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Raffinerie in WesselingTausende Arbeiter säubern und Prüfen das Shell-Werk

Lesezeit 4 Minuten
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Shell-Raffinerie in Wesseling

  1. Die Anlagen stehen still, werden auseinandergenommen und gewartet.
  2. Fast 3000 Arbeiter zusätzlich sind dafür angeheuert worden.
  3. Allein der Terminplan ist 1500 Seiten stark.

Wesseling – In der Rohöl-Destille, wo sonst die Kompressoren lautstark dröhnen, ist es ungewöhnlich ruhig. Dafür geht es um die Mittagszeit im eigens aufgestellten Kantinenzelt zu wie in einem Bienenstock. Hunderte von Arbeitern müssen hier in kürzester Zeit versorgt werden. Sie werden gestärkt für ihren Job beim Großreinemachen in der Rheinland-Raffinerie.

Das, was derzeit im Shell-Werk abläuft, gleicht einem logistischen Wunderwerk. Sechs Wochen lang steht fast der gesamte  Betrieb still, damit vier Fünftel der Anlagen gesäubert und überprüft werden können. Nicht nur Hunderttausende  von Anlagenteilen und Schrauben werden ausgebaut, gesäubert und anschließend an der richtigen Stelle wieder eingesetzt, auch die strengen Sicherheitsrichtlinien müssen den ortsunkundigen, zum großen Teil ausländischen Arbeitern vermittelt werden.

Alle fünf Jahre findet so ein Millionen Euro teurer Stillstand, auf englisch Turnaround, statt. Rund 2700 Arbeiter aus 150 Fremdfirmen bewegen sich zusätzlich zu den 400 eigens abgestellten Shell- Mitarbeitern im Werk auf für sie zum Teil  unbekanntem Terrain. Aus 30 Nationen – aus Osteuropa, den Balkanländer, Spanien und Portugal – kommen die Arbeiter, und es herrscht ein babylonisches Sprachgewirr.

„Damit alle die strengen Sicherheitsvorkehrungen verstehen, muss in jedem Arbeitstrupp mindestens ein Arbeiter sein, der Deutsch kann“, sagt Wolfgang Müller, bei Shell zuständig für die Sicherheitsfragen. Täglich lernen 380 Arbeiter im Sicherheitszentrum die  wichtigsten Sicherheitsregeln, zudem sind 70 Sicherheitsleute im Einsatz, die aufpassen, dass es nirgendwo gefährlich wird.

Arbeitsbereiche nach Farben geordnet

So gilt nicht nur, die Arbeiter in großer Höhe zu sichern und aufzupassen, dass  keine Schraubenschlüssel achtlos auf Anlagen abgelegt werden. Im gesamten Werk herrscht Handyverbot, weil es beim Telefonieren zum Funkenschlag kommen könnte, was zu einem Großfeuer oder einer Explosion führen könnte. Zwar werden bei Shell nicht die Taschen durchsucht, aber wenn irgendwo ein Handy klingelt, bekommt der Betreffende sofort Werksverbot.

Um die Orientierung im Werk  zu erleichtern, sind die Arbeitsbereiche nach Farben geordnet. Arbeiten im Block 1, etwa der Rohöldestille, sind rot gekennzeichnet. „Es muss einfach und sicher sein“, sagte André Nußbaum, der Abteilungsleiter für den Turnaround. Auch wird jedes Anlagenteil, das gewartet ist, mit einem Kabelbinder gekennzeichnet. Grün zeigt an, dass das Teil sauber  und in Ordnung ist, der rote Kabelbinder signalisiert, hier ist etwas defekt. Für die Überprüfung sind 16 Tüv-Gutachter zuständig.

Dazu muss jeder Arbeiter wissen, wo sich die nächste Sammelstelle befindet, die er im Fall eines Alarms aufsuchen muss. „Im Ereignisfall hat man keine Zeit mehr, sich zu orientieren“, weiß Müller. Die Anlagen sind während der Stillstandsarbeiten leer. „Vor dem Stillstand werden die Anlagen entleert, gespült und mit Dampf gereinigt“, erklärt Nußbaum.  Dennoch könne es vorkommen, dass sich in Stutzen der Anlagen noch Reste von Flüssigkeiten, etwa Öl, befinden. Auch ist es wichtig zu wissen, welche gefährlichen Stoffe im Werk vorkommen. So zum Beispiel das leicht entzündliche Gas Schwefelwasserstoff, das nach faulen Eiern riecht und  lebensgefährlich ist, wenn man es einatmet.

Auch kommt technisches Gerät zum Einsatz, das gefährlich werden kann. So stehen nicht nur 48 Kräne im Werk, es werden auch Hochdruckreiniger genutzt, die mit 1500 Bar arbeiten. Ein so hoher Druck, dass ein Arbeiter seine Hand verlieren würde, geriete sie in den  Wasserstrahl.

Manches technisches Gerät ersetzt die menschliche Arbeitskraft. So kommen Drohnen zum Einsatz,  die die zum Teil mehr als 100 Meter hohen Schornsteine und Kolonnen aus der Luft fotografieren und so Aufschluss über deren Zustand geben. Gegen Unachtsamkeit schützt das aber nicht. Vor einigen Jahren stürzte ein Arbeiter von dem 170 Meter hohen Schornstein. Er hatte offenbar an seinem Arbeitsplatz etwas vergessen, kehrte allein zurück und sicherte sich nicht ab. Er stolperte und stürzte in den Tod. Sechs Wochen dauert der Stillstand, bislang gab es keinen Unfall, und alle hoffen, dass es so bleibt.

Die Details der großen Aktion

1600 Mitarbeiter arbeiten normalerweise im Wesselinger Werk der Raffinerie. Sie sind auch während der Revision im Dienst, unterstützen die Fremdfirmen bei ihrer Arbeit und sind in den Anlagen im Einsatz, die nicht von den Wartungsarbeiten betroffen sind. Die Vorbereitungszeit für die Revision beträgt allein drei Jahre.

Während des Stillstands werden die Anlagen so weit auseinandergenommen, dass alle relevanten Bauteile für die Kontrolleure zugänglich sind. So wurden 140.000 Kubikmeter Gerüste aufgebaut, 5200 einzelne Arbeiten sind vorgeplant und werden anhand einer mehrere Tausend Seiten langen Checkliste abgearbeitet. Der detaillierte Terminplan umfasst 1500 Seiten, 95.000 Dichtungen, 200.000 Schrauben und knapp 1600 Ausrüstungsgegenstände (Druckbehälter, Wärmetauscher und Kolonnen) werden geprüft.

Nach Beendigung der Revision befindet sich das Anlagenteil praktisch wieder im Neuzustand.

Seit 1937 werden in Wesseling Kraftstoffe hergestellt, anfangs aus Braunkohle später aus Rohöl.  In den Werken Wesseling und Godorf werden jährlich 16 Millionen Tonnen Rohöl zu Kraftstoff, Heizöl oder auch Flüssiggas verarbeitet.

Es werden aber auch Grundstoffe für die chemische Industrie und Bitumen für den Straßenbau hergestellt. Über Pipelines erreichen täglich 44.000 Tonnen Rohöl das Werk.