Das Phänomen haben die Deutsche Kassenärztliche Vereinigung, der SKM und der DGB beobachtet.
Trotz Erkältungswelle Arbeitnehmer in Rhein-Sieg melden sich seltener krank aus Angst vor Jobverlust

Vermehrt lassen sich Menschen nicht mehr krankschreiben, sondern kommen mit Fieber und Schnupfen zur Arbeit - wohl weil sie Angst um ihren Job haben.
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Der Hals kratzt, die Nase läuft: Mit dem Wetterumschwung von warmem Sonnenwetter zur kühlen Luft und Regen grassiert derzeit eine Erkältungswelle im Rhein-Sieg-Kreis. Nicht schlimm sei dieses Phänomen, es gehe häufig mit wechselhaftem Wetter einher, sagt Dr. Jaqueline Hiepler, Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung. Kein Grund, zu Hause zu bleiben. Doch nicht nur mit einem Schnupfen gehen Menschen zur Arbeit, hat sie beobachtet.
Während und direkt nach der Corona-Pandemie die Anzahl der Krankschreibungen stark zugenommen habe, gebe es jetzt die Kehrtwende. „Da sind Patienten mit Fieber, die wollen zur Arbeit gehen“, berichtet Hiepler. Eine Krankschreibung aufdrücken könne sie niemandem, sagt die Hennefer Hausärztin. Sie als Medizinerin könne nur an die Vernunft appellieren. Hake sie nach, warum die Kranken sich nicht zu Hause auskurieren wollten, werde oft die Arbeit als Grund genannt, der man nicht fernbleiben könne. „Es ist so, dass viele befürchten, ihren Job zu verlieren.“
In den belasteten Branchen ist es besonders bedenklich, wenn Menschen krank zur Arbeit gehen
Nicola Dichant, Gewerkschaftssekretärin des Deutschen Gewerkschaftsbunds in der Region Köln-Bonn kennt die Problematik. „Wir als Gewerkschaft sehen das auch", so Dichant. Dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer trotz Krankheit ihren Job machten, stuft sie als„ besorgniserregenden Trend“ ein. „Das macht ja weiter krank!“ Der Druck auf die Beschäftigten steige, insbesondere die aktuelle Debatte um eine Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes und eine Abkehr vom 8-Stunden-Tag gehe in die völlig falsche Richtung.

Dr. Jacqueline Hiepler, Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung im Rhein-Sieg-Kreis.
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Besonders bedenklich sei das Phänomen in den ohnehin schon belasteten Branchen, wie in der Pflege, beim Krankenhauspersonal, in der Gastronomie oder der Logistikbranche. Dabei gebe es in diesen und etlichen anderen Branchen bereits eine deutliche Arbeitsverdichtung. Dann käme man schnell an den Punkt, wo man über eine Burn-Out-Gefahr sprechen müsse, sagt Dichant. Mit Burn-Out-Symptomen und anderen psychischen Erkrankungen gingen Betroffene noch zurückhaltender um: „Viele melden sich gar nicht oder zu spät krank.“
Vor allem in der Probezeit scheuen die Menschen davor zurück, sich krank zu melden
Daniela Schmid von der Beratungsstelle Arbeit des SKM Rhein-Sieg unterstützt unter anderem von Arbeitslosigkeit bedrohte Menschen, Berufsrückkehrer, Erwerbslose und Beschäftigte in prekären oder ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen. „Vor allem die Probezeit ist eine besonders sensible Zeit, wo die Leute wirklich stark abwägen, melden sie sich krank oder nicht“, sagt Schmid, „weil viele es schon mehrfach erlebt haben, dass sie ohne besonderen Grund in der Probezeit gekündigt wurden“.
Dies betreffe besonders häufig ältere Arbeitnehmer, die zeitweise arbeitslos waren und dann in einer neuen Branche wieder Arbeit aufnehmen konnten. Durch den Fachkräftemangel bekommen solche Quereinsteiger oft befristete Verträge, wissen aber, dass sie nicht unbedingt die gewünschte Qualifizierung mitbringen, so Schmid. Das ständige Bangen um die Arbeitsstelle sei die Konsequenz. „Das ist natürlich ein enormer Druck, unter dem derjenige dann steht“, sagt die Beraterin, „Und mit so einer Angst arbeiten zu gehen, das wirkt sich dann natürlich auch wieder negativ auf die Gesundheit aus.“
Berufe für Quereinsteiger sind oft körperlich anstrengend
Besonders schwer sei die Situation beispielsweise für geflüchtete Menschen, bei denen ihre Erwerbstätigkeit auch Auswirkungen auf ihren Aufenthaltsstatus, ihre Bleibeperspektive hat. Nach einer beendeten Beschäftigung sei der Druck besonders hoch, schnell eine neue Arbeit zu finden. „Da haben sie natürlich auch nicht die Möglichkeit, sich Zeit zu nehmen und zu schauen, was ist denn ein vermeintlich guter Arbeitgeber oder nicht“, so Daniela Schmid.
Zudem seien die Berufe, wo Arbeitssuchende hohe Chancen für Quereinstiege haben, oft körperlich anstrengend und mit hohem Arbeitsaufkommen verbunden. Häufig arbeiten Wiedereinsteiger beispielsweise in der Zulieferung, Gastronomie, Gebäudereinigung, Verkauf oder Pflege. Wenn die Kunden in ihrer Beratung durch ihre Arbeit psychisch oder gesundheitlich überlastet sind, sei es für den Großteil keine Option, das Beschäftigungsverhältnis zu überdenken. Die Sorge vor den Konsequenzen der Kündigung ist zu groß.