in Kurzarbeit zu gehen oder sogar ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Und das Thema Stigmatisierung. Wir machen uns Gedanken darüber, ob der Nachbar oder ein Bekannter mit dem Coronavirus angesteckt ist.

Gibt es Menschen, die besser damit klarkommen?

Ja. Es ist tatsächlich so. Ich habe schon gesagt, dass ich keine Angst vor Pandemie habe, weil man als Arzt gut darauf vorbereitet ist, mit einer Infektionsgefahr umzugehen. Erstaunlicherweise gibt es sogar Menschen mit psychischen Störungen, die damit recht gut umgehen können, gerade Menschen, die wissen, was Angst ist und die aufgrund einer Angststörung sehr stark darauf achten, sich in bestimmten Situationen etwas vorsichtiger zu verhalten. Es gibt auch Berufsgruppen, zum Beispiel Polizisten, die in der Lage sind, mit einer Situation, die gefährlich ist, umzugehen.

Um das Ansteckungsrisiko zu minimieren, sollen Kontakte vermieden werden. Was macht das mit dem Menschen, wenn er anderen nicht mehr nahe kommen darf?

Wir Menschen sind soziale Wesen. Soziale Kontakte sind für uns extrem wichtig. Sie geben uns Sicherheit, sie helfen uns, uns besser zu orientieren in der Gesellschaft. Und wenn soziale Kontakte wegbrechen, macht es schon sehr viel mit unserer Psyche. Darüber hinaus gibt es noch einen anderen Aspekt, das ist die Distanz zu anderen Menschen und das Tragen von Atemschutzmasken. Wir kommunizieren zu 70 bis 80 Prozent nonverbal.

Das gesprochene Wort ist zwar wichtig, aber nicht so wichtig wie unser Gesichtsausdruck. Jetzt stellen Sie sich vor, Sie sind irgendwo unterwegs, alle Menschen sind zwei, drei Meter von Ihnen entfernt und tragen Atemschutzmasken. Ich weiß überhaupt nicht, wie diese Person zu mir steht. Ist sie freundlich? Fühlt sie sich genervt von mir? Ist sie vielleicht sogar aggressiv mir gegenüber? Das macht uns unsicher.

Wie kann man denn damit umgehen?

Es gibt bewährte Strategien. In erster Linie geht es darum, dass man versucht, die gewohnte Tagesstruktur einzuhalten. Was ich ganz wichtig finde, ist, dass man sich klar macht, dass alle Maßnahmen wichtig sind für die Allgemeinheit, für unsere Gesellschaft. Und wenn ich weiß, dass die zwischenmenschliche Distanz oder das Tragen von Atemschutz nicht nur für mich, sondern auch für andere Menschen wichtig sind, vor allem für ältere Personen, die besonders gefährdet sind, kann ich mit der Situation viel besser umgehen. Bewegung ist sehr wichtig.

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Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die belegen, dass gerade für die Psyche Bewegung sehr nützlich ist. Sport wirkt bei manchen Patienten genauso gut wie Medikamente gegen eine Depression. Und bevor man eine Depression bekommt, sollten wir darauf achten, uns regelmäßig zu bewegen. Weil wir keine Ausgangssperre haben, haben wir dazu auch draußen an der frischen Luft Gelegenheit. Auch in den eigenen vier Wänden gibt es Möglichkeiten, sich zu bewegen. Im Internet gibt es viele Videos, die ganz gute Tricks vermitteln, wie man sich auf einer kleinen Fläche bewegen kann.

Viele Menschen hängen jetzt dicht aufeinander in ihren Wohnungen, etwa weil sie Homeoffice machen oder weil Kinder betreut werden müssen. Haben Sie Tipps, wie man dafür sorgen kann, dass einem nicht die Decke auf den Kopf fällt oder es zu sozialem Stress kommt?

Man sollte darauf achten, dass die Personen in einem Haushalt Rückzugsmöglichkeiten bekommen. Sogar in einer kleinen Wohnung ist es mit Absprache möglich, sich zumindest stundenweise zurückzuziehen, vielleicht ein Zimmer für sich zu nutzen. Was auch sehr wichtig ist, das ist unsere Gefühlswelt. Man leidet schon unter dieser Ausnahmesituation, und viele von uns haben unterschiedliche Gefühle, die damit zusammenhängen. Diese Gefühle sind völlig normal, und ich finde es sehr wichtig, dass man auch diesen Gefühlen einen freien Raum gibt, das heißt, über die Gefühle spricht.

Wenn ich mich zum Beispiel ärgere über eine bestimmte Situation, die jetzt gerade am Mittagstisch aufgetreten ist, ist es wichtig, darüber zu sprechen. Auch Kindern beizubringen, über ihre Gefühle zu sprechen, weil sie nicht so viele Strategien haben, damit umzugehen, häufig sehr darunter leiden. Kinder sind auch anhänglicher in der momentanen Situation. Das ist wichtig, dass man ihnen das Gefühl vermittelt, wir Erwachsenen sind für die Kinder da.

Wie lange kann man diese Kontaktsperren ertragen?

Es gibt Menschen, die können damit sehr gut umgehen, die vielleicht auch im normalen Alltag relativ zurückgezogen leben. Und es gibt Menschen, die relativ stark darunter leiden. Ich würde die Frage ein bisschen anders beantworten. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wir alle etwas unternehmen, um nicht in der sozialen Isolation zu leben. Wir können unsere sozialen Kontakte auch auf Distanz pflegen. Wir haben Telefon, wir haben Internet. Ich rede jetzt gar nicht darüber, dass wir auch in der Lage sind, mit unserem Nachbarn zu kommunizieren und mit unseren Kindern etwas zu unternehmen.

Jetzt wird es ja verschiedene Lockerungen landesweit geben. Wie wichtig sind diese aus Ihrer Sicht?

Die Lockerungen sind wichtig, weil wir eine Perspektive brauchen. Es ist viel einfacher, mit einer Situation umzugehen, wenn das Licht am Ende des Tunnels zu erkennen ist. Deswegen finde ich es wichtig, dass nicht nur Lockerungen in die Wege geleitet werden, sondern dass auch perspektivisch darüber gesprochen wird. Wenn ich weiß, dass in zwei oder in vier Wochen bestimmte Veranstaltungen besucht werden können oder irgendwann die Möglichkeit besteht, in der europäischen Nachbarschaft meinen Urlaub zu machen oder auch in Deutschland an der Nordseeküste, kann ich die nächsten Wochen besser überstehen.

Können die Kontaktsperren auch Vorteile haben? Viele Menschen machen sich ja eine ganze Menge an Freizeitstress. Das fällt ja jetzt ein bisschen weg.

Mir fällt zum Beispiel auf, dass in meinem Bekanntenkreis Erkältungskrankheiten deutlich seltener vorkommen. Die Gefahr, sich anzustecken – nicht nur mit dem Coronavirus – ist wirklich geringer geworden. Auf der anderen Seite haben wir jetzt weniger Terminstress. Die Autobahn ist freier, man kommt schneller zur Arbeit. Die Luft ist reiner. Flugzeuge fliegen seltener. Wenn wir jetzt die wirtschaftlichen Aspekte zurückstellen und uns mehr Gedanken über die positiven Aspekte machen: Sicherlich profitieren wir auch davon.

Etwa, wenn wir Zeit gewinnen, weil der eine oder andere Termin wegfällt. Aber ich möchte auch warnen: Keine Termine zu haben, ist auch nicht gut. Denn dadurch beschäftigt man sich eher mit negativen Gedanken. Mein Tipp wäre, ein Ersatzprogramm für sich zu schaffen, vielleicht mit Dingen, für die ich normalerweise keine Zeit habe. Ich habe zum Beispiel zum letzten Mal vor zehn Jahren etwas gemalt und kann jetzt vielleicht für meine kreative Seite etwas tun.

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