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Familie fordert GerechtigkeitIn Unterwäsche gefilmt – 18-Jährige aus Lohmar nahm sich das Leben

Lesezeit 4 Minuten
Eine Gruppe steht mit einem Banner auf der Treppe vor dem Amtsgericht

Familie und Freunde einer jungen Frau, die auf einer Party in entwürdigender Art und Weise gefilmt worden war, demonstrieren vor der Gerichtsverhandlung.

„Gerechtigkeit für Lisa“, forderten Demonstranten vor dem Amtsgericht. „Eine gerechte Strafe gibt es dafür nicht“, sagte die Jugendrichterin.

Ein junges Mädchen wird von drei jungen Männern auf einer Party in entwürdigender Weise mit dem Handy gefilmt. Die Freunde mussten sich nun vor dem Jugendgericht verantworten. Familie und Freunde des Opfers hatten zuvor auf der Treppe des Amtsgerichts demonstriert und „Gerechtigkeit für Lisa“ gefordert, so stand es auf den T-Shirts mit ihrem Konterfei und auf einem großen Banner.

Die Tragik des Vorfalls: Die 18-Jährige hatte lange angenommen, vergewaltigt worden zu sein, und sich das Leben genommen. Angeklagt war aber lediglich die gemeinschaftliche Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Filmaufnahmen.

Im Badezimmer des Lohmarer Wohnhauses wurde das hilflose Opfer gefilmt

„Ich sehe Ihre Trauer, und ich sehe die Folgen“, sagte Jugendrichterin Alice Weismann in Richtung der vollbesetzten Zuschauerreihen. „Eine gerechte Strafe wird es dafür nicht geben.“ 

Man hatte in einem Einfamilienhaus in Lohmar gefeiert, einige Gäste, darunter auch zwei Angeklagte, hatten an diesem Junitag 2023 ihre Fachabiturzeugnisse erhalten. Der Gastgeber hatte Geburtstag. Das Opfer war zur Tatzeit sehr betrunken, das ergab eine spätere Blutprobe, auch die Täter hatten Alkohol konsumiert, waren aber noch Herr ihrer Sinne.

Im Badezimmer fertigten die zur Tatzeit 17- und 18-Jährigen in rund einer halben Stunde elf Videos an, zwischen zwei und 25 Sekunden lang. Sie drapierten die hilflose und zeitweise leblos wirkende junge Frau in sexuellen Posen und täuschten sexuelle Handlungen vor, schnitten Grimassen und machten sich über ihr Opfer lustig. Zeitweise trug es am Unterleib nur noch einen Tanga.     

Sieben Wochen vor dem Gerichtstermin brachte sie sich um
Die Mutter des 18-jährigen Opfers am Rande der Verhandlung vor dem Siegburger Jugendgericht

Erst eine Freundin unterbrach das Treiben, sie fand das weinende Opfer mit gespreizten Beinen in der Badewanne. Ihre ältere Schwester holte Lisa ab und fuhr direkt mit ihr zur Polizei. Diese war am Boden zerstört und äußerte die Befürchtung, vergewaltigt worden zu sein. Das habe sie extrem belastet, so die Familie. Gewissheit brachte erst das Ergebnis der DNA-Untersuchung Monate später. Da war die Schülerin schon in der Klinik.

„Sie hatte große Angst vor dem Gerichtstermin, der ursprünglich im Januar angesetzt war, aber wegen Krankheit der Richterin verschoben wurde“, berichtete die Mutter am Rande der Hauptverhandlung. „Sieben Wochen vorher brachte sie sich um.“ Für die Familie und Freunde eine Folge der Tat.

Die Angeklagten aus Lohmar hatten die Videos kurz nach der Tat gelöscht

Für das Gericht hingegen waren die Videos nur „ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“, sagte Weismann. Atteste belegten, dass Lisa schon zuvor psychische Probleme gehabt habe. Die Filme seien zum Glück nicht verschickt, sondern kurz nach der Tat gelöscht worden. Die Polizei hatte sie wiederhergestellt.

Alle drei Angeklagten wirkten wie versteinert, ließen zunächst ihre Anwälte sprechen. Bekundeten dann, teils unter Tränen, ihr Bedauern. Das, was sie getan hätten, sei unentschuldbar. Es täte ihnen unfassbar leid. Sie würden sich gern bei Lisa entschuldigen, doch das sei nicht mehr möglich.

Tatsächlich hätte es eine Chance gegeben bis zum richterlichen Näherungsverbot, das das Opfer vor dem Familiengericht erwirkte, drei Wochen nach der Tat, so die Eltern. „Aber da ist nichts gekommen.“ An diesem Tag hätten die Täter noch gelacht.    

Die Jugendrichterin folgte dem Antrag der Staatsanwaltschaft und verhängte gegen die Angeklagten zwei Freizeitarreste, damit diese Gelegenheit hätten, sich mit ihrer Tat und deren Folgen auseinanderzusetzen. Zum anderen müssen sie einen großen sozialen Trainingskurs machen, in dem das Geschehen noch einmal aufgegriffen wird. Positiv ins Gewicht seien ihr Geständnis und ihre echte Reue gefallen.  

Zwei wurden zusätzlich noch zu 500 Euro Geldstrafe verurteilt, der erste wegen Körperverletzung auf der Wahlscheider Kirmes, der zweite wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss. Sein Führerschein wird eingezogen und eine sechsmonatige Sperre verhängt.

Sie alle müssten nun mit der Schuld leben, so die Richterin. Und die Angehörigen des Opfers damit, dass kein Urteil diese Tat ungeschehen machen könne. Eine Jugendstrafe habe den Sinn und Zweck, erzieherisch auf die Angeklagten einzuwirken, „damit diese drei jungen Männer nie wieder auf einer Anklagebank landen“. 


Jugendstrafrecht auch bei über 18-Jährigen

Jugendstrafrecht kann auch bei Heranwachsenden unter 21 Jahren noch verhängt werden. Voraussetzung ist eine Reifeverzögerung und keine grundsätzliche Feststellung schädlicher Neigungen. Im aktuellen Fall lebten die jungen Männer noch bei den Eltern und befänden sich in Ausbildung.